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Alemany: "Energiewende braucht klare Regeln und enge Zusammenarbeit"

Aurélie Alemany, Vorsitzende des Vorstandes enercity, über die Best Practices der enercity.

Aurélie Alemany über die Stadtwerkestudie 2025

© enercity

Aurélie Alemany hat am 1. Juli 2024 den Vorsitz des Vorstandes der enercity AG übernommen. Die 49-jährige Französin war zuvor CEO des Speicherherstellers Senec GmbH und Geschäftsführerin der Yello Strom GmbH. Ihre Karriere umfasst auch verschiedene Führungspositionen bei der EnBW und mehrere Jahre in der Chemiebranche. Frau Alemany ist eine treibende Kraft für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die digitale Energiewende und betont die Bedeutung eines cleveren Energiemanagements, um die Energiewende gemeinsam mit Kunden und Kundinnen und Mitarbeitenden erfolgreich umzusetzen.


Frau Alemany, welche Trends und Entwicklungen, die die Stadtwerke betreffen könnten, erwarten Sie in den nächsten zwei bis fünf Jahren?

Alemany: Ich glaube, wir stehen gerade an einem entscheidenden Punkt bei der Umsetzung der Energiewende, beeinflusst sowohl durch den Regierungswechsel als auch durch globale Herausforderungen. Dabei haben wir schon wirklich viel erreicht: Auf der Stromseite haben wir fast 60 Prozent erneuerbare Energien integriert. Wir sind da weiter auf einem guten Weg, wissen jedoch, wie herausfordernd es ist, insbesondere die letzten 20 Prozent zu erreichen. Das erfordert eine weitere Flexibilisierung der Erzeugung und die Digitalisierung der Netze, um Systemstabilität zu gewährleisten und Investitionen in zentrale Kapazitäten zu minimieren. Wir sollten so wenig zentrale Kapazitäten wie möglich aufbauen, aber so viel wie notwendig. Bei der Wärmewende stehen wir in Deutschland noch eher am Anfang, hier muss in den nächsten zwei bis fünf Jahren viel in Angriff genommen werden, insbesondere die Verzahnung von Wärme- und Energiewende ist dabei entscheidend. Bei alle dem sind die Effizienz und Bezahlbarkeit der Energiewende das entscheidende Thema. Große Investitionen müssen finanziert werden, und es ist immens wichtig, dass die Diskussionen über die Kosten nicht dazu führen, dass wir die Energiewende aufgeben. Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Zusammenfassend erwarte ich, dass wir die Energiewende weiter kraftvoll fortsetzen, dass wir dabei mehr auf Effizienz achten, Digitalisierung und Flexibilität in den Fokus rücken und die Verzahnung von Wärme- und Energiewende vorantreiben, um die Geschwindigkeit insgesamt zu erhöhen.

Im Zuge der Energiewende haben sich die regulatorischen Anforderungen und gesetzlichen Vorgaben erheblich ausgeweitet. Welche Rolle spielen diese Rahmenbedingungen für die Tätigkeiten von Stadtwerken?

Gesetzliche Rahmenbedingungen und regulatorische Anforderungen spielen eine entscheidende Rolle für die Stadtwerke und die gesamte Branche. Wir sollten uns fragen, welche Vorgaben unbedingt notwendig sind. Der Fokus sollte auf dem liegen, was von der Europäischen Union und von Deutschland vorgegeben wird. Dabei würde ich mir mehr Anreize, mehr Marktwirtschaft und weniger Regulierung wünschen.

Wie würden Sie das aktuelle regulatorische Umfeld für Stadtwerke allgemein bewerten und sehen Sie darin eher Chancen oder Risiken?

Ich möchte zunächst etwas sagen, was vielleicht unkonventionell klingt: Die Energiewirtschaft arbeitet mit der Politik und der Bundesnetzagentur eng zusammen, um einen optimalen Rahmen zu schaffen. Ich sehe große Chancen in dieser Zusammenarbeit, damit eine Balance zwischen Regulierung und Marktmechanismen gefunden wird. In den letzten zehn Jahren stand die Regulierung zu stark im Fokus. Ich bin aber überzeugt, dass wir gemeinsam mit der Politik die Balance wiederherstellen können.

