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Drei Fragen an...

Verena Kast

Wie werden wir bereit für Veränderungen? Drei Fragen an die Psychologin und Bestsellerautorin Dr. Verena Kast.

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© Merle Schenker / BDEW

Frau Kast, ein Aufbruch zu neuen Ufern ist mit positiven wie negativen Gefühlen verbunden. Welchen Sinn und Zweck haben diese Gefühle? 
Beide Gefühle sind wichtig und haben ihre Berechtigung. Wenn wir uns zu neuen Ufern aufmachen, dann empfinden wir Positives wie Neugier und Vorfreude. Das sind sehr lebendige Gefühle, die uns aktivieren und mit Freude in die Zukunft schauen lassen. Sie machen uns bereit für neue Erfahrungen und Herausforderungen. Natürlich gibt es beim Aufbruch in unbekanntes Terrain aber auch negative Gefühle, allen voran die Angst: Angst vor Verlust, Angst vor dem Unbekannten, das wir nicht einschätzen können, aber auch Angst vor Verzicht oder Schmerzen. Grundsätzlich ist auch Angst ein wichtiges Gefühl, denn sie kann uns instinktiv vor Dingen oder Situationen warnen, denen wir vielleicht nicht gewachsen sind oder die eine Gefahr für uns bedeuten.



Entscheidend ist, dass positive wie negative Gefühle in einer gewissen Balance sind. Wenn die Ängste überwiegen, dann sehen wir überall nur die Gefahren, ziehen uns in unser Schneckenhaus zurück und entwickeln uns nicht weiter. Sind wir wiederum allzu sorglos, tun wir vielleicht Dinge, die uns schaden. Im Idealfall interagieren positive wie negative Gefühle miteinander nach Art eines Dialogs – und wir als Menschen wägen ab, wie weit wir uns vorwagen wollen. 

Wie lässt man am besten Altes los, um sich auf Neues fokussieren zu können?
Ich würde die Frage gerne genau andersherum beantworten: Indem wir uns auf Neues fokussieren, können wir überhaupt erst Altes loslassen. Wenn Sie einen neuen Gegenstand in die Hand nehmen, können Sie den alten vielleicht nicht mehr tragen und geben ihn damit leichter aus der Hand. Die Lust, die Neugier auf Neues, ist eine wichtige Triebfeder.



Wer in der Situation ist, sich auf Neues einzulassen und nicht genau weiß, wie er das am besten macht, dem empfehle ich immer gerne, sich noch einmal ganz genau das Alte, Loszulassende zu vergegenwärtigen. Und zwar nicht nur auf einer intellektuellen, sondern gerade auch einer emotionalen Ebene. Wie habe ich mich mit der alten Situation gefühlt, wie erging es mir damit? Woran habe ich gelitten? Was war gut und was war schlecht? Wer etwas Altes durch etwas Neues ersetzt, der lässt sich immer wieder auf das Leben ein. Verwandlungsprozesse halten uns lebendig. 

Einen Aufbruch braucht es auch mit Blick auf die Bekämpfung des Klimawandels. Die notwendigen Veränderungen, die damit einhergehen, werden uns alle betreffen. Was ist notwendig, damit die Menschen solche Veränderungen „mitgehen“?
Die Debatten rund um Klimawandel und Energiewende fokussieren sich meiner Meinung nach derzeit viel zu sehr auf das, was wir aufgeben müssen, was wir uns verbieten lassen oder selbst verbieten. Damit sind natürlich keine sehr positiven Gefühle verbunden und ebenso auch keine wirkliche Motivation, das eigene Handeln zu verändern. Es geht auch anders: Zum einen hilft es, wenn wir ein Gefühl der Fürsorglichkeit für unseren Planeten entwickeln und nicht immer nur daran denken, welche Einschränkungen uns Verhaltensänderungen auferlegen. So erfahren wir intrinsische Motivation. Zum anderen geht es aber auch darum, neben den vermeintlich negativen Seiten auch die positiven für uns selbst zu entdecken oder zu vergegenwärtigen. 



Sich im Sinne der Energiewende gut zu verhalten, kann ja auch Freude bereiten. Ich habe beispielsweise gerade meine Ölheizung durch eine Wärmepumpe ersetzt und Sonnenkollektoren auf meinem Haus installieren lassen. Mir macht so etwas großen Spaß, es ist einfach ein gutes Gefühl, dass ich jetzt mein Warmwasser selbst erzeugen kann. Ein anderes Beispiel: Ich bin immer gerne gereist und viel geflogen. Jetzt fliege ich viel seltener und leiste mir dafür den Luxus, länger an einem Urlaubsort zu bleiben und dort mehr Zeit zu verbringen.

Und als das Reisen während der Corona-Pandemie eh nicht möglich war, habe ich wieder ganz viel Zeit im Wald verbracht und diese Zeit unglaublich genossen. Man spürt auch am eigenen Leib, wie wichtig der Wald ist und wie schrecklich es wäre, wenn solche Ruhe- und Rückzugsorte durch den Klimawandel zerstört werden. Daher mein Ratschlag: Denken Sie nicht immer nur an das, was Sie nicht mehr machen können – sondern an das, was Sie stattdessen Schönes unternehmen können. Letztlich entscheidet immer die Haltung, die wir zu den Dingen haben.

Verena Kast…

...ist Psychologin und Autorin. Die Schweizerin lehrte als Professorin für Psychologie an der Universität Zürich sowie als Dozentin und Lehranalytikerin am dortigen C.-G.-Jung-Institut. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher zum Thema Emotionen und Beziehungen, von denen einige zu Bestsellern wurden. 

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