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Maastricht-Vertrag:

Die Geburtsstunde der Schuldenbremse?

Ein historischer Rückblick auf den Maastrichter Vertrag und die Konvergenzkriterien für den Eintritt in die EU.

Maastricht-Vertrag als Geburtsstunde der Schuldenbremse

© Monika Lourenco / BDEW

Maastricht am 7. Februar 1992: Es war keine weite, aber eine umso bedeutsamere Dienstreise für Theo Waigel und Hans-Dietrich Genscher: Sie waren – nur anderthalb Autostunden vom damaligen Bonner Regierungssitz entfernt – in schwarzen Anzügen mit gedeckten Krawatten angetreten, um gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Europäischen Rats feierlich den Vertrag über die Europäische Union zu unterzeichnen. Ein historischer Moment: Im Staatenzaal des Maastrichter Provinzhauses verpflichteten sich die EU-Länder gemeinsam (auch) zum Sparen - zumindest auf dem Papier.

Sauber wirtschaften, Schulden bremsen

Die Unterzeichnung des Vertrags war ein großer Tag für Europa: Sie markierte nicht nur die Gründung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, sondern gab auch den Startschuss für eine neue Währung, den Euro. Kritiker indes meinen, dass hier der Grundstein für spätere Spannungen gelegt wurde.

Zentraler Bestandteil des Vertrags, um den bis zuletzt intensiv gerungen wurde, waren nämlich die Konvergenzkriterien, im Volksmund auch „Maastricht-Kriterien“ genannt. Länder, die in den Kreis der Wirtschafts- und Währungsunion aufgenommen werden wollten, mussten folgende Bedingungen erfüllen: Zunächst einmal durfte die Inflationsrate des Staats nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder der EU liegen - das sollte Preisstabilität innerhalb des EU-Raums gewährleisten. Zur Wahrung der Haushaltsdisziplin limitierten die Maastricht-Kriterien das Haushaltsdefizit eines Staats auf maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die zulässige Gesamtverschuldung auf maximal 60 Prozent des BIP.

Europa: Das dachten die Entscheider

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Ein weiteres Thema war die Wechselkursstabilität: Der Staat muss mindestens zwei Jahre lang ohne Abwertung am Wechselkursmechanismus II teilgenommen haben. Das bedeutet, dass die Währung des Landes nur in einer bestimmten Wechselkursbandbreite (meist 15 Prozent) vom Eurokurs abweichen durfte; bei größeren Abweichungen war die Zentralbank des Landes mit einer Intervention gefordert. Zu guter Letzt regelten die Maastricht-Kriterien den Zinssatz langfristiger Staatsanleihen: Er durfte nicht mehr als zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.

Alle diese Konvergenzkriterien sollten gewährleisten, dass alle Länder der Eurozone eine solide und nicht zu stark voneinander abweichende wirtschaftliche Grundlage haben, um die langfristige Stabilität der gemeinsamen Währung abzusichern. Dazu zählte auch die Vermeidung übermäßiger Inflation und Schuldenaufnahme in den Euro-Länder. Statt den bequemen Weg einer Staatsverschuldung zu gehen, sollten Regierungen angehalten sein, die Wirtschaft und Gesellschaft ihres Landes laufend zu reformieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Durchbruch oder dumm?

Innerhalb der EU gab es eine große Diversität bei der Beurteilung der Maastricht-Kritierien, vor allem in Deutschland zeigte sich die Debatte um eine gemeinsame Währung durchaus aufgeladen: Die Deutsche Mark war eine starke und stabile Währung. Wie sollte das mit der eher als locker geltenden Zahlungsmaterial der südlichen Euro-Länder zusammengehen? So befürchtete beispielsweise der ehemalige Finanzminister Otto Graf Lambsdorff (FDP), Deutschland zahle einen zu hohen Preis, da wohlhabende Staaten die weniger wohlhabenden – oder sparwilligen - mitfinanzieren müssten.

Bemängelt wurden aber auch die mangelnde Flexibilität der Kritierien und die daraus resultierenden unzureichenden Anpassungsmöglichkeiten der Gemeinschaft an externe Schocks wie Pandemien oder geopolitische Konflikte. Romano Prodi, seinerzeit immerhin Präsident der EU-Kommission, brachte dies 2002 in einem Interview mit der Zeitung Le Monde auf den Punkt, in dem er die Konvergenzkriterien als „starr“ und „dumm“ geißelte. Und die stets auf nationale Autarkie abonnierte Margaret Thatcher warf dem Maastrichter Vertrag vor, die wirtschaftliche Souveränität der beteiligten Nationen ungebührlich einzuschränken.

Worte und Wirklichkeit

Die Praxis zeigte alsbald, dass die selbst auferlegten Regeln von einigen Ländern nicht oder nur mit Mühe eingehalten werden konnten. Bestes Beispiel ist Griechenland, das 2015 aufgrund einer Finanzkrise sogar kurzzeitig davor stand, die EU verlassen zu müssen. Doch auch Malta, Portugal, Italien, Frankreich und andere Länder reihen sich in die Liste der Nationen ein, die bereits mehrfach gegen die Konvergenzkriterien verstießen – und sich teilweise auch Defizitverfahren der EU stellen mussten. Ein Land entschied sogar ganz bewusst, sich nicht weiter den Kriterien unterwerfen zu wollen: Großbritannien vollzog 2018 mit dem Brexit den Austritt aus der EU.



Heute, gut 30 Jahre nach Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags, sieht es so aus, als würde sich vor allem Deutschland dem damaligen Geist verpflichtet fühlen: Die sogenannte Schuldenbremse hat es mit den Paragrafen 109 und 115 sogar bis ins Grundgesetz geschafft. Die Unterschriften von Genscher und Waigel liegen bis heute, gut unter Glas geschützt, als Faksimiles im Provinciehuis von Maastricht - und Theo Waigels Füller ist im Regensburger „Haus der Bayerischen Geschichte“ ausgestellt.

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