Zur Person
Matthias Ohl ist studierter Wirtschaftsingenieur und seit Anfang 2024 Sprecher der Geschäftsführer der Iqony Fernwärme GmbH. Zuvor war er seit Januar 2021 deren technischer Geschäftsführer. Vor seinem Wechsel nach Essen leitete er fünf Jahre lang den Bereich Erzeugung Strom & Fernwärme bei der WSW Energie und Wasser AG, Wuppertal.
Die Wärmewende rückt zunehmend in den Fokus der klimaneutralen Transformation des Energiesektors. Welche Rolle kann und sollte die Fernwärme aus Ihrer Sicht dabei spielen?
Mathias Ohl: Wenn die sogenannte Wärmewende, also die Umstellung der Wärmeversorgung in Deutschland auf klimaschonende und schließlich klimaneutrale Wärmequellen, gelingen soll, dann muss und wird die Fernwärme dabei eine wichtige Rolle spielen. Denn sie bietet eine ganze Reihe von technischen Vorteilen: Sie kann Abwärme z.B. aus Industriebetrieben nutzbar machen und sie erspart den Kundinnen und Kunden viele Kosten und eigene Mühen, weil die keine eigene Zentralheizung mehr benötigen und sich auch nicht mehr selbst Gedanken machen müssen, wie sie ihre Heizung klimaneutral machen können – das erledigt nämlich auch der Fernwärmeversorger. Hinzu kommt: Auch rein technisch ist Fernwärme unverzichtbar, denn ein flächendeckender Umstieg etwa auf Wärmepumpen ist keine Option, weil dies erhebliche Investitionen in die Netzinfrastruktur erforderte und die Netze von ihrer Leistungsfähigkeit darauf bisher gar nicht ausgelegt sind.
Die Fernwärme steht vor zwei Herausforderungen: Wie kann der Gleichklang von Ausbau und Dekarbonisierung gelingen und gleichzeitig bezahlbar bleiben?
Exakt die richtige Frage. Fakt ist, dass in die Fernwärme massiv investiert werden muss, um zum einen die Transformation in Richtung Klimaneutralität hinzubekommen und gleichzeitig zu wachsen. Darüber hinaus erfordert die Projektentwicklung, Planung, der Bau und die Inbetriebnahme von technischen Projekten vor der eigentlichen Investition völlig neue und zusätzliche Anforderungen an die Organisation eines Fernwärmeversorgungsunternehmens. Um den oben genannten Gleichklang zu erreichen, ist es entscheidend, dass wir es als Unternehmen schaffen, trotz zahlreicher Unabwägbarkeiten, immer wieder ökologisch, technisch und ökonomisch robuste Investitionsentscheidungen zu treffen und diese dann auch in Time, Budget und Quality umzusetzen. In strategischen Analysen sehen wir aber, dass auch eine transformierte Fernwärme insbesondere in Ballungsräumen langfristig wettbewerbsfähig ist. Ein adäquater und verlässlicher Förderrahmen ist natürlich eine wichtige Voraussetzung dafür.
Welche Strategie verfolgen Sie für die grüne Transformation der Iqony Fernwärme GmbH?
Wir haben uns bereits vor einigen Jahren auf den Weg gemacht, einen Transformationsfahrplan hin zu einer klimaneutralen Zukunft der Fernwärmeversorgung zu erarbeiten. Dabei haben wir bewusst in verschiedenen Szenarien gedacht, um möglichst auch auf Entwicklungen vorbereitet zu sein, die sich auf dem Weg dorthin einstellen, aber bei Start des Prozesses so nicht vorhersehbar waren.
Auf diese Weise wollen wir flexibel bleiben und zugleich das konzerneigene Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, im Blick behalten. Wir setzen dabei auf einen Mix an Wärmequellen, wobei insbesondere auch die Themen industrielle Abwärme, direkt nutzbar oder in Kombination mit Wärmepumpen, und Umweltwärme eine wesentliche Rolle spielen. Zugleich braucht es Investitionen in Wärmespeicher, weil zum Beispiel die Wärme aus Industrieprozessen nicht immer genau dann anfällt, wenn unsere Kundinnen und Kunden gerade Wärme nachfragen. Speicher helfen hier, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Wie das aussieht, kann man in Gelsenkirchen beobachten, wo wir jüngst den Bau eines solchen Fernwärmespeichers gestartet haben. Ähnliche Projekte planen wir auch an anderen Standorten. Bei allem wird Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielen. Hierdurch bekommen wir die entscheidenden Werkzeuge in die Hand, um sowohl in der Projektentwicklung die richtigen Entscheidungen zu treffen als auch im Betrieb unseres Systems Verbesserungspotenziale zu erkennen und zu heben.
