Zur Person
Thomas Murche ist seit September 2017 technischer Vorstand der WEMAG AG mit Sitz in Schwerin. In dieser Funktion verantwortet er die Infrastrukturbereiche der Unternehmensgruppe – von der IT über Unternehmenssicherheit bis hin zur Organisationsentwicklung. Die WEMAG zählt mit über 900 Mitarbeitenden zu den größten Arbeitgebern in Westmecklenburg.
Der gebürtige Brehnaer (Jahrgang 1973) studierte Elektrotechnik an der Fachhochschule Magdeburg und startete seine berufliche Laufbahn 1999 bei der Avacon AG, wo er u.a. als Geschäftsführer der Avacon Hochdrucknetz GmbH tätig war. Es folgten Führungspositionen bei E.ON Deutschland/E.ON SE, unter anderem als Leiter Netzsteuerung mit Verantwortung für Energierecht, Regulierung, Netzwirtschaft und Innovationen für die deutschen Netzgesellschaften.
Neben seiner Vorstandstätigkeit engagiert sich Murche auf vielfältige Weise für die Energiebranche in der Region: als Vizepräsident der IHK zu Schwerin, als stellvertretender Vorsitzender im Fachvorstand Energie der BDEW-Landesgruppe Norddeutschland und als Mitglied im BDEW-Bundesvorstand. Zudem ist er Mitinitiator des jährlichen Energieforums der IHK sowie Unterstützer der Ehrenamtsstiftung MV.
Thomas Murche lebt mit seiner Familie in Schwerin, ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Wie prognostizieren Sie die Entwicklung der notwendigen Investitionen zur Ertüchtigung der Stromnetze?
Thomas Murche: In den letzten Jahren haben wir uns intensiv mit der Planung der Stromnetze beschäftigt, insbesondere aufgrund der hohen Nachfrage durch den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir verzeichnen einen Anstieg in der Antragslage von etwa 20 GW. Aktuell haben wir knapp 3 GW am Netz, und in der Reservierung liegen etwa 6 GW. Wir erwarten, dass wir in den nächsten 10 Jahren fast 11,3 GW angeschlossener Erzeugungsleistung am Netz erreichen. Diese Prognose wird durch unser tatsächliches Handeln untermauert.
Wir haben uns auch mit den Kosten für die nächsten 10 Jahre beschäftigt und sind auf etwa 1,25 Milliarden Euro an Investitionen in das Verteilnetzgekommen. Das ist ein erheblicher Betrag, insbesondere im Vergleich zu den 15 bis 25 Millionen Euro, die wir vor 10 Jahren jährlich in das Stromnetz investiert haben. Zukünftig planen wir durchschnittliche Investitionen in das Verteilnetz von 125 Millionen Euro pro Jahr, mit Spitzenwerten von bis zu 170 bis 180 Millionen Euro. Wir gehen von einer hohen Intensität beim Ausbau des Stromnetzes aus, bedingt durch die hohe Nachfrage, die momentan durch das Interesse an Stromspeichern noch verstärkt wird. Aktuell haben wir Anfragen für 6,8 GW an Stromspeichern, und wir glauben, dass einige dieser Speicher sich tatsächlich an das Netz anschließen werden.
Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass ein Stromspeicher sowohl eine Entlastung als auch eine Belastung für das System darstellen kann, was besondere technische Herausforderungen mit sich bringt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir uns intensiv mit der Ertüchtigung der Netze in den nächsten 10 Jahren auseinandergesetzt haben. Ebenfalls liegt eine Langfristprognose für die nächsten 20 Jahre vor. Die Schwerpunkte liegen auf dem Anschluss der erneuerbaren Energien sowie der Instandhaltung und Wartung der Netze. Diese Planungen führen zu Herausforderungen in der Beschaffung, in der Herstellung und Genehmigung. Hierzu haben wir in den letzten zwei Jahren intensiv die Organisation und Prozesse angepasst.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Genehmigungs- und Planungsprozessen für den Netzausbau?
Ich würde die Thematik in zwei Bereiche unterteilen: intern und extern. Intern mussten wir unsere Organisation anpassen, um die hohen Anfragen bewältigen zu können. Extern haben wir festgestellt, dass die Genehmigungsverfahren langwierig und bürokratisch sind. Oft müssen wir umfangreiche Unterlagen erstellen, was zu vielen Interaktionen mit den Behörden führt. Diese waren oft personell nicht in der Lage, die Vielzahl der Anträge zu bearbeiten. Im Ergebnis kommen dann ein bis zwei Umzugskartons an Unterlagen je Maßnahme zustande.
