Letzte Chance?

Für manche fühlt es sich wie ein Déjà-vu an: Eine neue Initiative will die Erdgasmobilität in Deutschland voranbringen. Schließlich könnte der Kraftstoff eine entscheidende Rolle bei der Verkehrswende spielen.

Erdgasmobilität

© ressourcenmangel / BDEW

Die Ziele, die VW und seine Industriepartner wie ONTRAS, E.ON Gas Mobil oder Gazprom bei den "CNG Mobility Days" im Juni vorstellten, sind beeindruckend: 2025 sollen eine Million Erdgasautos auf unseren Straßen unterwegs sein, das Zehnfache von heute. Zugleich soll sich die Zahl der Tankstellen auf 2.000 mehr als verdoppeln. Das ist ziemlich ehrgeizig, hat sich beim Thema Erdgasmobilität doch zuletzt kaum etwas bewegt. 2016 waren hierzulande rund 77.000 Erdgasautos zugelassen, nur wenige mehr als 2011 (71.500). Von den einst über 900 Tankstellen mussten zuletzt sogar einige schließen. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Die Technologie ist seit Jahren marktreif und massenhaft erprobt, das Tankstellennetz flächendeckend. Bei den Tankkosten wie bei der Umwelt- und Klimabilanz schneidet Erdgas besser ab als Benzin und Diesel. Schließlich kommen so auch die Erneuerbaren Energien im Verkehrssektor voran – an den Zapfsäulen stammt heute rund ein Fünftel des Kraftstoffs aus regenerativen Quellen.

Aufbruchsignale

Warum läuft es trotzdem nicht rund für die Erdgasmobilität? Für Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), gibt es dafür nicht die eine Ursache – allerdings klare Versäumnisse: »Wir haben das Thema 1999 als einer der Ersten im Umweltbereich aufgegriffen«, erinnert er sich. "Schon damals waren tausend Tankstellen versprochen worden. Inzwischen haben wir sogar eine rückläufige Tendenz. Da haben die Versorger eindeutig nicht genug getan. Und die Autohersteller haben nach und nach Erdgasmodelle vom Markt genommen oder gefragte Spezifikationen nicht anbieten können, etwa ein Automatikgetriebe für Taxifahrer. Beide haben dieses zukunftsfähige Produkt nicht ausreichend gepusht", sagt er. "Die jetzige Initiative ist wirklich die letzte Chance für den Hersteller VW, die sehr diskreditierten Dieselfahrzeuge für die nächsten Jahre durch Erdgasfahrzeuge zu ersetzen."

Das Aufbruchssignal ist da: "2.000 Tankstellen bis 2025 sind machbar", sagt Markus Wild, Leiter Unternehmensentwicklung, Politik und Kommunikation bei der Leipziger ONTRAS Gastransport GmbH. Er spricht von einer "Renaissance für Gasfahrzeuge" – tatsächlich dreht sich gerade der Trend: Mit dem VW Polo, dem Seat Ibiza, dem Opel Astra und den Audi-g-tron-Modellen kamen in der zweiten Jahreshälfte 2017 gleich mehrere neue Fahrzeuge auf den Markt, das Kraftfahrtbundesamt registrierte unterdessen steigende Zulassungszahlen. "Es gibt bereits neue Tankstellen, zum Beispiel in Essen. Weitere kommen 2018 dazu, unter anderem in Leipzig. Damit wird es schon in den nächsten Jahren deutlich mehr Tankstellen für Gasautos geben", so Wild.

Fehlanzeige: Werbung und Marketing

In Berlin, berichtet Otto Berthold von der GASAG, sei in den vergangenen Jahren mit 24 Erdgastankstellen eine dichte Infrastruktur aufgebaut worden. Elf davon betreibt die GASAG selbst, 13 die Konkurrenz – davon profitieren die Kunden auch durch den Preiswettbewerb an der Zapfsäule. Doch der Schuh drücke an anderer Stelle: "Das größte Hemmnis ist bisher das geringe Fahrzeugangebot. Wir sind allerdings optimistisch, dass hier Bewegung ins Spiel kommt. Wichtig ist, dass die neue VW-Initiative bis in den Vertrieb wirkt: Das Thema muss stärker in die Verkaufshäuser und ins Marketing der Fahrzeughersteller hineingetragen werden."

