Zur Person
Dr. Egbert Laege ist seit Juni 2022 Geschäftsführer und seit Februar 2023 Chief Executive Officer (CEO) von SEFE. Von April bis November 2022 verwaltete er SEFE als Treuhänder der Bundesnetzagentur.
Egbert Laege ist seit 25 Jahren im Energie- und Rohstoffhandel tätig und hatte verschiedene leitende Positionen in den Bereichen Strom- und Gashandel, Asset-Optimierung, Strategie und Rohstoffhandel inne. Vor seiner Tätigkeit bei SEFE war er unter anderem Mitglied des Vorstands der European Energy Exchange und Präsident und CEO der Gas Börse POWERNEXT, CEO der EEX Asia in Singapur und hatte verschiedene Führungspositionen bei E.ON übernommen, zuletzt als Mitglied des Vorstandes der Ruhrgas sowie der Handelsgesellschaft E.ON Global Commodities. In Anerkennung seiner langjährigen Beiträge als EFET-Vorstandsmitglied ist Egbert Laege Ehrenmitglied des Vorstands der European Federation of Energy Traders (EFET).
Er hat einen Abschluss in Energietechnik und Energiewirtschaft von der Universität Stuttgart, Deutschland, der University of Arizona (USA) sowie einen Doktortitel in Energiewirtschaft.
SEFE spielt eine zentrale Rolle in der deutschen Energieversorgung. Wie sieht Ihre langfristige Strategie für klimaneutralen und dekarbonisierten Wasserstoff aus, insbesondere im Kontext der aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen?
Egbert Laege: Unsere Wasserstoffstrategie ist fest eingebettet in die Gesamtstrategie. Sie verfolgt das Ziel, die Versorgungssicherheit heute zu gewährleisten und diese gleichzeitig, durch das Vorantreiben der Dekarbonisierung, für die Zukunft zu gestalten.
Für uns ist die Dekarbonisierung das Thema des Jahrhunderts. Wir müssen als Gesellschaft - aber insbesondere auch als Industrienation und als Unternehmen - eine Antwort darauf finden, wie wir sowohl Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Wirtschaft in Einklang bringen können.
Daher ist die Dekarbonisierung für uns kein Randthema, sondern ein zentrales Element unserer Strategie. Wir sind fest davon überzeugt, dass Gas-Moleküle auch in 20 bis 40 Jahren eine Rolle spielen werden, aber sie müssen dann dekarbonisiert sein.
Unsere Strategie wird von einem entscheidenden Parameter getrieben: Das, was wir unseren Kunden anbieten, muss bezahlbar sein. Das bedeutet, dass unsere Industrie und Wertschöpfungsketten in Deutschland – und auch in Europa – wettbewerbsfähig bleiben müssen; heute und in der Zukunft. Wenn dekarbonisierte Energie nicht bezahlbar ist, wird diese auch nicht angenommen.
Die Bezahlbarkeit von Energie ist der entscheidende Faktor für den Zeitplan der Energiewende – und genau das führt uns direkt zur Diskussion über die politischen Rahmenbedingungen. Der ambitionierte politische Rahmen in Europa und Deutschland muss die Bezahlbarkeit stärker in den Fokus rücken. Der fehlende Fokus ist einer der Hauptgründe, warum der Fortschritt in einigen Bereichen nicht so schnell vorangeht, wie es politisch ursprünglich gewünscht war. Wir müssen ehrlich darüber sprechen: Alles, was wir tun – sowohl im Heute als auch in der dekarbonisierten Zukunft – muss für die Industrie und den Verbraucher bezahlbar sein.
Wie spiegelt sich das vor dem aktuellen geopolitischen Hintergrund wider?
Versorgungssicherheit spielt in einer Welt, die geopolitisch weniger berechenbar ist, eine noch größere Rolle als zuvor. Für eine Energieimportregion wie Europa – und ein Energieimportland wie Deutschland – ist Diversifizierung entscheidend. Unterschiedliche geografische Quellen, verschiedene Vertragspartner und unterschiedliche Preisindexierungen für Produkte sind essenziell. Das war auch früher wichtig, aber wir haben 2022 schmerzhaft gelernt, was passiert, wenn man diesem Thema nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt. Die Diversifizierung ist eine zentrale Grundlage unseres Portfolios und daher eine unserer strategischen Prioritäten – sowohl für nicht-dekarbonisierte Gase als auch für dekarbonisierte Gase wie Wasserstoff.
Wir betrachten die Dekarbonisierung nicht nur aus der Perspektive CO₂-freier Gase, sondern auch im Hinblick auf nachhaltig erzeugten Strom. Wir wissen, dass die Nachfrage nach Erdgas langfristig sinken wird. Wir erwarten nicht, dass das gesamte Volumen alles durch Wasserstoff ersetzt wird – nur der Teil, der anderweitig schwierig zu substituieren ist, der sogenannte „hard to abate“ Anteil, während der andere Teil durch erneuerbaren Strom ersetzt wird. Unser Ziel ist es, unseren Kunden Lösungen zu bieten und uns nicht nur auf Moleküle zu beschränken.
