Elektromobil – und flexibel?

Stecker statt Zapfsäule: Der Treibstoff der Zukunft kommt aus dem Stromnetz. Warum wir nicht nur über einen drohenden Blackout sprechen sollten, sondern auch über Chancen – und warum Transparenz im Netz der erste Schritt ist

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Ende März legte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eine Zwischenbilanz vor. Fast 60.000 Mal wurde der „Umweltbonus" bisher beantragt – das ist die Prämie, die den Kauf eines Elektroautos attraktiv machen soll. Der Fördertopf – ursprünglich 600 Millionen Euro staatliche Mittel – ist noch gut gefüllt. Trotz ehrgeiziger Ziele: Schließlich war „eine Million Elektroautos bis 2020" lange die Vorgabe der Bundesregierung. Heute strebt Volkswagen an, bis 2030 jedes der 300 Modelle des Konzerns zu elektrifizieren. Schon 2025 soll jeder vierte Neuwagen von VW einen batterieelektrischen Antrieb haben, BMW will im gleichen Jahr 25 Elektromodelle anbieten.

Ladepunkte wirtschaftlich nicht profitabel

Fest steht: All diese Autos müssen tanken. Für eine Million Fahrzeuge, bilanzierte das von der Bundesregierung geförderte Projekt „LADEN2020", seien 35.000 öffentliche und halböffentliche Ladepunkte nötig, zusätzlich 4.000 Schnellladestationen. Die Nationale Plattform Elektromobilität schätzt den Bedarf 2020 mit 70.000 öffentlichen Ladepunkten und weiteren 7.100 Schnellladesäulen doppelt so hoch ein. Nach der letzten BDEW-Erhebung vom Juni 2017 gibt es knapp 11.000 Ladepunkte in Deutschland – statistisch heißt das: einer für neun Elektroautos. Auch wenn sich das für die Betreiber noch nicht lohnt, sind viele Energieversorger in Vorleistung gegangen – zum Beispiel die Mainova, die insgesamt 46 öffentliche Ladestationen in und um Frankfurt sowie mehr als 150 Ladeboxen im halböffentlichen und privaten Bereich betreibt.

Im halböffentlichen Bereich wie in Wohnanlagen und bei Unternehmen, an Supermärkten, Schulen oder Rathäusern besteht eine gute Möglichkeit, um Stellplätze für Elektrofahrzeuge zu reservieren. Ein wachsendes Angebot in diesem Segment würde die Akzeptanz für die Elektromobilität deutlich steigern,

sagt Mainova-Vorstandsvorsitzender Dr. Constantin Alsheimer (Hier geht es zum Interview).Umweltbonus der Hersteller BMW und VW

Wovon reden wir, wenn wir „tanken" sagen?

Ob öffentlich, halböffentlich oder zu Hause an der Steckdose, ob drei, fünf, elf oder 22 Kilowatt Leistung: Während beim Diesel und Benziner klar ist, was „tanken" heißt und wo die Zapfsäulen stehen, gibt es viele Möglichkeiten, wenn die Batterie eines Elektrofahrzeugs leer ist – die sich vor allem in Anschluss und Ladedauer unterscheiden. Für die typischen Nutzerinnen und Nutzer seien vor allem drei Optionen relevant, sagt Privatdozent Dr. Patrick Jochem, der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Arbeitsgruppe Transport und Energie leitet: „Studien aus Norwegen, Holland und Deutschland zeigen, dass die meisten Ladevorgänge zu Hause stattfinden. Gibt es beim Arbeitgeber eine Möglichkeit zum Laden, wird auch die genutzt – gerade wenn sie kostengünstig ist. Für weite Fahrten sind außerdem die Schnellladesäulen entlang der Autobahnen wichtig."