Für den Ausbau der Fernwärme sind hohe Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Ist aus Ihrer Sicht die Finanzierung dieser Investitionen gesichert? Wie beurteilen Sie den aktuellen Förderrahmen für den Ausbau?
Es ist offenkundig, dass wir in Deutschland mehr Investitionen in Infrastruktur brauchen. Dabei geht es nicht nur um Brücken, Schienenwege, Straßen oder Schulen, sondern auch um die Energieinfrastruktur: Wenn wir die Transformation unseres Energiesystems schaffen wollen, dann müssen wir hier Geld in die Hand nehmen. Denn klar ist auch: Ein Festhalten an fossilen Energieträgern kommt uns auf mittlere und lange Sicht noch viel teurer zu stehen. Weil sich aber die Projekte zur Erschließung neuer Wärmequellen für die Fernwärme oft nicht wirtschaftlich rechnen, braucht es öffentliche Förderungen, um die Transformation erfolgreich meistern zu können. Davon profitieren alle – Klima und Umwelt ebenso wie die Kundinnen und Kunden, denen damit etwa CO2-Kosten und Preisrallyes bei den konventionellen Energieträgern erspart bleiben. Den aktuellen Förderrahmen bewerten wir grundsätzlich positiv, wobei es elementar wichtig ist, haushaltsfinanzierte Förderprogramme mit ausreichenden Mitteln auszustatten. Wenn bei uns Akteuren Unsicherheit hinsichtlich der Bereitstellung von Fördermitteln besteht, hemmt dies die Transformationsgeschwindigkeit.
Im Austausch mit Investoren nehmen wir, bezogen auf den deutschen Wärmemarkt, eine hohe Unsicherheit wahr. Hintergrund ist, dass das Fernwärmegeschäft stark durch die regulatorischen Rahmenbedingungen getrieben wird. Rechnen Sie mit einer kontinuierlichen Unterstützung des Fernwärmeausbaus und der Wärmewende durch die Bundesregierung?
Ja, denn für eine gelingende Wärmewende, gerade in den Städten, ist Fernwärme unverzichtbar: Nur sie kann die bestehenden Potenziale zur Effizienzsteigerung und Ressourcenschonung heben – z.B. durch die Einbindung von Abwärme aus Industrieprozessen – und ein flächendeckender Umstieg auf Wärmepumpen wäre aufgrund der damit verbundenen Belastung der Stromnetzinfrastruktur auch keine sinnvolle Option. Insofern wird auch jede künftige Bundesregierung, bei rationaler Betrachtung der Umstände, erkennen, dass die Fernwärme ein wichtiger Teil der Lösung sein wird. Also, unsere Bitte an die Politik: Kurs halten!
Welche Rahmenbedingungen der Politik benötigen sie, damit die Fernwärme ihre Rolle in der Wärmewende einnehmen kann?
Es braucht vor allem Verlässlichkeit und Planbarkeit: Das Fernwärmegeschäft ist aufgrund der Tatsache, dass es in hohem Maße auf einer komplexen und investitionsträchtigen Leistungsinfrastruktur beruht, ein langfristiges Geschäftsmodell. Wiederholte politische Neuausrichtungen der Wärmewende vertragen sich damit nicht, sondern schrecken eher ab, die dringend erforderlichen Investitionen zu tätigen, die es für eine erfolgreiche Wärmewende braucht. Daher sollte Kalkulierbarkeit das höchste Gebot für jede künftige Bundesregierung bei diesem Thema sein.
Die kommunale Wärmeplanung gibt allen Beteiligten vor Ort eine Orientierung über die Möglichkeiten der Wärmeversorgung. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Ansatz? Können die Fernwärmeversorger darauf aufbauen?
Zunächst einmal ist es der gesetzliche Rahmen, indem sich folgerichtig die Kommunen wie auch die Energieversorger zu bewegen haben. Davon abgesehen haben wir in den Städten, in denen wir als Fernwärmeversorger aktiv sind, mit unseren kommunalen Partnern bereits an einer langfristigen kommunalen Wärmeplanung gearbeitet, als das Kind noch gar nicht so hieß. Denn am Ende kommt es vor allem darauf an, alle relevanten Akteure an einen Tisch zu holen und dann gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, die effizient und praktikabel sind.
Wie realistisch sehen Sie die Erreichung der gesteckten Klimaziele der Städte und Kommunen in Ihrem Marktgebiet in Bezug auf die Fernwärme?
