Quo vadis, Energiewirtschaft? Was sind die Ideen der Zukunft? Teil 1

Die Dynamik der Energiewende zwingt die Energiewirtschaft zu neuen Geschäftsmodellen. Stefan Kapferer hat zu diesem Thema zu einem „Round Table“ eingeladen.

Round Table zum Thema Neue Geschäftsmodelle

v.li: Stefan-Jörg Göbel, Statkraft Markets GmbH, Dr. Dieter Steinkamp, RheinEnergie AG, Stefan Kapferer, BDEW, Dr. Susanna Zapreva, enercity AG, Dr. Frank Pawlitschek, ubitricity GmbH

Moderiert wird das Gespräch von Tom Levine

Herr Kapferer, ist Digitalisierung der Megatrend, oder ist die Energiewende das, was der Energiewirtschaft viel stärker den Veränderungsdruck bringt? Stefan Kapferer: Ich glaube, dass wir bei der Energiewende ein neues Stadium erreichen, eine Art postideologisches Zeitalter. Wir reden nicht mehr darüber, ob wir das eigentlich machen wollen. Es ist völlig klar, dass dieser Transformationsprozess voranschreitet. Und weil das so ist, geht es jetzt vielmehr um die Frage, wo es Geschäftsmodelle gibt in diesem neuen Zeitalter der Energiewende für die Energiewirtschaft. Und da gibt es wenig, das man ohne Digitalisierung denken kann. Die entscheidende Frage wird sein, ob es in der Verknüpfung des Produkts und der Digitalisierung die Chance gibt, in neue Sektoren reinzukommen und neue Branchen zu erobern. Und umgekehrt wird spannend, wer aus anderen Branchen den Digitalisierungs­aspekt nutzt, um bei uns ins Geschäft zu kommen. 

Gilt das für alle Ihre Mitglieder? Kapferer: Unsere Branche ist in puncto Größe sehr heterogen. Hier am Tisch sitzen Vertreter von Unternehmen in einer gewissen Größenklasse, die können solche Prozesse gut steuern. Aber was machen Stadtwerke mit 15.000 angeschlossenen Haushalten? Da haben Sie keinen Chief Digital Officer. Wie kriegen die das hin? Das ist, glaube ich, eine Frage, zu der wir als Verband noch mehr Unterstützung organisieren müssen. 

Frau Zapreva, funktioniert bei enercity die Digitalisierung? Dringen Sie in den Bereich vor, wo man sich neue Märkte erschließt? Susanna Zapreva : Wir stehen beim Thema Digitalisierung erst am Beginn. Die zentrale Herausforderung sehe ich darin, dass die Ökosysteme der Kunden zunehmend zusammenwachsen. Das Ökosystem Mobilität, das Ökosystem Energie, das Ökosystem Information, das wächst alles zusammen. Deshalb geht es nicht mehr nur darum, den Kunden mit Energie zu versorgen, sondern darum, ihm das zu bieten, was er auch sonst gewohnt ist. Das dürfen wir nicht verschlafen. Und das heißt konkret: Es reicht nicht, jetzt mal eine Digitalisierungsstrategie formulieren zu lassen. Was für uns ansteht, erfordert eine Transformation in der gesamten Organisation, das erfordert ein neues Denken, eine ganz andere Herangehensweise an den Kunden. Da stehen wir als Energiewirtschaft – und da nehme ich uns nicht aus – ganz, ganz, ganz am Anfang. 

Aber Sie haben doch jetzt gerade mit viel PR-Effekt angefangen, Energie gegen Bitcoin zu verkaufen, das ist doch digital. Zapreva: Ja, richtig, aber sehen Sie: Die digitale Währung Bitcoin ist ein Beispiel für die Disruption von Geschäftsprozessen, wir werden da auch nicht verschont. Ich bin ja neu in dem Unternehmen und habe mir zuerst angeschaut, wo wir unseren Kunden eigentlich begegnen. Bei der großen Masse ist das leider Gottes immer noch ausschließlich die Rechnung. Da haben wir die Rechnung komplett neu und modern gestaltet und überlegt, wie wir die Aufmerksamkeit der Kunden darauf lenken können. Und eine der Ideen war halt Bitcoin . Die Kunden müssen lediglich eine persönliche digitale Brieftasche anlegen. Ein Geschäftspartner von uns übernimmt dann die Abwicklung mit einem globalen Bitcoin-Zahlungsservice. Die Bitcoins machen greifbar, was es heißt, wenn eine Branche komplett verschwindet. Erst die Banken, dann der Energiehandel. Denn wenn man das zu Ende denkt, ist auch der Handel ersetzbar durch die Blockchain, also die Grundlage von Bitcoin. Wir sind nicht davon ausgegangen, dass alle Kunden plötzlich in Bitcoins zahlen, aber der Transformationsprozess, der intern damit angestoßen worden ist, der begreifbar gemacht worden ist, der war sehr gut. Erstaunlicherweise war das Kundenecho dann ziemlich groß. Das habe ich in der Ausprägung gar nicht erwartet. 

Herr Pawlitschek, Bitcoin steht für die endgültige Digitalisierung der Kundenschnittstelle. Bei Ihnen, bei ubitricity, kommt Digitalisierung eher als Hardware daher, als smartes Ladekabel. Wird übersehen, dass das Digitale in der Energiebranche mehr mit Ingenieurleistung zu tun hat als mit irgendwelchen Apps? Frank Pawlitschek : Es stimmt, wir haben einen intelligenten mobilen Zähler entwickelt, den der Kunde bei uns in die Hand bekommt. Also Hardware. Aber eigentlich ist das Ladekabel nichts anderes als ein mo­biles Endgerät für Strom, vergleichbar mit den mobilen Endgeräten, die Sie alle vor sich auf dem Tisch liegen haben und bei denen es um Daten-Content geht, dem Smartphone. Und alles das, was Sie eben sagten, Frau Zapreva, passt hervorragend in die Logik hinter unserem Kabel. Es geht nämlich bei Ihnen und bei uns um die Frage, wer denn nachher Geld verdient. Weil das Geld zukünftig nicht mehr über die Hardware verdient wird, sondern mit den Services, die über eine Hardware laufen oder an einer Hardware hängen. Die Frage ist immer: Wie nahe sind Sie am Kunden, und wie können Sie diese Nähe kommerzialisieren? Wir werden uns in Zukunft darauf einstellen müssen, dass derjenige, der Wertschöpfung erzielen will, beim Kunden sein muss. Mit der Digitalisierung ist es gelungen, die gesamte Welt von Dienstleistungen tagtäglich dem Kunden einfach mitzugeben. Wir machen das mit unserem mobilen Stromzähler so: Wir verbinden eine Dienstleistung – Strom beziehen – mit einem Gerät, das tatsächlich beim Kunden ist. Wo auch immer Sie den Stromzähler nutzen, Sie kaufen immer bei dem damit verbundenen Stromversorger.

Fortsetzung mit Teil 2 am 7. Dezember

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