Zur Person
Anja van Niersen ist eine Vordenkerin und Pionierin im Bereich Ladeinfrastruktur mit mehrjähriger Erfahrung in verschiedenen Führungspositionen. Seit 2022 ist sie CEO von Milence – einem Unternehmen, das sich dem Aufbau und Betrieb von Hochleistungs-Ladestationen in ganz Europa widmet, um den Übergang zu emissionsfreien Nutzfahrzeugen zu beschleunigen. Schon bevor sie zu Milence kam, war Anja bereits aktiv an der Gestaltung des Marktes für öffentliche Ladeinfrastruktur beteiligt, insbesondere als langjährige CEO und Vorstandsvorsitzende von Allego. Neben ihrer Rolle bei Milence ist Anja ebenfalls Vorsitzende des Aufsichtsrats von Greenchoice und Mitglied von SER Topvrouwen, einer Plattform zur Unterstützung von Frauen in Führungspositionen in den Niederlanden.
Frau van Niersen, in unserem Fortschrittsmonitor analysieren wir den Transformationsprozess der Energiewende in verschiedenen Sektoren. Wie sehen Sie die Rolle des Verkehrs und insbesondere der Lkw-Industrie bei der Reduzierung der Emissionen im Mobilitätssektor?
Anja van Niersen: Hier geht es immer um die Zahlen. Der Verkehr trägt erheblich zu den gesamten Treibhausgasemissionen (THG) in Europa bei, wobei Nutzfahrzeuge für etwa 28-29 % der CO2-Emissionen im Mobilitätssektor verantwortlich sind. Daher müssen wir den Lkw-Verkehr so schnell wie möglich dekarbonisieren.
Wie bewerten Sie die aktuelle Marktentwicklung von Elektro-Lkw in Europa und speziell in Deutschland? Was unterscheidet den deutschen Markt von den Nachbarländern mit höheren E-Lkw-Zulassungsraten?
Wir beobachten unterschiedliche Geschwindigkeiten und kulturelle Unterschiede in Europa hinsichtlich der Einführung von Elektro-Lkw. Viele Speditionsunternehmen haben erste Erfahrungen durch Pilotprojekte mit Elektro-Lkw gesammelt und beginnen nun, größere Fahrzeugbestellungen aufzugeben, was eine wachsende Bereitschaft zum Übergang in Richtung des Elektroantriebs zeigt. Die Geschwindigkeit der Einführung variiert jedoch erheblich zwischen den Ländern aufgrund der vorhandenen Infrastruktur, regulatorischer Anreize und betrieblicher Einschränkungen. Der europäische E-Lkw-Markt gewinnt an Dynamik, wobei einige Länder – wie die Niederlande und Skandinavien – bei der Ladeinfrastruktur bereits eine Vorreiterrolle einnehmen. Als Europas größter Lkw-Markt spielt Deutschland eine entscheidende Rolle bei der Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs. Auch wenn die Einführung im Vergleich zu einigen Nachbarländern langsamer vonstatten geht, beschleunigen jüngste politische Maßnahmen, wie die Einführung einer CO2-basierten Straßenmaut, allmählich den Übergang. Große Logistikunternehmen und Flottenbetreiber integrieren zunehmend Elektro-Lkw in ihren Betrieb. Wir rechnen mit einem deutlichen Marktwachstum, sobald im Markt eine hinreichende Angleichung von Nachfrage und Produktion erreicht wird.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Treiber des Übergangs zu emissionsfreien Lkw? Welche Bedeutung haben niedrige Gesamtbetriebskosten („Total cost of ownership“, TCO) für den Markterfolg von elektrischen Lkw?
Die Logistikbranche ist von Natur aus innovativ, wird jedoch immer von finanziellen Erwägungen geleitet, insbesondere den TCO. Da Logistikunternehmen mit sehr niedrigen Margen arbeiten, gäbe es für diese Unternehmen kaum einen Anreiz in Elektro-Lkw zu investieren, wenn diese keine günstigen TCO bieten würden. Jede Entscheidung in der Logistik wird von finanziellen Faktoren motiviert. Darüber hinaus ist auf dem heutigen Markt vor allem die Zuverlässigkeit bei den Lieferzeiten der Fahrzeuge von größter Bedeutung.
