Zur Person
Dr. Aik Wirsbinna, Jahrgang 1973, ist in Schwerin aufgewachsen und lebt heute in Dormagen und in Pforzheim. Der promovierte Diplom-Kaufmann hat zwei Töchter. Vor seiner Zeit bei den SWP, wo er seit 2019 als Bereichsleiter für Vertrieb und Kundenservices zuständig ist, arbeitete Dr. Wirsbinna bei einem kommunalen Energieversorger und in einem internationalen Energiekonzern.
Wie prognostizieren Sie die Entwicklung der notwendigen Investitionen zur Ertüchtigung des Stromnetzes?
Aik Wirsbinna: Die Weiterentwicklung der Strominfrastruktur in Deutschland spielt eine entscheidende Rolle in der Energiewende. Es sind daher Investitionen in die Verbesserung der Stromnetze erforderlich, um die steigende Elektrifizierung und die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität zu unterstützen. Durch die abgeschlossene kommunale Wärmeplanung in Pforzheim wissen wir in welchen Gebieten ein Nah- oder Fernwärmeausbau erfolgt und wo eine stärkere Elektrifizierung notwendig ist. Das Thema Mobilität stellt uns aktuell nicht vor große Herausforderungen. Kritisch für das Netz sind Schnellladepunkte, die in Autobahnnähe entstehen könnten. Die möglichen Standorte sind uns hier bekannt. Vor größere Herausforderungen stellen uns Anfragen zu KI-Rechenzentren. Für deren Anschluss müssen Leitungen zum Übertragungsnetz gebaut werden, hierfür sind intensive Planungen und lange Vorlaufzeiten notwendig. Eine strategische Planung, die auch die kommunale Wärmeplanung umfasst, ist unerlässlich, um den Einsatz von Wärmepumpen effizient zu gestalten.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Genehmigungs- und Planungsprozessen für den Netzausbau?
Im innerstädtischen Bereich kommt die Planung gut voran, da die Abstimmungen mit der Stadtverwaltung Pforzheim erfolgen. Auch im Enzkreis gibt es keine größeren Verzögerungen. Bauchschmerzen bereiten mir eher Planungen bzgl. Anschlüsse an das Übertragungsnetz, beispielsweise hinsichtlich der Festlegung der Anschlusspunkte, der notwendigen Untersuchungen und auch der Genehmigungen. Wesentlich zu berücksichtigen sind zudem die längeren Lieferzeiten von Assets. Für Trafostationen mittlerweile mindestens ein Jahr.
Die Energiewende wird die Versorgungsaufgabe von Stromnetzbetreibern in kurzer Zeit erhöhen. Netzbetreiber werden dabei vor große Herausforderungen gestellt. Welchen Zuwachs erwarten Sie bei der Anzahl der Netzanschlüsse für Ladeinfrastruktur, PV-Anlagen und Wärmepumpen? Halten Sie die Integration der zusätzlichen Netzanschlüsse für umsetzbar?
Wir sehen einen deutlichen Anstieg insbesondere bei Wärmepumpen und PV-Anlagen, praktisch eine Verdopplung in den letzten drei Jahren. Wir reagieren darauf, indem wir Mitarbeiter zustellen, die Anträge bearbeiten, insbesondere bzgl. Einspeiseanlagen.
Ebenfalls sehen wir eine Steigerung der Anfragen zur Ladeinfrastruktur im häuslichen Bereich. Im öffentlichen Sektor hat SWP selbst in den letzten Jahren sehr viel ausgebaut. Hier sehen wir wenige Anfragen von anderen Anbietern, bspw. zum Bau von Ladestationen bei Supermärkten. Im Ergebnis steigen die Anschlusspunkte aber die Geschwindigkeit hält sich bisher in Grenzen.
Starkes Wachstum sehen wir im Wärmepumpenmarkt und im PV-Markt. Dies führt zu einer starken Veränderung der Messkonzepte, aber nicht per se zu einer Erhöhung der Anzahl der Anschlusspunkte.
Wenn jemand eine PV-Anlage und Wärmepumpe baut, benötigt er ein anderes Messkonzept. Für uns ergeben sich hieraus Investitionen in zusätzliche Kapazitäten, um die Umsetzung zu realisieren und IT-Systeme vorzuhalten, so dass eine schnelle Übertragung der Anfragen und eine Bearbeitung erfolgen kann. Handwerker- bzw. Installateurplattformen sind Beispiele, die sich für eine schnellere Umsetzung vor Ort durch digitale Unterstützung etablieren.