Der Dialog zwischen Politik und Energiewirtschaft, etwa über die Branchenverbände BDEW und VKU, zeigt Wirkung. Es besteht ein dringender Unterstützungsbedarf, insbesondere bei der großen Reform der Netzentgelte, der Weiterentwicklung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes und der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze. Diese Reformen sind entscheidend.

Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt in der Energiewende, und ich glaube, dass wir im Zielbild mehr Markt und weniger staatliche Vorgaben erreichen können. Letztendlich müssen wir die Entbürokratisierung gemeinsam angehen, auch mit dem BDEW, dem VKU oder mit den 8KU. Entscheidend ist, dass wir gemeinsam bewerten, wie praxisnah, effizient, planbar und zuverlässig die Rahmenbedingungen sind, um sie ggf. gemeinsam anzupassen.

Wir als enercity haben das absolute Commitment, die Energie- und Wärmewende konsequent umzusetzen. Wir sind Frontrunner. Dafür benötigen wir aber Planbarkeit und Kontinuität in den Rahmenbedingungen einschließlich der Förderinstrumente. Die drei wichtigsten Schwerpunkte sind daher — und da wiederhole ich mich gerne - die Reform der Netzfinanzierung bzw. der Netzentgelte, die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und der Wärmenetzausbau.

Welche Auswirkungen haben die regulatorischen Anforderungen auf Ihre Investitionsentscheidungen und Projektplanungen? Gibt es Projektverzögerungen aufgrund von Regulierung oder vielleicht auch von nicht vorhandener Regulierung?

Zunächst einmal: Ja, die regulatorischen Anforderungen haben definitiv Auswirkungen auf unsere Projekte. Die müssen wirtschaftlich realisierbar sein, sonst ist die Finanzierung und Umsetzung der Energiewende nicht gesichert. Wir sagen immer, dass wir aus jedem Euro, den wir verdienen, wieder fünf Euro neu in die Energiewende investieren können. Aber wenn die Projekte nicht wirtschaftlich sind, dann sind Investitionen nicht sinnvoll.

Zweitens erfordert jede Veränderung aber auch Mut und Vertrauen. Die Vorbereitung und Planung der Projekte basiert auf Annahmen, und die Projektfreigabe erfolgt zum Zeitpunkt gegebener Rahmen- und Förderbedingungen. Wir können nicht immer auf die Politik warten, sondern bereiten uns vor. Deshalb können wir in Hannover als Vorreiter der Wärmewende agieren. In den nächsten 12 bis 18 Monaten werden wir jedoch wichtige Entscheidungen treffen müssen, für die auf Sicht klare Rahmenbedingungen vorliegen müssen.

Wie beeinflussen die gesetzlichen Vorgaben Ihre strategische Planung?

Wie gesagt spielen die gesetzlichen Vorgaben natürlich eine sehr wichtige Rolle bei unseren Investitionsentscheidungen und damit auch bei unserer strategischen Planung. Sie beeinflussen nicht nur die Art und Weise, wie wir Projekte planen und umsetzen, sondern auch deren wirtschaftliche Tragfähigkeit. Wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen nicht klar oder stabil sind, kann das unsere Planung erheblich erschweren, zu Verzögerungen führen oder am Ende sogar die Umsetzung unserer Strategie insgesamt gefährden.

Wo sehen Sie die größten Pain Points in Bezug auf die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und welche Best Practices könnten andere Stadtwerke übernehmen, um diese Herausforderungen zu bewältigen?

Wir als enercity unterscheiden uns von manch anderem Stadtwerk durch unsere konsequente Umsetzung der Wärmewende. Wir haben die Kommunale Wärmeplanung erfolgreich umgesetzt und eine klare Strategie entwickelt, die ich schon als Best Practice hervorheben würde. Wir haben uns entschieden, keinen Wasserstoff an Haushalte in Hannover zu liefern, sondern konzentrieren uns auf zwei Technologien: Wärmenetze und Wärmepumpen. Das kann als Vorbild für andere Stadtwerke dienen. Außerdem sehen wir uns auch als Partner für andere Stadtwerke in der Wärmewende und arbeiten schon heute mit einer ganzen Reihe an Kommunen bei der Wärmeplanung zusammen.

Insgesamt gibt es eine Menge Pain Points, die ich nicht kleinreden möchte, aber ich schaue lieber nach vorne und möchte mich auf Best Practices in der Wärmewende konzentrieren.