Die Steag Iqony Group hat sich bekanntlich zum Ziel gesetzt, 2040 klimaneutral zu werden. Dies schließt unsere Fernwärme ein. Diese Zielmarke liegt fünf Jahre früher als das derzeit geltende Ziel der Bundesrepublik und sogar zehn Jahre vor der Frist der EU. Am Ende wird es aber nicht darauf ankommen, ob man ein Jahr früher oder später ans Ziel kommt – wichtig ist, dass man sich auch zeitlich eine Frist setzt und dann auch auf den Weg macht. Aufschieben macht es nicht besser – weder für die Städte und Gemeinden noch für die Kundinnen und Kunden.
Fernwärme oder dezentrale Wärmepumpenlösungen – sind das aus Ihrer Sicht eher konkurrierende oder ergänzende Lösungen im Wärmemarkt der Zukunft?
Die Mischung macht es: Es ist klar, dass Fernwärme eine Reihe von technischen und wirtschaftlichen Vorteilen gerade in dicht besiedelten Räumen wie den Städten hat. Dort macht es Sinn, auf Fernwärme im Rahmen eines Technologiemixes für die Lösung der Wärmewende zu setzen. In eher dünner besiedelten, ländlichen Regionen greifen diese Vorteile nicht in gleichem Maße. Hier könnten dann andere Technologien zum Einsatz kommen - etwa auch die Wärmepumpe. In diesem Zusammenhang muss man auch noch einmal darauf hinweisen, dass mit jeder Wärmepumpe, die in einem fernwärmetauglichen städtischen Raum installiert wird, zugleich auch die Wirtschaftlichkeit des Fernwärmenetzes sinkt, weil dieses seine wirtschaftlichen Vorteile vor allem dann ausspielen kann, wenn die Anschlussquote hoch ist: Egal, wie viele Menschen in einer Straße angeschlossen sind, braucht es in jedem Falle eine Leitung. Wenn dann am Ende 30 Prozent versorgt werden, ist das offenkundig weniger wirtschaftlich für alle Beteiligten als eine Anschlussquote von 80 oder 90 Prozent.
Welche Rolle kann und sollte die Fernwärmewirtschaft beim Thema Flexibilität spielen?
Fernwärme kann sehr flexibel sein, vor allem, wenn das System mit Wärmespeichern arbeitet, wie wir dies tun: Wärme aus verschiedensten Quellen kann dann zwischengespeichert werden, um dann zur Verfügung zu stehen, wenn die Nachfrage besteht. Auf diese Weise können wir entsprechend ressourcenschonend arbeiten – das schont Klima, Umwelt und den Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher gleichermaßen.
Entstehen rund um die Flexibilität ganz neue Geschäftsmodelle für die Fernwärmewirtschaft, ähnlich den Entwicklungen auf dem Markt für große Batteriespeicher?
Diese Frage lässt sich mit einem klaren Jein beantworten: Ja, weil wir in Kooperation mit neuen Partnern neue klimaneutrale und ggf. dargebotsabhängige Wärmequellen erschließen. Außerdem ja, weil sich die Art und Weise, wie wir die Fernwärmebereitstellung ökonomisch und ökologisch optimieren, aufgrund der zunehmenden Volatilität von Wärmeaufkommen und Preisen im Laufe der nächsten zwei Jahrzehnte massiv verändern wird. Und nein, weil unser eigenes Geschäftsmodell im Grunde unverändert bleibt: Wir liefern unseren Kundinnen und Kunden verlässlich und kostenbewusst klimaschonende Wärme ins Haus. Das wird für uns immer die führende Größe sein, die den Rahmen für Flexibilität setzt.
Wird die Rolle von Wasserstoff bei der Wärmeerzeugung von der Politik unter- oder überschätzt?
Wir haben Wasserstoff ebenfalls in unseren Szenarien für einen Transformationspfad hin zu Klimaneutralität betrachtet, sind aber zu der Einschätzung gelangt, dass dieser Energieträger im Wärmebereich wohl eher mittel- und langfristig eine Rolle spielen könnte. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die allgemeine Euphorie um Wasserstoff als Schlüsselelement der Energiewende zuletzt merklich abgeflaut ist. Das liegt wohl in erster Linie daran, dass es derzeit noch keinen funktionierenden Markt gibt und die Geschäftsmodelle von Erzeugern und Abnehmern hinsichtlich einer Preisbildung für das Produkt noch auf keinen gemeinsamen Nenner kommen.