Es ist doch absurd: Wir lassen 35 Grad warmes Wasser durch die Dusche laufen – und dann fließt es mit 30 Grad in die Kanalisation“, sagt Felix Drechsel, Geschäftsführer des Start-ups Revincus. Ein enormes Potenzial an ungenutzter Energie, das buchstäblich den Abfluss hinuntergeht! Die Idee, Wärme aus Abwasser zurückzugewinnen, kam Drechsel bereits mit 19 Jahren während eines Praktikums in Finnland – einem Land, das bei Wärmepumpen und Geothermie europaweit führend ist.
Mit seinem Start-up setzt Drechsel da an, wo bisher kaum jemand hinschaut: an der Schnittstelle zwischen handelsüblichen Wärmepumpen und der Abwasserquelle. Das System von Revincus funktioniert direkt im Gebäude: Ein spezieller Wärmetauscher entzieht dem abfließenden Dusch- oder Spülwasser Energie und überträgt sie auf das Kältemittel einer Wasser-Wasser-Wärmepumpe. Diese kann flexibel kombiniert werden, erwärmt die Sole auf bis zu 60 Grad und speist die Wärme über einen Pufferspeicher ins Trinkwassersystem ein.
„Der große Vorteil von Abwasser: Es ist meist deutlich wärmer als andere Quellen wie Luft, Boden oder Grundwasser“, sagt der 27-jährige. „So erreichen wir eine hohe Vorlauftemperatur und können sehr effizient Energie gewinnen.“ Und das mit wirtschaftlichem Mehrwert. „Eine Kilowattstunde aus der Abwasserwärmepumpe ist deutlich günstiger als Wärme aus einer Gasheizung.“ Anders gesagt: Eine einfache Idee – mit großem Hebel.
Die größte Herausforderung bei der Entwicklung des Wärmetauschers seien jedoch sogenannte „Biofilme“ gewesen: Bakterien, Pilze oder Algen setzen sich auf der Edelstahloberfläche der Anlage ab und führen zu Leistungsverlusten. Die Lösung von Revincus: Eine integrierte mechanische Bürste reinigt das System automatisch. Drechsel hat zudem eine Funktaste entwickelt, die in den Spülkästen der Wohnungen eingebaut wird, und eine von Revincus patentierte Weiche steuert: So wird fäkal verschmutztes Abwasser vom übrigen Brauchwasser in Bestandsgebäuden getrennt. Aktuell forscht das Start-up daran, mithilfe Künstlicher Intelligenz den Einbau der Funktaster überflüssig zu machen: Die KI erkennt automatisch, wenn sogenanntes „Schwarzwasser“ aus den Toiletten im Keller ankommt und sperrt den Zugang zum Wärmetauscher.
Wirtschaftliches Potenzial im Plattenbau
Komplett neu ist die Idee der Abwasserwärmenutzung nicht. „Aber im Gegensatz zur Konkurrenz können wir das System bereits ab 20 Bewohnern in Wohngebäuden wirtschaftlich betreiben“, sagt Drechsel. Wie das gelingt, hat das Start-up in einem Pilotprojekt im thüringischen Plattenbau in Stadtroda gezeigt, bei dem eine energetische Mustersanierung durchgeführt wurde. Das Ergebnis: Der Fernwärmebedarf des Gebäudes konnte durch den Einsatz des Revincus-Systems um etwa 20 Prozent verringert werden.
„Plattenbauten wie in Stadtroda bieten ein riesiges Geschäftspotenzial für die Energiegewinnung aus Abwasser. Rund 1,2 Millionen Wohneinheiten gibt es in solchen oder ähnlichen Gebäuden in Deutschland.“ Um dieses Potenzial zu heben, hat Revincus einen weiteren Wärmetauscher mit einer höheren Leistung von 250 Kilowatt entwickelt. Mit einer robusteren Reinigungsstufe eignet sich die neue Lösung auch für fäkalienhaltiges Abwasser – ideal für große Wohnblöcke ab etwa 100 Bewohnern oder industrielle Anwendungen.
Vom Pilotprojekt zum Rollout
„Die Abwassernutzung ist ein bislang unterschätztes Puzzleteil der Wärmewende“, sagt Drechsel. Die Technik sei marktreif, nun gehe es darum, Skalierung und Vertrieb voranzutreiben. Aktuell setzt das Start-up zwei größere Projekte in Thüringen um: In einem Geschosswohnungsbau der Tegernseer Aktiengesellschaft (TAG) in Gera wird das System von Revincus nachträglich eingebaut 150 Bewohner sorgen hier für ein konstantes Abwasseraufkommen, das zur Wärmerückgewinnung genutzt werden kann. Die Technik wird zudem in einem Wohnblock der Jenawohnen verbaut – der größten Wohnungsgesellschaft Thüringens. Im Auftragsbuch des Unternehmens stehen außerdem Firmen aus Industrie und Kommunen. Zum Beispiel ein Schwimmbad in Stuttgart oder der Pharmakonzern Glaxo Smith Kline.
Die Wärmetauscher von Revincus werden in einer Montagehalle in Weimar gebaut, inklusive Software und Steuerung. Drechsel: „Wir haben verschiedene Zulieferer und setzen die einzelnen Bestandteile individuell für unsere Kunden zusammen.“ Nach einer ersten siebstelligen Finanzierungsrunde 2020 durch die Sparkasse Jena-Saale Holzland, die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Thüringen und die Beteiligungsmanagement Thüringen strebt das zehnköpfige Start-up für dieses Jahr einen Umsatz von 1,5 Millionen Euro an.
Kritik an der Förderpolitik
Was dem Unternehmenswachstum allerdings im Weg steht, ist ausgerechnet die staatliche Förderpraxis. Denn Zuschüsse für Abwasserwärmepumpen sind zwar vorgesehen – doch der Weg dorthin ist lang. „Viele Projekte verzögern sich, weil Kunden erst aufwändige Anträge stellen müssen, bevor wir überhaupt mit dem Einbau beginnen können“, sagt Drechsel. Besser wären – so der Geschäftsführer – niedrigere Strompreise für Wärmepumpen, die dazu beitrügen, dass sich einmal angeschlossene Anlagen schneller amortisieren. Fest stehe: So oder so braucht es Klarheit und Verlässlichkeit in der Förderpolitik, damit die Energiequelle Abwasser dauerhaft dazu beitragen kann, die Klimaziele zu erreichen.
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