Ein Vorschlag zur Verbesserung wäre, die Nutzung von Bestandstrassen, um die Genehmigungsverfahren zu vereinfachen. Um die geforderten Leistungen anzuschließen, benötigen wir höhere und breitere Masten sowie stärke Leiterseile. Hierfür müssten wir eigentlich neue Trassen suchen und vollständig genehmigen lassen. Ein Prozess von mehreren Jahren. Besteht die Möglichkeit in Zukunft bestehende Leitungstrassen zu nutzen, könnten wir einzelne Verfahrensschritte nach unserer Auffassung überspringen und so schneller zu einer Genehmigung gelangen. Das würde eine deutliche Zeitersparnis mit sich bringen und die Anschlussbegehren schneller erfüllen.
Weiter könnten wir uns vorstellen, die Beschleunigungsverfahren der 380 kV Ebene auch auf die Ebene der der 110 kV Ebene auszudehnen. Insbesondere stehen dabei die Erleichterungen für den Leitungsbau aus dem Bundesbedarfsplan im Fokus, die Verfahrenserleichterungen für den Netzausbau bieten.
Das Eckpunktepapier NEST ist der erste Schritt zur Neugestaltung der Regulierung und der Verzinsungsbasis. Was halten Sie von der potenziellen Einführung des WACC-Ansatzes im Vergleich zur kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung?
Ich denke, wir sollten diese Thematik umfassend betrachten. Wir können grundsätzlich die Veränderung in der Bestimmung der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung begrüßen. Es ist wichtig, dass wir darüber diskutieren, wie ein zukünftiges System aussehen sollte. Das aktuelle System bildet die Zinspolitik ab, jedoch nicht zeitnah. Wir stehen vor einer Korrektur des Eigenkapitalzinses in der vierten Regulierungsperiode, die spätestens ab dem 1. Januar 2026 umgesetzt werden muss.
Das zukünftige System sollte den Anforderungen des Kapitalmarktes entsprechen. Der WACC-Ansatz sollte 8 bis 10 Prozentpunkte nach Steuern abbilden und für die Kapitalgeber transparent berechenbar sein. Aktuell können wir das so nicht darstellen. Bei der Umstellung könnte es zu Nachteilen kommen, und wir müssen darüber reden, wie hier ein Ausgleich erfolgen kann. Grundsätzlich ist das, was die Bundesnetzagentur plant, positiv zu bewerten.
Wir müssen jedoch immer wieder prüfen, ob das zu den Kapitalmarktvorgaben passt. Die Festlegung der Zinssätze ist entscheidend. Wir müssen klären, ob wir diese unternehmensbasiert oder allgemein festlegen. Eine allgemeine Festlegung könnte zu Verwerfungen bei den einzelnen Unternehmen führen.
Besonders im Hinblick auf die Finanzierung in den kommenden Jahren wird die Situation angespannt sein. Wir benötigen Kapital und Kapitalgeber, um die notwendigen Maßnahmen, wie den Ausbau der Stromnetzinfrastruktur, durchführen zu können. Auch im Wärmesektor gibt es großen Nachholbedarf, und wir benötigen Kapitalgeber, die eine angemessene Verzinsung erwarten.
Die Energiewende wird die Versorgungsaufgabe von Stromnetzbetreibern in kurzer Zeit erhöhen. Netzbetreiber stehen vor großen Herausforderungen. Welchen Zuwachs erwarten Sie bei der Anzahl der Netzanschlüsse für Ladeinfrastruktur, PV-Anlagen und Wärmepumpen? Halten Sie die Integration der zusätzlichen Netzanschlüsse für umsetzbar?
Ich halte die Integration für grundsätzlich umsetzbar. Diese Integration findet bereits technisch statt und wird auch zukünftig fortgesetzt. Wir rechnen mit einem signifikanten Zuwachs bei Ladeinfrastruktur, PV-Anlagen und Wärmepumpen, insbesondere im ländlichen Raum, der wir durch Maßnahmen zur Digitalisierung und Automatisierung sowie durch die Anpassung unserer Infrastruktur gerecht werden. Gerade die Wärmeversorgung, die welche in unserem ländlichen Raum maßgeblich durch die Einführung von Wärmepumpenlösungen umgesetzt werden wird, erfordert neue Integrationslösungen für das Stromverteilnetz.