Die Bundesregierung hat das Ziel von zehn Gigawatt Elektrolysekapazität bis 2030. Gleichzeitig sehen wir, dass die Wasserstoffproduktion – unabhängig von der Farbe – in Deutschland um rund 12 % gesunken ist. Was sind die größten Hemmnisse, abgesehen von der Bezahlbarkeit? Und welche Maßnahmen könnten helfen, den Hochlauf zu beschleunigen?
Die Entscheidung, auf Dekarbonisierung zu setzen, ist und war absolut richtig. Es gehört zu den Aufgaben der Politik, ambitionierte Ziele zu formulieren. Dann gibt die Politik den Ball an die Industrie weiter, die überlegt, wie sie diese Ziele umsetzen kann. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das Wasserstoff-Kernnetz. Es wurde definiert, in die Regulierung eingebracht und so Investitionssicherheit für alle geschaffen, die investieren wollen oder müssen. Wir als SEFE investieren in den nächsten fünf Jahren über drei Milliarden Euro in das Wasserstoffnetz.
Allerdings haben wir noch nicht alle Herausforderungen adressiert. Ein zentrales Problem ist die Preisdifferenz zwischen dem, was Kunden für Wasserstoff zu zahlen bereit wären, und den tatsächlichen Produktionskosten. Die sehr hohen Anforderungen an Wasserstoff und seine Qualität haben dazu geführt, dass die Kosten bisher nicht gesenkt werden konnten. Die gute Nachricht ist, dass wir uns in den letzten 18 Monaten zunehmend in Richtung Technologieoffenheit entwickelt haben – unter anderem auch in Bezug auf CCS.
Wir müssen die Erzeugungskosten für Wasserstoff senken, um das Angebot an bezahlbarem Wasserstoff zu erhöhen. Die Nachfrage ist da, aber der Markt funktioniert noch nicht, weil es ein Angebots- und Preisproblem gibt – es ist derzeit einfach noch nicht wirtschaftlich.
Viele Stakeholder gehen davon aus, dass Deutschland 20–30 % des Wasserstoffs in Deutschland produzieren wird und den Rest importiert. Halten Sie diese Aufteilung für realistisch?
Die Gestehungskosten für Wasserstoff sind in Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung und guten Windverhältnissen deutlich niedriger – etwa im Nahen Osten, Nordafrika oder Südamerika. Dazu kommen zwar noch Transportkosten, aber die gleichen die Kostendifferenz zur heimischen Produktion bei weitem nicht aus.
Unser Unternehmen konzentriert sich stark auf den Import, weil wir hier unsere Kernkompetenz sehen. Ob Deutschland nun 20, 30 oder 40 % selbst produziert, ist aus heutiger Sicht nicht relevant, denn das wird letztendlich der Markt entscheiden. Wichtig ist, dass wir überhaupt Mengen zu wettbewerbsfähigen Preisen sichern, um unsere Kunden effizient zu dekarbonisieren.
Wir setzen dazu auf Kooperationen, zum Beispiel mit ACWA Power in Saudi-Arabien und mit Eletrobras und EnerTech in Brasilien, bei denen wir vor Ort produzierten erneuerbaren Strom nutzen.
Gibt es politische oder regulatorische Hemmnisse, die Sie für den Hochlauf des Wasserstoffmarktes beseitigt sehen wollen?
Regulatorische Hemmnisse sind aktuell mit das größere Problem. Wir müssen sicherstellen, dass importierter Wasserstoff – egal ob klimaneutral oder dekarbonisiert – auch als solcher anerkannt wird. Es kann nicht sein, dass wir Wasserstoff aus erneuerbaren Energien importieren und er dann hier nicht als „grün“ eingestuft wird, weil er nicht in Europa produziert oder der dafür benötigte erneuerbare Strom nicht zur gleichen Stunde erzeugt wurde.
Langfristig kann und sollte die Finanzierungslücke zwischen Angebot und Nachfrage nicht durch dauerhafte Subventionen geschlossen werden - wir brauchen also mehr Pragmatismus. Wir müssen uns darauf konzentrieren, Erzeugungskosten zu senken und regulatorische Barrieren abzubauen.
SEFE hat eine starke Erdgas-Historie. Welche Rolle spielt blauer Wasserstoff als Brückentechnologie in Ihrer Strategie?
Für uns gilt „Pragmatismus vor Perfektionismus“ – wir brauchen blauen Wasserstoff und CCS. Ohne CCS und blauen Wasserstoff wird der Übergang nicht wirtschaftlich machbar sein. Unser Vertrag mit der norwegischen Equinor enthält bereits entsprechende Passagen, aber es fehlt an einem regulatorischen Rahmen für blauen Wasserstoff auf der Erzeugungs- und Nachfrageseite. Das ist ein Problem, denn wir brauchen diesen Übergang, um die Industrie wettbewerbsfähig zu halten.
Welche konkreten Maßnahmen sollten aus Ihrer Sicht politisch ergriffen werden, um den Markthochlauf für Wasserstoff zu beschleunigen?
Auch wenn ich mich wiederhole: Pragmatismus statt Perfektionismus muss die Devise sein. Wir müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, um das Angebot an Wasserstoff zu steigern, anstatt uns in regulatorischen Details und Farbenlehren zu verlieren. Allerdings muss auch die Energiewirtschaft selbst Verantwortung übernehmen. Es kann nicht nur darum gehen, Probleme zu beschreiben und auf den Staat zu warten. Unternehmen müssen bereit sein, zu investieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.