Trotz des höheren Anschaffungspreises – von dem wir wissen, dass er mit steigenden Produktionsvolumen sinken wird – weisen Elektro-Lkw schon heute niedrigere Kilometerkosten auf, insbesondere im Fernverkehr. Bei Langstreckeneinsätzen können Elektro-Lkw bereits jetzt einen wirtschaftlichen Vorteil bieten und werden wahrscheinlich die Ersten sein, die eine TCO-Parität mit Diesel-Lkw erreichen werden. Dies wird durch die erhöhte Lebensdauer von Elektro-Lkw unterstützt, die problemlos 7-8 Jahre halten und über eine Million Kilometer zurücklegen können, verbunden mit dem geringeren Wartungsbedarf und den Vorteilen von Over-the-Air-Updates. Heute werden Fahrzeugflotten in der Regel bereits nach 4-5 Jahre erneuert.
Wir beobachten verschiedene Akteure entlang der Logistik-Wertschöpfungskette, die ein Interesse an der Elektrifizierung der Lkw-Flotte haben. Sehen Sie den Impuls für den Umstieg auf E-Lkw eher von Logistikunternehmen oder dessen Endkunden kommen?
Der Impuls für Elektro-Lkw kommt hauptsächlich von Logistikunternehmen. Es gibt jedoch einige einflussreiche Endkunden, insbesondere im Einzelhandel, die ihre CSRD Scope 3-Ziele erfüllen möchten, zu denen auch die emissionsfreie Logistik gehört. Die Elektrifizierung der Logistik stellt oft einen einfacheren Ansatz zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen dar im Vergleich zu anderen Bereichen, wie etwa der Dekarbonisierung von Produktionsprozessen.
Trotz vielversprechender Potenziale für OEMs und Kunden, was sind die größten Herausforderungen, mit denen OEMs konfrontiert sind, wenn sie den Übergang zur Elektrifizierung von Lkw in Betracht ziehen?
Eine der größten Herausforderungen für OEMs besteht darin, die Verfügbarkeit und Skalierbarkeit von E-Lkw-Modellen sicherzustellen. Die Einführung von Elektro-Lkw liegt jedoch nicht allein in der Verantwortung der OEMs. Auch Gewerkschaften, Verbände und staatliche Institutionen müssen ihre Rollen erfüllen. Die verschiedenen Akteure neigen dazu, die gesamte Verantwortung auf die OEMs abzuwälzen, wobei diese derzeit ebenso komplexe Vereinbarungen mit Gewerkschaften erarbeiten müssen, um notwendige Änderungen und Anpassungen vorzunehmen. Dies schafft ein vielschichtiges Umfeld, welches die Herausforderungen für die OEMs bei dieser Transformation weiter verstärkt.
Im Kontext von Pkw beobachten wir eine zunehmende Differenzierung durch Software und Softwarefunktionen mit nachlassender Differenzierung über Hardware, insbesondere bei Elektrofahrzeugen. Chinesische Hersteller sind besonders geschickt darin, schnell neue Softwarefunktionen zu entwickeln, während europäische OEMs hierbei häufig zurückbleiben. Beobachten Sie diese Bedrohung auch im Lkw-Sektor?