Wir müssen auch in den jeweiligen Planungsüberlegungen berücksichtigen, dass die Gasversorgung rückläufig sein wird. Die Wärmepumpe wird aus unserer Sicht im ländlichen Raum dann die Hauptquelle zur Wärmeproduktion sein, was die Investitionen in das Stromnetz erforderlich macht. Die Integration in das Niederspannungsnetz ist dabei entscheidend. Die Herausforderung liegt in der intelligenten Steuerung, insbesondere wenn mehrere Verbraucher gleichzeitig aktiv sind, wie bei der Nutzung von Wärmepumpen und dem Laden von Elektroautos.
Wir haben uns auch mit dem Zuwachs an Wärmepumpen und Elektromobilität beschäftigt und erwarten einen Anstieg des Energiebedarfes von etwa 1,4 GW in den nächsten 10 Jahren.
Welche Herausforderungen ergeben sich für Sie als Flächennetzbetreiber?
Die Herausforderung liegt in der Sicherstellung der Versorgung. Technische Lösungen müssen insbesondere in Randbereichen umgesetzt werden. Wir müssen die Einspeisung und Abnahme managen, um Überlastungen im Verteilnetz zu vermeiden und somit die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Derzeit bauen wir das 450-MHz-Funknetz aus, um über diesen besonderes abgesicherten Kommunikationsweg das Verteilnetz aktiv zu steuern und viele Informationen in Echtzeit zu erfassen, gerade im Bereich der Niederspannung. Dies ermöglicht uns, einen besseren Überblick über das Kundenverhalten zu erhalten, ob es sich um Wärmepumpen oder andere Verbraucher handelt.
Im Fokus liegt damit ganz klar die Automatisierung des Netzes, natürlich auch getrieben durch Paragraph 14a EnWG. Die Automatisierung wird uns helfen die Betriebsprozesse noch effizienter zu gestalten, wird uns Informationen zu Verfügung stellen und so noch mehr helfen der Aufgabe der Versorgung nachzukommen. Dabei werden wir auch erleben, wie sich Aufgaben in der Organisation verändern werden, denn wir haben ganz neue Anforderungen u.a. durch den Kunden.
Kommen wir zum Thema Smart Meter Rollout. Welche kurz- und langfristigen Vorteile erkennen Sie beim Rollout von Smart Metern und Steuereinheiten? Wie schreitet die Planung der Digitalisierung und Modernisierung der Stromnetze voran? Sehen Sie den Rollout-Zeitplan als realistisch an? Was für Feedback erhalten Sie von der Kundenseite?
Ich sehe einen klaren Vorteil. Heute müssen wir sagen, dass die Niederspannung für uns als Netzbetreiber nicht sichtbar ist, durch den Smart Meter wird sie sichtbar. Das heißt, wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie können wir die Niederspannung noch weiter digitalisieren und für mich ist es nicht nur die Frage der Steuerung des Netzes. Durch Smart Meter können wir unsere Geschäftsprozesse effizienter gestalten und uns gezielter auf die jeweiligen Aufgaben einstellen. Der Rollout sollte daher schnellstmöglich vorangetrieben werden, und wir müssen die Kunden über die Vorteile informieren, um ihre Akzeptanz zu gewinnen. Die Kunden kennen bisher größtenteils Ihre Vorteile nicht, aber ich glaube, wenn wir den Kunden kommunizieren, dass einerseits wir uns viel genauer uns mit Ihren Versorgungssituationen auseinandersetzen können und andererseits aber auch die Kunden sich viel genauer mit Ihrer individuellen Versorgungssituation auseinandersetzen können, dann ist der eine oder andere Kunde auch bereit, diesen Weg mitzugehen und wir haben dann auch eine Steigerung der Akzeptanz.
Wie weit sind Sie mit Ihrem Transformationsplan des Gasnetzes? Welche Szenarien hinsichtlich des Ausstiegs diskutieren Sie intern? Wird die Anwendung einer degressiven Abschreibung gemäß KANU 2.0 bei der WEMAG bereits besprochen oder umgesetzt?
