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Internationale Regeln:

Was ist schon normal?

Ohne Normen geht es nicht, im Alltag wie im Wirtschaftsleben. Zunehmend bekommen Normen aber auch geopolitische Bedeutung.

Der internationale Kampf um Normen, Regeln, Standards

© Robert Albrecht

Ausgerechnet Apple verliert den Anschluss: Der Tech-Gigant, der aufgrund seiner Marktmacht häufig eigene technische Standards in den Markt drückt, wird sich von seinem Lightning-Stecker verabschieden müssen: Nach einem Beschluss des EU-Binnenmarktausschusses dürfen Hersteller von Smartphones & Co. ab 2024 ihre Geräte nur noch mit USB-C-Ladeanschluss verkaufen. Ein Erfolg im Sinne des Klimaschutzes, wird doch „die Vereinheitlichung der Ladestecker zur Verringerung von 11.000 Tonnen Abfall pro Jahr in der EU beitragen“, sagt EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Verstager.

Tatsächlich jedoch dürften die Dimensionen sogar noch größer sein: So steht ein kleiner Stecker exemplarisch für Machtansprüche der Hersteller - und die Versuche der Regierungen, die Interessen von Verbraucherinnen, Verbrauchern und der Umwelt zu schützen.

Normung und Standards - mehr als Bürokratie

Regeln, Normen, Standards: Das klingt nach Bürokratie und verstaubter deutscher Gründlichkeit. Andererseits erwarten wir wie selbstverständlich, dass das Briefpapier genau in den Umschlag passt, das Backblech in den Ofen – und der E-Auto-Ladestecker in die Ladestation. Normung ist unerlässlich, denn sie schafft Interoperabilität: die Fähigkeit zum nahtlosen Zusammenspiel verschiedener Systeme, Techniken oder Organisationen.

Weltweit bewegt das Thema Konzerne und Nationen: „Das Setzen technischer Standards ist zu einem zentralen Schlachtfeld im Kampf um die Dominanz im Hightech-Sektor geworden“, schreibt der Politologe Tim Rühlig in einem Report für die Europäische Handelskammer in China. Dieser Kampf findet vor allem zwischen den USA, Europa und China statt, in fast allen Bereichen, die die Zukunft der Wirtschaft bestimmen. Von KI über Mobilfunk bis hin zu Green Tech: Wer Standards definiert, erarbeitet sich einen Wettbewerbsvorteil – wenn nicht sogar die Marktmacht.

Wer setzt überhaupt die Standards?

Hierzulande läuft das Normungswesen von Industrie, Wissenschaft und sonstigen Interessensgruppen beim Deutschen Institut für Normung (DIN) zusammen. Die internationale Normung wird durch Organisationen wie die International Organization for Standardization (ISO) koordiniert, bei welcher DIN als eine der größten Mitgliedsorganisationen wiederum die deutschen Interessen vertritt. Gremien mit Fachleuten aus verschiedenen Ländern erarbeiten gemeinsam Normen, die dann von den ISO-Mitgliedsländern überprüft und angenommen werden. Das Ziel: Internationale Normen sollen vor allem eine gemeinsame Grundlage für Produkte und Dienstleistungen auf globaler Ebene bilden.

Chinas Einfluss auf die Normungswelt

Wer aber bestimmt über die globale Ebene? Noch ist Europa der größte Global Player in Sachen Normung. Doch in Asien, insbesondere in China, hat der Staat erkannt: Normungsarbeit ist ein Instrument zur Durchsetzung von industrie-, handels- und geopolitischen Zielen. Und die Volksrepublik holt auf. Mit Sorge verfolgt der BDI die internationale Verbreitung von staatlich getriebenen, nationalen Technologiestandards aus China im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“.

Wenn chinesische Firmen in Afrika Bahntrassen nach eigenen Spezifikationen errichten, könnten europäische Anbieter bei Folgeaufträgen ins Hintertreffen geraten, warnt der BDI: „Durch die Verbreitung staatlich getriebener nationaler Standards aus China besteht aktuell die Gefahr einer Zersplitterung von Marktzugangsbedingungen“. Die EU müsse dem begegnen, indem sie ihre Normungsprozesse beschleunige und praxistauglicher gestalte, etwa in der Wasserstoffwirtschaft, der künstlichen Intelligenz und Cybersicherheit, so der Verband.



Christoph Winterhalter, Vorstandsvorsitzender von DIN, erklärt die Motivation für das chinesische Normungsengagement: „Dass sich China zunehmend in der internationalen Normung engagiert, ist zunächst einmal clever – und ein klarer Ausdruck des Gestaltungswillens, insbesondere bei Zukunftsthemen wie Kommunikationstechnologie, Digitalisierung und Green Tech. Natürlich ist das für die europäische Wirtschaft eine Herausforderung.“

Hier, so Winterhalter weiter, sei man auf die wechselseitige Zusammenarbeit, die hohe Expertise und den Schulterschluss aller Stakeholder angewiesen, denn: „Die privatwirtschaftlich organisierte deutsche Normung ist traditionell insbesondere dort stark, wo es um die Normung konkreter Produkte geht.“ Für die großen Leitplanken und infrastrukturellen Entscheidungen hingegen wie beispielsweise beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, brauche es ein enges Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft auch mit staatlichen Investitionen, sagt Winterhalter: „Entscheidend ist die Orchestrierung zwischen allen Beteiligten.“

Europas Antwort auf Chinas Normungsambitionen

Immerhin hat das von China vorgelegte Tempo die EU-Kommission zum Handeln aufgefordert, die im Jahr 2022 ihre eigene Normungsstrategie vorgestellt hat. Sie zielt darauf ab, die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken, den Wandel hin zu einer grünen und einer digitalen Wirtschaft zu ermöglichen und demokratische Werte in Technologieanwendungen zu verankern. Geht das überhaupt? „Gerade bei datenschutzkritischen Technologien wie zum Beispiel Mobilfunkroutern ist es grundsätzlich möglich, Standards so transparent und flexibel zu formulieren, dass technische Lösungen sowohl unter deutscher wie chinesischer Regulierung gesetzeskonform eingesetzt werden können“, sagt Christoph Winterhalter.

Völlig gesetzeskonform könnte übrigens auch Apple die Einführung des USB-C-Ladesteckers für iPhone und Co. noch verhindern: Wenn Geräte kabellos geladen werden können, soll der EU-Beschluss nämlich für diese nicht gelten. Noch hat Apple also Optionen.

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