Ja, das ist eine durchaus denkbare Situation. Doch obwohl die jüngsten Fahrzeugpräsentationen chinesischer Hersteller vielversprechend erscheinen, befinden sie sich noch im Prototypenstadium. Europäische Marken sind nach wie vor in einer führenden Position, müssen jedoch ihre Anstrengungen beschleunigen, insbesondere was die Auslieferung und den Beginn der Serienproduktion angeht. Es ist entscheidend, dass europäische Hersteller weiterhin innovativ sind und neue Funktionen einführen, insbesondere angesichts der kurzen Innovationszyklen, zu denen chinesische Hersteller in der Lage sind. Wir müssen erheblich in die Entwicklung europäischer Fähigkeiten investieren und eine innovative Mentalität fördern, bei der Geschwindigkeit und Kreativität Vorrang vor der strikten Einhaltung von Prozesssicherheit haben. Letztendlich kann die Transformation insgesamt ein Umdenken in Bezug auf Innovation erfordern. Wir müssen Entwicklungszyklen beschleunigen und die Altlasten in den Unternehmen beseitigen, die dazu neigen, Prozesse zu verlangsamen und die Komplexität zu erhöhen. Diese Umstellung erfordert die Umwandlung großer, schwerfälliger Organisationen in agilere Einheiten, ähnlich wie die Umwandlung großer Tanker in kleinere Boote.
Wie beurteilen Sie die Relevanz alternativer Antriebsarten (neben dem batterieelektrischen Antrieb) für Nutzfahrzeuge, insbesondere für schwere Nutzfahrzeuge? Gibt es spezifische Anwendungen, bei denen eine Antriebsart vorteilhafter sein könnte als eine andere?
Wasserstoff spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Energiewende insgesamt, insbesondere für die Schwerindustrie. Wir benötigen definitiv grünen Wasserstoff als Ersatz für Erdgas und Kohle, insbesondere in Sektoren, die derzeit keine tragfähigen Alternativen haben. Es besteht jedoch eine große Herausforderung hinsichtlich des Wasserstoffbedarfs anderer Industrien im Vergleich zu dem, was nachhaltig und zu vertretbaren Kosten produziert werden kann. Im Kontext der Logistik scheint Wasserstoff aufgrund des ungünstigen Preisniveaus nicht gut geeignet zu sein. Bei Transportmitteln bieten batterieelektrische Fahrzeuge die besseren TCO, eine überlegene Energieversorgung und eine höhere Effizienz. Darüber hinaus sorgt die anhaltende Diskussion über technologie-neutrale Politik für erhebliche Verunsicherung auf dem Markt. Wenn die politischen Entscheidungsträger keine klaren Entscheidungen treffen, wird dies unweigerlich den gesamten Übergang zu nachhaltigeren Transportlösungen verzögern.
Für welche Anwendungsbereiche sind Elektro-Lkw bereits heute geeignet? Welche Bereiche werden in den nächsten 3 bis 5 Jahren voraussichtlich attraktiv? Welche Fortschritte oder Meilensteine sind notwendig, um eine breite Marktdurchdringung im schweren Nutzfahrzeugsektor zu erreichen?
Derzeit kann ein voll-beladener Elektro-Lkw mit einer Batterieladung etwa 400-500 Kilometer fahren. Wenn eine untertägige Aufladung möglich ist, kann eine Reichweite von 700-800 Kilometern pro Tag erreicht werden. Obwohl der Kaufpreis eines Elektro-Lkw höher ist, fallen geringere Wartungs- und Energiekosten an. Daher werden die TCO günstiger, je mehr Kilometer gefahren werden.
Logistikunternehmen beginnen bereits ihre Strategien anzupassen, wobei ein Lkw bis zu 22 Stunden am Tag betrieben werden kann, mit zwei Fahrern pro Lkw und zwei Stunden Ladezeit. Der Fernverkehr eignet sich besonders gut für den Einsatz von Elektrofahrzeugen, da hier lange Strecken zurückgelegt werden, bei denen das Aufladen während der vorgeschriebenen Ruhezeiten oder über Nacht an Depots oder öffentlichen Ladestationen erfolgen kann. Daher ist der Langstreckenverkehr voraussichtlich der ideale Einsatzbereich für Elektro-Lkw. Die Rentabilität von Elektro-Lkw in anderen Anwendungsbereichen hängt in hohem Maße von Faktoren wie dem Anteil des Aufladens in Depots gegenüber dem Laden unterwegs, sowie der Preisgestaltung für öffentliche Ladestationen ab.