Unser Gasnetz ist relativ klein, aber wir setzen uns intensiv mit der Transformation auseinander. Das Versorgungsnetz ist heute in einem mittleren Alter. Wir möchten die Kunden in den Entscheidungsprozess einbeziehen und prüfen, wie wir die bestehende Infrastruktur sinnvoll nutzen können. Aktuell haben wir keine andere Lösung als das Netz mit Erdgas zu nutzen. Es gibt in der Nähe des Netzes keine Biogasanlage oder andere Möglichkeiten, das Gasnetz zu nutzen. Wenn sich hier Lösungen zeigen, werden wir diese Möglichkeiten prüfen und ggf. Umsetzen. Wann genau der Ablösezeitraum sein wird, ich kann ich heute daher nicht ganz klar sagen.
Das Thema KANU 2.0 haben wir intern besprochen, aber noch nicht umgesetzt. Wir planen, dies zu einem späteren Zeitpunkt anzuwenden. Ob das im diesen oder nächsten Jahr, entscheiden wir im Sommer diesen Jahres.
In den nächsten Jahren kann aufgrund der Einführung von Kanu 2.0 und rückläufiger Gasabsatzmengen mit steigenden Netzentgelten gerechnet werden. Sehen Sie für die WEMAG ein finanzielles Risiko und bedarf es weiterer regulatorischer Regelungen?
Durch die degressive Abschreibung steigt das Netznutzungsentgelt und somit steigt auch der Endkundenpreis. Hinzu kommen noch Steuern und Abgaben. Hierbei ist wieder die Kommunikation mit dem Kunden sehr wichtig, da der Kunde dies sehr oft nicht versteht. Egal zu welchem Gaslieferanten er geht, er wird ja immer das hohe Netznutzungsentgelt zahlen. Damit treiben wir ihn natürlich noch mehr in die Investitionsentscheidung, nehme ich heute eine Wärmepumpe oder bleibe ich bei meiner Gasheizung, also beschleunigen wir damit den Wettbewerb.
Und von daher ist diese Umsetzung, ein schmaler Grat, weil der Kunde natürlich immer weiter abwägen wird eine alternative Wärmequelle zu nutzen. Je mehr Kunden wechseln desto stärker entsteht eine Spirale aus steigenden Netzentgelten und immer größer werdenden Kundenverlust. Somit steigt auch das Risiko bei der WEMAG zu Refinanzierung der getätigten Investition. Dieses Risiko haben wir für uns bewertet und entsprechend auch mit im Blick.
Wir brauchen daher einen klaren und verlässlichen Rahmen, für Versorger als auch für die Kunden. Wir müssen auch beobachten, was die neue Bundesregierung in diesem Zusammenhang plant und konkret entscheiden wird. Vielleicht gibt es da auch noch mal Veränderungen, dann müssen die Themen neu inklusive der finanziellen Risiken bewertet werden.
Welche zentralen Forderungen haben Sie an die Politik für die erfolgreiche Transformation zur Klimaneutralität 2045 in Bezug auf die Energienetze?
Wir benötigen Planungssicherheit, also wo möchte die Bundesregierung zu welchem Zeitpunkt stehen? Damit meine ich ganz konkret die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien, weil das ja ein massiver Treiber ist für uns als Netzbetreiber. Wir benötigen dabei keine Jahresziele aber klare Ausbaukorridore. Zudem müssen die Ausbauziele realistisch sein. Ein Gesetz, das vorschreibt morgen 100% Erneuerbare im Netz zu haben und das ist für uns gar nicht umsetzbar, hilft uns nicht weiter. Die gesetzlichen Regelungen müssen leistbar sein, mit den knappen Ressourcen, die wir zur Verfügung haben.
Zudem brauchen wir die maximale Unterstützung im Bereich der Planung und Genehmigung also bei den Rahmenbedingungen, die dazu passen müssen. Die regulatorischen Rahmenbedingungen müssen uns als Netzbetreiber unterstützen, die notwendigen Investitionen zu tätigen.
In welchen Themenfeldern tun sich Netzbetreiber aktuell schwer und können sich verbessern?
Auch wenn es ein positives Thema ist, tun wir uns schwer beim Smart Meter Rollout. Ich würde mir wünschen, dass wir näher zusammenarbeiten, um die Automatisierung und Digitalisierung der Energieversorgung sowie die Versorgungssicherheit voranzubringen Ich glaube, das ist ein großer Hebel für die Zukunft, den wir nutzen können. Wir brauchen eine geschickte Kombination einerseits aus der Technik, die wir benötigen, um unsere Aufgaben zu lösen und die Geschäftsprozesse optimal abzubilden und andererseits müssen natürlich auch die kaufmännischen Aspekte berücksichtigt werden. Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle den gleichen Weitblick haben.