An nahezu 400 Rastanlagen ermöglichen mittlerweile solche Säulen das Laden in 20 bis 30 Minuten. Jochem untersucht unter anderem, wie sich der Ausbau dieses Schnellladesystems – abhängig von verschiedenen Szenarien für den Markthochlauf der Elektrofahrzeuge – auf dessen Auslastung und das dahinterliegende Stromnetz auswirken würde. In seinen Analysen sind die Schnellladestationen entlang der Autobahnen direkt ans 110-Kilovolt-Hochspannungsnetz angeschlossen, das dann langfristig regional an seine Grenzen stoßen könnte: „In einem optimistischen Szenario könnten 100 Ladepunkte pro Rastplatz 2030 realistisch sein. Wenn die Nachfrage plötzlich stark steigt, beispielsweise an einem Freitagnachmittag oder zu Ferienbeginn, führt das in dünn besiedelten Regionen zu Schwierigkeiten." Auf Strecken durch ländliche Gebiete in Norddeutschland gehen seine Prognosen für 2050 von einer Verdopplung der Last an manchen Netzknotenpunkten aus. „Demnächst wollen wir prüfen, wie profitabel eine Batterie vor Ort wäre, die praktisch sechs Tage die Woche Regelenergie zur Verfügung stellt und bei hohem Verkehrsaufkommen das Netz entlastet." Inwiefern solche Maßnahmen nötig sind, müsse aber für jeden Knotenpunkt einzeln berechnet werden – schließlich sei die Fragestellung komplex, viele Variablen spielen für die Stromnachfrage eine Rolle. Beispiel Ruhrgebiet: Das hohe Verkehrsaufkommen auf den Autobahnen bedeute durch die kurzen Distanzen nicht zwangsläufig, dass auch viel geladen werde.

„Dafür waren die Netze nie gemacht"

Wird das Stromnetz durch die neuen Ladepunkte Teil der Verkehrsinfrastruktur, werden die Veränderungen gerade auf den letzten Metern zum Verbraucher spürbar. Erst Anfang des Jahres warnten Medien vor einer Blackout-Gefahr hier im Verteilnetz. Grundlage war eine Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman und der TU München, die flächendeckende Stromausfälle ab einer Elektromobilitätsquote von 30 Prozent und damit ab 2032 voraussagte. „Das sind nicht unerhebliche Lasten, die durch Elektrofahrzeuge integriert werden müssen", sagt auch Dr. Jonas Danzeisen, Gründer und Geschäftsführer der Venios GmbH, die IT-Lösungen für die Überwachung und Steuerung von Verteilnetzen anbietet. „Der Kern ist: Wir nutzen die Netze auf eine Art und Weise, für die sie originär nicht gemacht sind. Wir kommen traditionell aus einer Top-down-Infrastruktur: große Erzeuger, kleine Verbraucher. Doch Erzeugung und Verbrauch werden nun zunehmend dezentral und volatil."

Insgesamt, so zeigen die Zahlen, treibt Elektromobilität den Stromverbrauch hierzulande zwar kaum in die Höhe: Für eine Million Elektroautos wird ein jährlicher Strombedarf von etwa zwei Terawattstunden kalkuliert – weniger als 0,5 Prozent des bundesweiten Jahresbedarfs, so eine Berechnung des Öko-Instituts, die auf empirisch abgesicherten Annahmen zur Fahrleistung und zum Verbrauch beruht. Der zusätzliche Bedarf werde 2030 sogar „durch Einsparungen in den klassischen Stromverbrauchssektoren überkompensiert." Kritisch ist allerdings die hohe Gleichzeitigkeit – das, was Jochem „tückische Peaks" nennt, wenn abends in den Pendlerhaushalten die Autos parallel ans Netz gehen. In den Ortsnetzen kann es dann eng werden. Hier setzt das Geschäftsmodell der Venios GmbH an: „Wir optimieren die Nutzung der Ressource Netz so, dass es nicht zu einer Überlastsituation kommt", sagt Danzeisen. Um die Netze besser bewirtschaften zu können, sei es entscheidend zu wissen, wo Kapazitäten frei sind und wo Engpässe drohen. „Sie brauchen die Transparenz, um zu wissen: Wo habe ich das Problem? Und die Intelligenz, um die bestehende Infrastruktur optimal zu nutzen. Bei dem einen ist Demand-Side-Management das richtige Werkzeug, woanders ist es eine intelligente Ortsnetzstation", so Danzeisen. Die eine richtige Lösung für alle gibt es nicht.