Welchen Einfluss könnten die Verwendung von Klein- und Großbatteriespeicher auf die Netzstabilität haben?
Speicher werden uns zukünftig helfen, Netzschwankungen auszugleichen, deshalb überlegen wir auch in Speicher zu investieren, zudem sind diese im Moment auch kommerziell interessant. Großspeicher können gut gegen die starken Preisschwankungen an den Spotmärkten und den Regelenergiemärkten optimiert werden. Wir sehen, wie stark die Schwankungen bei der Erzeugungsleistung sind und wie diese mittlerweile immer mehr zu Extremen neigen und den Bedarf an Speicherkapazitäten nach sich ziehen.
Wie sich die Marktentwicklung in Pforzheim niederschlagen wird und welcher Speicherbedarf für das Netz in Pforzheim zukünftig benötigt werden wird, wissen wir aktuell noch nicht. Wir werden uns aber stärker damit auseinandersetzen und Untersuchungen durchführen, um u.a. zu klären wie viele Speicher wir mit welcher Kapazität benötigen.
Die neue Gesetzgebung zum Smart Meter Rollout ist ein wichtiges Element zur Digitalisierung der Energiewirtschaft. Welche kurz- und langfristigen Vorteile erkennen Sie beim Rollout von Smart Metern und Steuereinheiten? Wie schreitet bei Ihnen die Entwicklung bzw. Planung der Digitalisierung und Modernisierung der Stromnetze (Smart Meter Rollout) voran? Sehen Sie den Rollout Zeitplan für realistisch an? Was für Feedback erhalten sie dabei von der Kundenseite?
Wir haben einen Rolloutplan erstellt, der sich an den gesetzlichen Vorgaben orientiert. Die technischen Vorgaben, dass Verbräuche Realtime zur Verfügung stehen und der Netzsteuerung dienen, können wir bisher noch nicht nutzen und müssen dies noch entwickeln. Abrechnungsseitig können wir den Kunden eine sehr gute Abrechnung zur Verfügung stellen und sparen die Ablesung ein. Für diesen Nutzen ist der Aufwand für die Technik aktuell aber noch zu hoch. Dies liegt daran, dass die benötigten Schnittstellen, die Gateways und die digitalen Prozesse, die Effizienzen bringen würden, bei uns noch im „Experimentierstatus“ sind. Im Zuge des Rollouts optimieren wir uns anhand der aufkommenden Fragestellungen kontinuierlich weiter, um schrittweise Effizienzen zu heben.
Im Kundensegment der Großabnehmer existiert ja bereits eine RLM-Messung und dient heute schon als Prognose.
„Smarte Themen“ wie Mieterstromprojekte werden zukünftig sehr wichtig werden. Für Mieter und Vermieter werden diese weiter an Relevanz zunehmen. Aktuell stecken diese Projekte immer noch in der technischen Kleinteiligkeit und sind extrem aufwendig. Kurzfristig sehe ich hier daher keine großen Vorteile, langfristig schon.
Dynamische Tarife bieten wir an, diese sind bisher aber Nischenprodukte. Bisher ist es nicht so, dass die Kunden „danach schreien“ dynamische Tarife angeboten zu bekommen.
Woran liegt dies? Die Spotmarktpreise neigen eben auch zu Extremen und deshalb sind die Preise in manchen Monaten aufgrund von Preisspitzen richtig teuer. Viele Kunden möchten dieses Risiko nicht tragen. Das Gesamtverständnis, dass die Preisspitzen durch sehr niedrige Preise überkompensiert werden können haben sehr wenige Kunden.
Dies sind meistens Kunden die eine PV-Anlage, ein Elektroauto und ggf. noch einen Speicher besitzen. Daher sehe ich dynamische Tarife für einen Massenmarkt aktuell noch kritisch.
Als Vorteil für die Zukunft sehe ich die Steuerbarkeit und die bessere Interaktion mit dem Kunden, allein schon hinsichtlich der Abrechnung.
Die technische Umsetzung in dem vorgegeben Zeitplan erweist sich als sehr schwierig. Hohe Sicherheitsstandards, aktuell komplizierte Prozesse sowie die Investitionssicherheit in die richtige Technik, führen zu hohen Kosten und operativen Herausforderungen. In der Praxis funktionieren viele Prozesse wie die Datenübertragung per LTE oder mit Powerline noch nicht. Die Smart Meter zählen zwar, aber die Übertragung funktioniert in der Realität noch nicht gut genug.