Die Umstellung auf batterieelektrische Fahrzeuge führt zu einer wachsenden Abhängigkeit vom Strommarkt, einschließlich seiner spezifischen Besonderheiten. Inwieweit beeinflussen Energiepreiserhöhungen und deren Volatilität Ihr Geschäft?
Es gibt Volatilität in jedem Markt, sei es Strom oder Diesel. Logistikunternehmen sind daran gewöhnt, diese Schwankungen als Teil ihres Kerngeschäfts zu bewältigen. Heute haben sie B2B-Verträge für Kraftstoffe, und in Zukunft werden sie auch B2B-Lösungen für das Laden einführen. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es ihnen, die Herausforderungen, die sich aus den Energiepreisänderungen ergeben, effektiv zu meistern.
Das zweite viel diskutierte Thema neben den E-Lkw selbst ist die erforderliche Ladeinfrastruktur. Welche Rolle spielt die Ladeinfrastruktur bei der Akzeptanz von Elektro-Lkw auf dem Markt? Wie schnell werden wir Ihrer Meinung nach in der Lage sein, die notwendige Ladeinfrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge in Europa bereitzustellen?
Die Ladeinfrastruktur spielt eine entscheidende Rolle bei der Akzeptanz von Elektro-Lkw auf dem Markt. Sie muss in erster Linie verfügbar und zuverlässig sein, um Vertrauen bei den Nutzern zu schaffen. Derzeit können Elektro-Lkw bereits an mehreren Pkw-Ladestationen mit 400 kW CCS aufgeladen werden. Es besteht jedoch ein großer Bedarf an speziell für Lkw konzipierter Ladeinfrastruktur. Diese Infrastruktur sollte sicher und geschützt sein, eine Durchfahrtsmöglichkeit bieten und den Fahrern die erforderlichen Annehmlichkeiten zur Verfügung stellen.
Wie beurteilen Sie den Fortschritt des aktuellen Ausbaus der E-Lkw-Ladeinfrastruktur in Deutschland und anderen europäischen Ländern? Welche Abdeckung halten Sie in den nächsten 1, 3 oder 5 Jahren für erreichbar?
Die Priorität sollte darin bestehen, die relevanten europäischen Korridore für Elektro-Lkw zu öffnen und ich erwarte, dass wir diese innerhalb der nächsten 1,5 Jahre in Betrieb sehen werden, insbesondere in Regionen mit besonders hoher Akzeptanz von Elektro-Lkw. Die AFIR-Vorgabe für einen Ladepunkt alle 120 Kilometer ist zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig. Ein Standort alle 150-200 Kilometer wäre ausreichend, um den aktuellen Bedarf zu decken. Folglich benötigen wir keine übermäßige Anzahl von speziellen Lkw-Ladestationen, insbesondere wenn wir Megawatt-Ladesysteme („Megawatt charging systems“, MCS) effektiv und effizient einsetzen. Derzeit gibt es Pläne für 50.000 Lkw-Ladepunkte in ganz Europa, wobei wir mit einem intelligenten Ausbau bereits mit der Hälfte oder sogar einem Viertel dieser Zahl eine solide Abdeckung erreichen könnten.
Wie wichtig ist die Entwicklung von Schnelllade-Lösungen (MCS) und die Standardisierung von Ladeanschlüssen, um eine schnelle und einfache Ladeinfrastruktur für E-Lkw zu gewährleisten?
Bei Milence haben wir uns aufgrund der hohen Ladeleistung und Zuverlässigkeit entschieden, uns stark auf MCS zu konzentrieren. Mit MCS ist es möglich, während der täglichen Ruhezeiten mit über 600 kW zu laden und hierbei eine deutlich höhere Zuverlässigkeit mit einer Verfügbarkeit von bis zu 99 % zu erreichen. Im Gegensatz dazu sind die üblichen 400 kW CCS-Ladesysteme über lange Zeiträume auf Gleichstrom angewiesen, was sie für Lkw weniger zuverlässig und anfälliger für Unterbrechungen macht als für Pkw. Darüber hinaus sind die Anbieter von MCS-Hardware mit Kapazitäten von bis zu 3,5 MW gut gerüstet um Hochspannungs-Ladesysteme zu bauen, was MCS zu einer robusten und ausgereiften Lösung macht. MCS kann auch auf einen Ladebedarf von 50 kW oder 400 kW heruntergestuft werden und bietet somit mehr Flexibilität bei der erforderlichen Ladeleistung.
Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptschwierigkeiten beim Aufbau der Ladeinfrastruktur für Elektro-Lkw, insbesondere im Vergleich zur Ladeinfrastruktur für Pkw? Gibt es regionale Unterschiede, die diese Herausforderungen verstärken?
Der Markt für Lkw-Ladeinfrastruktur stellt im Vergleich zum Pkw-Markt spezifische Herausforderungen dar. Die Routen von Lkw-Flotten sind im Allgemeinen sehr vorhersehbar und Lkw haben höhere Anforderungen an die Betriebszeit. Durch eine genaue Analyse der Routen können wir feststellen, wo Ladestationen benötigt werden, wobei deren Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von höchster Bedeutung sind. Sowohl Depot- als auch öffentliche Ladestationen erfordern ausreichend dimensionierte Netzanschlüsse, was eine erhebliche Hürde darstellen kann. Darüber hinaus ist für die Einrichtung einer Ladestation eine beträchtliche Anzahl von Genehmigungen erforderlich, was den Prozess verkomplizieren kann. Es gibt zudem erhebliche regionale Unterschiede im Status quo der Netzbetreiber in ganz Europa und innerhalb Deutschlands. Es gibt Tausende von verschiedenen Anbietern, die sich in unterschiedlichen Phasen der Digitalisierung befinden und sich hinsichtlich der allgemeinen betrieblichen Kompetenzen unterscheiden.
Einige Netzbetreiber sind sehr zukunftsorientiert, innovativ und digitalisiert, bei denen Vorlaufzeiten von 6-7 Wochen bis zum endgültigen Angebot inklusive Kostenvoranschlag durchsetzbar sind. Im Gegensatz dazu sind andere Netzbetreiber weniger fortschrittlich und verlassen sich auf Papierprozesse, was zu Wartezeiten von über 6 Monaten führen kann, nur für eine Antwort-Mail. Derzeit hängt die Vorlaufzeit für den Ausbau der E-Lkw-Ladeinfrastruktur stark von diesen Netzbetreibern ab, wobei keine Auswahl für bestimmte Standorte getroffen werden kann. Der gesamte Prozess kann zwischen drei Monaten und über zwei Jahre dauern. Wenn wir es mit der Energiewende ernst meinen, brauchen wir einen europäischen oder nationalen Rahmen, um die Prozesse für den Aufbau der Ladeinfrastruktur zu vereinheitlichen, insbesondere in Bezug auf Netzanschlüsse und Genehmigungen. Es ist wichtig, dies als kritische Infrastruktur zu behandeln und nicht zuzulassen, dass individuelle und lokale Genehmigungen und Verfahren das Tempo der Entwicklung bestimmen.
Wie gehen Sie mit den Herausforderungen um, die mit der Unsicherheit bei dem Ausbau von Standorten verbunden sind? Nutzen Sie die Möglichkeiten, die das "Grid Grabbing" bietet?
Wir bei Milence sind kein Unternehmen, das überstürzt die Möglichkeiten des „Grid grabbing“ ergreift, da dies oft zu einem Aufpreis für Investitionen führt, die möglicherweise nicht genutzt werden können. Stattdessen haben wir dedizierte Teams, die sich täglich mit diesen Herausforderungen befassen. Wir hoffen auf das Beste und bereiten uns zeitgleich auf das Schlechteste vor. Um diese Unsicherheit zu bewältigen, haben wir eine Standort-Pipeline eingerichtet und überwachen kontinuierlich potenzielle Standorte, wobei wir diejenigen priorisieren, die sofort verfügbar sind.