Elektromobilität in Hamburg bis 2030

Lösungen nach dem Motto „Intelligenz statt Kupfer"

Rund 20 Kunden aus vier europäischen Ländern wenden die von Venios entwickelte Software-Plattform heute an. Laut den Business Cases des Unternehmens rechnet sich das Investment für sie nach spätestens zweieinhalb Jahren. Immerhin könne so auch Geld gespart werden, das sonst vielleicht vorschnell in neue Kupferdrähte fließe, sagt Danzeisen. „Der Netzbetreiber kann die Plattform auch temporär nutzen, wenn der Anteil der Elektroautos sehr schnell steigt. Planung und Freigabe, bis der Ausbau wirklich bewerkstelligt ist, können ja lange dauern." Bereits heute steuert ein Kunde in den Niederlanden darüber auch die Ladeinfrastruktur – und drosselt auch die Leistung. „Tritt ein Event nur ein-, zweimal im Jahr für eine Viertelstunde ein, ist man im Ausland eher bereit, kurz und temporär abzuregeln, statt das ganze Netz auf die Maximallast auszulegen", so Danzeisen.

Die Ladevorgänge zumindest intelligent zu flexibilisieren, ist auch der Studie der TU München zufolge eine „ökonomisch höchst attraktive Alternative zum Netzausbau." Für Wissenschaftler Dr. Patrick Jochem ist der Ansatz nicht nur sinnvoll – schließlich ist das Elektroauto neben der möglicherweise vorhandenen Wärmepumpe der größte Verbraucher im Haushalt. Er habe auch gute Erfolgsaussichten. „Ein Fahrzeug steht im Durchschnitt 23 Stunden, mehr als 13 Stunden davon zu Hause. Die durchschnittliche tägliche Fahrleistung beträgt 40 Kilometer. Das entspricht circa sechs Kilowattstunden, die an einer Steckdose in zwei bis drei Stunden wieder nachgeladen sind. Dadurch sehe ich hier ein sehr hohes Flexibilitätspotenzial." Ein weiteres Argument: „Theoretisch müsste bei einer heutigen Reichweite von 300 Kilometern nicht jeden Abend geladen werden."

In der Praxis gibt es schon Lademanagementsysteme, die das Laden aus den Abend- in die Nachtstunden verschieben. „Wir haben das vor 30 Jahren mit den Nachtspeicheröfen ja auch hinbekommen. Ich glaube, heute sind wir viel intelligenter", sagt Jochem. Doch die Technologie ist nur ein Teil der Lösung – noch wichtiger sind die Nutzer: Die Frage, welche Anreize sie brauchen, um die Flexibilität zuzulassen, steht am KIT ganz oben auf der Forschungsagenda.

Elektromobilität – Entlastung fürs Netz?

Und der drohende Blackout? Jochem sieht das weniger kritisch, weil er von anderen Bedingungen ausgeht – etwa davon, dass nicht überall mit 22 Kilowatt geladen wird: „An weit über 300 Tagen im Jahr reichen drei Kilowatt für den normalen Nutzer und die normale Nutzerin völlig aus. Ein Modell könnte sein, dass jeder Kunde viermal im Monat die Möglichkeit hat, mehr und damit schneller zu laden. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle gleichzeitig den Knopf drücken, ist sehr gering." Studien gingen davon aus, dass beim Laden mit ein bis drei Kilowatt die weitaus meisten Verteilnetze nicht erweitert werden müssten, in den meisten Ortsnetzen wären dann sogar 100 Prozent Elektrofahrzeuge möglich, so Jochem. „Wenn wir Lastverschiebungen zulassen, sehe ich auch positive Folgen der Elektromobilität. Die Profitabilität von Solarsystemen, gekoppelt mit Batterien, steigt durch ein Elektrofahrzeug, weil ich durch das zeitverzögerte Laden den Eigenverbrauch steigern und die Nachfrage regeln kann. Das kann auch das Netz entlasten."

Text: Christiane Waas

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