Lassen Sie uns noch einen Moment bei den Best Practices verweilen. Wie gehen Sie mit den sich ständig ändernden Vorschriften und Verordnungen um? Gibt es spezielle Strategien oder Prozesse, die Sie implementiert haben? Wer ist in Ihrem Unternehmen für die Überwachung dieser Änderungen verantwortlich?

Wir müssen die Änderungen unbedingt begleiten und stets aktuell bleiben. Daher haben wir in unserem Unternehmen ein Public-Affairs-Team, das im engen Austausch mit dem BDEW, dem VKU und der Politik auf nationaler und auf Landesebene in Niedersachsen steht. Das ist notwendig, um fundierte strategische Entscheidungen treffen zu können.

Als enercity haben wir uns zudem verpflichtet, die Politik aktiv mit Positionspapieren zu unterstützen. Mir als Vorstand ist dieses Thema sehr wichtig. Ich pflege engen Kontakt zu Kolleg:innen aus der Energiewirtschaft, um diese Themen zu besprechen. Wir sind als Vorstandsmitglieder in vielen Institutionen wie dem BDEW, den 8KU und dem VKU persönlich engagiert, um die notwendigen Veränderungen aktiv mitzugestalten.

Ein weiterer Punkt ist, dass Politik und Energiewirtschaft den Weitblick nicht verlieren dürfen. Die neue Bundesregierung sollte darauf achten, sich nicht in der Kleinteiligkeit des operativen Geschäfts zu verlieren, sondern sich auf langfristige Perspektiven von 5, 10, 15 oder 20 Jahren fokussieren. Je mehr wir an diesen langfristigen Themen arbeiten, desto stabiler wird die operative Umsetzung. Ich versuche, diese langfristige Sichtweise auch in unserem Managementteam zu stärken.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie hinsichtlich der Einführung der Nachhaltigkeitsberichterstattung und der entsprechenden Transparenzanforderungen für Ihr Unternehmen?

Unser Nachhaltigkeitsbericht ist eine wertvolle Unterstützung, um unsere Strategie regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. Daher betrachte ich die Idee eines flächendeckenden Nachhaltigkeitsberichts erst einmal als eine gute Chance. Allerdings besteht das Risiko, dass der Bericht zu einem „Papiertiger“ verkommt, wenn wir nur aus Pflicht publizieren, ohne dass daraus auch echte Veränderungen entstehen. Eine positive Grundhaltung ist wichtig — und deshalb begrüßen wir die Pläne zur Vereinfachung seitens der EU, um die Chancen der Entbürokratisierung zu nutzen.

Wie beurteilen Sie die Wirtschaftlichkeit des Rollouts intelligenter Messsysteme (Smart Meter) im Hinblick auf die Anforderungen des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG)?

Ich werde nicht lange über die Wirtschaftlichkeit sprechen, da wir seit über zehn Jahren über den Rollout intelligenter Messsysteme diskutieren. Es ist klar, dass dieser Rollout Kosten verursachen wird. Die Energiewirtschaft hat eine positive Haltung dazu, aber die Frage bleibt, warum es in Deutschland teurer ist als in Ländern wie Frankreich und England, die den Rollout bereits durchgeführt haben.

Wir benötigen den Rollout dringend, um damit Flexibilitäten zu schaffen. enercity bekennt sich dazu absolut und startet 2025 voll durch. Dabei würde uns eine Reduktion der Komplexität des Rollouts in Deutschland sehr helfen. Dazu gehören u. a. hohe Anforderungen an die Datensicherheit, Regelungen zu den Preisobergrenzen und die geringe Anzahl von Anbietern. Diese Faktoren treiben die Kosten in die Höhe und reduzieren letztendlich die Wirtschaftlichkeit.

Wie beeinflusst die Regulatorik die Kommunikation mit den Kund:innen in Bezug auf Preisanpassungen, Tarifbedingungen und Informationen zur Energiewende? Sehen Sie Vorteile für die Kunden und Kundinnen oder sind die Anforderungen der Politik möglicherweise zu hoch? Benötigen die Kunden all diese Informationen?