Langfristig werden wir sicherlich die Kunden und deren Verhalten besser prognostizieren können und auch mit KI gestützten Anwendungen viele Anforderungen besser umsetzen können.
Um die Versorgungssicherheit im Gasnetz weiterhin zu gewährleisten, müssen ggf. Investitionen in die Erneuerung und den Ausbau der Gasnetze erfolgen. Können Sie diesen Trend im Versorgungsgebiet der SWP und bei den benachbarten Verteilnetzbetreibern bestätigen? Gibt es bei der SWP bereits konkrete Maßnahmen bzw. einen Zeitplan zum strategischen Rückbau des Gasnetzes?
Wir haben sowohl ein Gasnetz, als auch eine Beteiligung an einer Gasnetztochter. Die Investitionen bei Erweiterungen wurden zurückgefahren. Erneuerungsinvestitionen gibt es nach wie vor, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau, um der Investitionsunsicherheit zu begegnen. Aktuell soll bis 2045 Klimaneutralität erreicht werden und Gas als fossiler Brennstoff spielt dann keine Rolle mehr. Meiner Meinung nach ist der Ausstieg bis 2045 kein realistisches wirtschaftliches Szenario. Es ist genügend Gas vorhanden und wird global betrachtet falsch verteilt, wenn wir uns auf ein Datum fixieren. Dennoch planen wir entsprechend und reduzieren Investitionen aufgrund der Unsicherheit auf ein Mindestmaß. Strategische Rückbaugebiete gibt es bereits für Gebiete, in denen der Ausbau mit Fern- und Nahwärme geplant ist.
Das FNB-Gas hat bei der Planung des Wasserstoff-Kernnetzes in der Nähe ihres Versorgungsgebiet den Bau von neuen Wasserstoffleitungen geplant. Wird das Thema Wasserstoff-Kernnetz bei Ihnen diskutiert? Sehen Sie in Ihrem Versorgungsgebiet weitere Anschlussmöglichkeiten bzw. Kapazitäten für einen Ausbau des Wasserstoffnetzes? Was für einen Bedarf sehen Sie in Ihrem Versorgungsgebiet?
Das Wasserstoffkernnetz endet in Karlsruhe und ist daher nicht ganz nahe an Pforzheim dran. Dennoch betrachten wir Wasserstoff regelmäßig als strategisches Thema und bewerten für uns als kleines mittelständiges Stadtwerk die zukünftige Entwicklung. Aktuell gehen wir davon aus, dass Wasserstoff zunächst von der Industrie nachgefragt werden wird, so dass noch Zeit vergehen wird, bis Wasserstoff für das Netzgebiet Pforzheim zur Verfügung stehen wird. Für die Produktion von größeren Mengen an kostengünstigem erneuerbarem Wasserstoff fehlen hierbei die entsprechenden Kapazitäten an erneuerbarer Stromerzeugung.
Dennoch haben wir eine Organisation geschaffen, die dieses Thema beobachtet und entwickeln wird, sobald die Relevanz für uns gestiegen ist. Ein erster Anwendungsfall könnte die Umrüstung unserer Kraftwerke von Gas auf Wasserstoff sein.
Welche zentralen Forderungen haben Sie an die Politik für die erfolgreiche Transformation zur Klimaneutralität 2045 in Bezug auf die Energienetze?
Das Wichtigste ist, dass die Investitionen finanzierbar sein müssen. Ohne Sicherheiten werden diese nicht stemmbar sein. In Pforzheim planen wir beispielsweise mittlerweile mit Investitionen in Höhe von 80 Mio. € statt früher 20. Mio. €. Dies wird sich auch auf die Ausschüttungen auswirken und damit auf die Refinanzierung von Kommunen. Wichtig ist, dass der Politik diese Kette bewusst ist und dass durch verlässliche Rahmenbedingungen Planungssicherheit für die Energieversorgungsunternehmen entsteht.
In welchen Themenfeldern tun sich Netzbetreiber aktuell schwer und können sich verbessern und damit auch positiv auf die Transformation wirken?
Eine Herausforderung für Netzbetreiber ist, das richtige Verhältnis für die notwendigen Investitionen zu finden und zu lokalisieren, wo die Investitionen im Netz am effizientesten eingesetzt werden können.
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen bilden wir aktuell viel für den Netzbereich aus und verbessern kontinuierlich unsere Attraktivität als Arbeitgeber.