Wie nehmen Sie die nationale Entscheidungsfindung in Bezug auf Regulierung und politische Maßnahmen in Deutschland wahr, insbesondere im Hinblick auf Unsicherheiten bei Förderprogrammen? Wie verhält sich dies im Vergleich zu anderen Ländern, und was sind die Konsequenzen? Was sollte die neue Regierung in Deutschland besser oder anders machen?
Jede Regierung muss erkennen, wie wichtig es ist, dem Markt entgegenzukommen, um den raschen Aufbau einer öffentlichen Ladeinfrastruktur zu erleichtern. Die Entwicklung eines separaten „staatlichen Ladenetzes“ ist nicht besonders hilfreich. Stattdessen sollte der Fokus auf der Bereitstellung klarer Richtlinien, der Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens und der Bereitstellung ausreichender Netzanschlüsse liegen. Andere Länder sind in diesen Bereichen bereits fortgeschrittener als Deutschland.
Die Regierung muss sicherstellen, dass das Ausbautempo der Ladeinfrastruktur erhöht werden kann. Deutschland ist ein kritischer Markt für den Transportsektor, da hier viele Kilometer zurückgelegt werden, wodurch der Ausbau der Ladeinfrastruktur oberste Priorität haben muss. Auf diese Weise kann die Regierung Vertrauen in den Markt und bei den E-Lkw-Käufern schaffen, was letztlich die Einführung und Durchsetzung von E-Lkw fördern wird.
Wie kann die Ladeinfrastruktur für Elektro-Lkw in das bestehende Stromnetz integriert werden? Was sind die größten Herausforderungen und Risiken? Werden verfügbare Netzanschlüsse bzw. die Netzanschlusskapazität ein Problem darstellen? Und was sind mögliche Lösungen, um diese Herausforderung zu überwinden?
Milence hat bereits erste Batteriespeichersysteme („Battery energy storage systems“, BESS) eingesetzt, um diese Herausforderung zu bewältigen. BESS können für das Lastspitzenmanagement genutzt werden, da eine Lastverteilung für das Laden von Lkw angesichts der hohen Anforderungen an Auslastung und Betriebszeiten nicht akzeptabel ist. Andererseits können BESS-Systeme durch Battery-to-Grid (B2G) Anwendungen bei der Netzstabilisierung während „Dunkelflauten“ helfen.
Das Energiemanagement eines Standorts wird sich voraussichtlich zu einer Schlüsselkompetenz bei der effektiven Integration von Ladeinfrastruktur in das bestehende Stromnetz entwickeln. Wenn wir in der Lage sind, das Laden von E-Lkw als Chance für Netzbetreiber zu nutzen, können wir eine Win-Win-Situation für beide Parteien schaffen. Dies gilt insbesondere, wenn dies mit der Produktion erneuerbarer Energien kombiniert wird, beispielsweise durch die Einrichtung von Ladeparks in der Nähe von Windkraftanlagen.
Welche Technologien oder Konzepte im Bereich der Ladeinfrastruktur halten Sie in den nächsten 5 bis 10 Jahren für besonders vielversprechend?
Unser Fokus liegt auf MCS, hauptsächlich aufgrund der Vorteile in Bezug auf Ladeleistung und Zuverlässigkeit. Darüber hinaus wird das Energiemanagement am Ladepark entscheidend sein, um die direkte Integration erneuerbarer Energien, größere Batteriekapazitäten und höhere Ladegeschwindigkeiten zu ermöglichen. Vehicle-to-Grid (V2G) Technologie sind für Elektro-Lkw wahrscheinlich nicht sinnvoll anwendbar, da hierdurch die Betriebsbereitschaft eingeschränkt werden kann und grundsätzlich keine Ausfallzeiten toleriert werden können.
Darüber hinaus erwarten wir, dass künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle für Logistikunternehmen spielen wird. KI kann die Routenplanung vereinfachen und die Vorhersagefähigkeiten verbessern. So können Unternehmen die zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten benötigte Energiemenge ermitteln, sowie deren Preisgestaltung und Abrechnung optimieren.