Fehlende Werbung durch die Fahrzeughersteller, zu wenig Marketingbudget, dazu eine seit Jahren ausstehende Flottenkarte für Firmenkunden: Diese Schwachstellen sieht auch Birgit Maria Wöber vom im Februar 2017 gegründeten "CNG-Club", die vom "verlorengegangenen und verspielten Verbrauchervertrauen und nicht erledigten Hausaufgaben" spricht. Außerdem habe die Steuervergünstigung für Erdgas, die kürzlich bis 2026 verlängert wurde, lange in der Luft gehangen – das habe Käufer verunsichert.

Zero Emission mit CNG

Wöber selbst ist als Lobbyistin und Betreiberin des Infoportals gibgas.de zwar schon seit 20 Jahren in Sachen Erdgasmobilität aktiv, aber der gemeinnützige CNG-Club ist neu: Er soll den Verbrauchern, also den Autofahrern selbst, eine Stimme geben. CNG steht dabei für Compressed Natural Gas – eine bewusste Vermeidung des Begriffs Erdgas: "Das wird als fossiler Kraftstoff wahrgenommen." Und dieses Image steht dem Potenzial entgegen, das der Antrieb aus Sicht des Clubs hat. "CNG ist der einzige Kraftstoff, der durch Biomethan aus Abfall und Power-to-gas zu 100 Prozent erneuerbar und nachhaltig im Verbrennungsmotor genutzt werden kann", so Wöber. Für eine Dekarbonisierung des Straßenverkehrs müssten "C- und E-Mobilität" deshalb zusammengedacht werden: "Wir brauchen in Zukunft eine große Palette an Antrieben."

Für den Verkehrsclub Deutschland und seinen Sprecher Lottsiepen hingegen gibt es keine Alternative zur Elektrifizierung. Durch die Beimischung von Gas aus Reststoffen habe Erdgas zwar bessere Zukunftschancen als Diesel und Benzin. "Trotzdem ist die Option begrenzt durch das Ziel, den Verkehr bis 2050 völlig zu dekarbonisieren", so Lottsiepen. "Konsens ist, dass der Trend zu Elektrofahrzeugen unumkehrbar sein wird", bestätigt GASAG-Experte Berthold. "Das halten wir für richtig. Doch bis das Elektroauto eine wirkliche Alternative für den Massenmarkt ist, kann Erdgas schon jetzt eine zentrale Rolle bei der Verkehrswende spielen." Die Infrastruktur dafür sei vorhanden, die Umweltvorteile spürbar. An die erinnert auch ONTRAS-Kommunikationschef Wild:

CNG-Fahrzeuge helfen, die Treibhausgas- Emissionen zu senken. Mit regenerativen Gasen fahren sie sogar klimaneutral.

Die Bedeutung des gasbetriebenen Verbrennungsmotors für die Mobilität von morgen hängt also vor allem davon ab, wie "grün" der Treibstoff – chemisch betrachtet: Methan – künftig ist. Im November erst warnte der Präsident des Club of Rome, Ernst-Ulrich von Weizsäcker, in der Heilbronner Stimme vor einem "Schnellschuss": "Erstens ist das Elektroauto beim heutigen Strommix eher klimaschädlicher als der Verbrennungsmotor, zweitens kann man überschüssigen Windstrom, der sonst vernichtet wird, in Wasserstoff oder Methan umwandeln und damit den klimaneutralen Verbrennungsmotor füttern." Wenn es demnächst denn Fahrt aufnimmt, könnte das Erdgasauto also noch eine Weile rollen.

Text: Christiane Waas

Magazin_1-2018-Zahlen-Erdgasmobilität

Suche