Die Regulierung hat einen erheblichen Einfluss auf unsere Kommunikation. Viele Themen, etwa die Wärmewende, können ohne die Zusammenarbeit mit der Politik nicht umgesetzt werden. Es gibt einen starken Zusammenhang und wir pflegen eine gemeinsame Kommunikation mit der Politik, die sich auch in unserer Kommunikation mit den Kunden und Kundinnen spiegelt. Die Preisgestaltung wird nicht nur durch die Energiekosten bestimmt, sondern auch durch Netzentgelte, Steuern und Umlagen. Das alles ist natürlich ebenfalls Teil unserer Kommunikation.

Wir müssen darauf achten, klar und einfach zu kommunizieren. Die Komplexität der Energiewende und der Regulierung steht dem leider entgegen. Es ist deshalb eine tägliche Herausforderung, die Regulierung in unserer Kommunikation zu berücksichtigen. An manchen Tagen gelingt uns das gut, an anderen weniger. Wir als Energiebranche, insbesondere im Kommunikationsbereich, müssen eng mit der Politik zusammenarbeiten, um die Themen einfach zu präsentieren. Die Energiewende kann nur erfolgreich sein, wenn Politik und Energiewirtschaft zusammenarbeiten und wir im Dialog mit unseren Kunden und Kundinnen Unsicherheiten, die durch die Komplexität entstehen, begegnen.

Welche Rolle spielen Branchenverbände wie der BDEW bei der Gestaltung des regulatorischen Rahmens?

Die Rolle der Branchenverbände ist sehr groß, fast elementar. Für enercity, als einem der größten kommunalen Energiedienstleister in Deutschland, ist es entscheidend, Verbände wie den BDEW zu haben. Die Verbände sind aber nicht nur die Stimme der großen Unternehmen, auch die Perspektive kleinerer Unternehmen ist wichtig.

Ich schätze die Arbeit des BDEW und die Kommunikation mit der Politik sehr. Die Verbände haben Einfluss auf die Festlegung der regulatorischen Rahmenbedingungen und den nötigen Austausch in der Energiebranche. Sie helfen uns, die gesellschaftlichen Vorhaben in unsere strategische Planung zu integrieren. Eine Herausforderung für die Verbände ist es jedoch, die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der Branche zu bündeln. Eine Divergenz haben wir beispielsweise in der Diskussion über das Strommarktdesign zwischen zentralen und dezentralen Ansätzen erlebt. Es ist jedoch wichtig, dass wir gegenüber der Politik eine einheitliche Stimme haben, und dafür sind BDEW und VKU entscheidend.

Welche Erwartungen haben Sie an die Politik im Hinblick auf die Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmens?

Ich habe drei zentrale Erwartungen an die Politik:

Erstens muss sie den strategischen Rahmen festlegen. Ich vergleiche das mit der CEO-Rolle: Wenn ich ins Mikromanagement verfalle, wird die Energiewende für meine Mitarbeitenden schwierig. Die Politik sollte sich auf langfristige Entwicklungen konzentrieren und sich nicht in kurzfristigen operativen Themen verlieren — also eher auf das, was in 5, 10 oder 15 Jahren passiert.

Zweitens muss die Politik die Konvergenz zwischen EU, Deutschland, Bundesländern und Kommunen fördern. Das aktuelle System ist sehr kompliziert, insbesondere in Deutschland. Als Französin sehe ich, dass wir hier mit einer unternehmerischen Politik konfrontiert sind. Wir müssen herausfinden, wie wir die Stärken Deutschlands im unternehmerischen Denken mit der Komplexität der EU und der Bundesländer konsolidieren können. Ansonsten haben wir für dasselbe Thema gefühlt drei gesetzliche Institutionen, was eine unnötige Herausforderung darstellt.

Drittens erwarte ich kurzfristig mehr Markt und weniger Regulierung.

Diese drei Botschaften möchte ich vermitteln. Wir sind uns wahrscheinlich alle einig, aber die Frage ist, was wir konkret tun, anstatt nur zu reden. Das ist die eigentliche Herausforderung. Zudem müssen wir als Branche auch selbst in den Spiegel schauen, beispielsweise wenn es um die Entbürokratisierung geht. Wir sind nicht die Weltmeister der Digitalisierung. Es ist wichtig, dass wir zusammenarbeiten, um einen Veränderungsprozess zu gestalten. Mein Ziel ist es, mit den Verbänden zusammenzuarbeiten, um gemeinsam die notwendigen Veränderungen voranzutreiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

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