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Neue Allianzen:

„Keiner kann sich mehr in seinem Silo verstecken“

Ein Gespräch mit dem Volkswirt Ulrich Petschow, Autor der Studie „Neue Allianzen für sozialökologische Transformation“. 

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© Daria Fürst/BDEW

Herr Petschow, Sie haben eine Studie zu neuen Allianzen für eine sozialökologische Transformation durchgeführt – was bedeutet sozialökologische Transformation eigentlich?
Wir haben gewaltige Umweltprobleme, die wir konzertiert bekämpfen müssen. Doch dieser Kampf hat auch soziale Auswirkungen, zum Beispiel durch die Kosten einer Ökosteuer, durch CO2-Preise, durch wirtschaftliche Transformationsprozesse oder durch kostspielige Sanierungsmaßnahmen. Sozialökologische Transformation bedeutet, das Ökologische und das Soziale zusammenzudenken, damit der Wandel gelingt - und dabei gerecht bleibt. 

Diese „neuen Allianzen“: Was ist das Neue daran und warum haben Sie in Ihrer Studie Sozialverbände in den Mittelpunkt genommen?
Eine sozial gerechte Transformation übersteigt die Möglichkeiten der Politik. Denn dieser Wandel braucht ganz konkret gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. An dieser Stelle kommt der Zivilgesellschaft, vor allem den Verbänden und Gewerkschaften, als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft eine wichtige Rolle zu. In unserer Studie haben wir genauer untersucht, wie neue Allianzen zwischen sozial- und umweltpolitischen Verbänden die notwendige Transformation zielorientiert und gerecht voranbringen können.

Gibt es solche Kooperationen und Dialoge zwischen den Gruppen nicht bereits seit langer Zeit?
Ja und nein: Richtig ist, dass die Kooperation und vor allem auch Konflikte zwischen Gewerkschaften und Umweltverbänden eine lange Geschichte haben. Aber in der Vergangenheit haben diese Sozialverbände ganz überwiegend isoliert agiert und ihre ureigenen Interessen beziehungsweise die ihrer Verbandsmitglieder vertreten. Im Grunde hat erst die Kohlekommission auf breiter Ebene gezeigt, dass sich die einzelnen Akteure nicht mehr in ihrem Silo verstecken können, denn so kann und wird ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess nun einmal nicht funktionieren.



Ein aktuelles Beispiel: Allein der Übergang zur Elektromobilität fordert die Automobilindustrie extrem heraus. Natürlich sind Industriegewerkschaften wichtig, um Arbeitnehmerrechte zu verteidigen. Aber das geht nur noch in dem Sinne, dass auch gleichzeitig Umwelt und andere soziale Fragen mit berücksichtigt werden. Es geht um Zukunftsgestaltung, die Bewältigung der Klimakrise, das Austarieren der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit. Genau da liegt der Knackpunkt.

Woran scheitert der Dialog denn bisher? 
Ein zentraler Punkt ist die thematische Gefangenheit der Verbände in sich selbst. Arbeitsplatzsicherheit und -schaffung ist für die Gewerkschaften das zentrale Ziel. Am Beispiel des Übergangs zur E-Mobilität und der Stärkung des ÖPNV wird deutlich, dass inkrementelle Ansätze nicht mehr hinreichend sind und Transformationsprozesse angegangen werden müssen. Der Fokus auf ihre Kernaufgaben erschwert es gerade in Krisenzeiten, neue Ziele unterzubringen, die über den bisherigen Tellerrand hinausgehen.



Mit der sozialökologischen Transformation gehen wir in Richtung einer komplett anderen Gesellschaft - von einem fossilen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zu einem postfossilen, welches völlig anders funktionieren wird. Damit stehen diese Verbände selbst vor großen Herausforderungen: Sie müssen sich neu aufstellen, nicht nur um weiterhin Mitglieder zu halten und zu gewinnen, sondern auch um den neuen Erforderlichkeiten zu genügen.

Wie kann das gelingen?
Wir müssen zum einen sehr viel stärker auf die Menschen zugehen, wir brauchen eine neue Programmatik und wir brauchen eine neue Vision. Insofern treffen die Herausforderungen der sozialökologischen Transformation auf die bereits seit langem bestehenden Herausforderungen, die in den von uns adressierten Verbänden seit Jahrzehnten existieren - nämlich der teils deutlichen Veränderung der Beschäftigungswelten und der Herausforderung, Mitglieder zu binden. Vor diesem Spannungsverhältnis stehen viele Verbände. Entscheidend wird es jetzt sein, dass der anstehende Wandel mitgestaltet wird. Und dieser Wandel erfordert, dass gesellschaftspolitische und im Idealfall auch kooperative Initiativen, gerade auch jenseits des „Kerngeschäfts“, von den Verbänden ergriffen werden.



Wir brauchen also neue institutionelle Bedingungen, um den Austausch und Aushandlungsprozesse auf den Weg zu bringen. In einzelnen Handlungsfeldern gab und gibt es schon Eigendynamiken, wie beispielsweise bei der zuvor erwähnten Kohlekommission. Aber diese sektorspezifischen Formate müssen sehr viel breiter angelegt werden. 

Auf der anderen Seite bieten regionale und lokale Kooperationen ganz erhebliche Potenziale. Sie sind nicht nur Experimentierräume für die Transformation, sondern können direkt den Strukturwandel vor Ort gestalten und die Verbandsarbeit vor Ort stärken. Als Beispiel möchte ich hier den Strategiedialog Automobilwirtschaft in Baden-Württemberg nennen. Zwar ist dieses Projekt noch stark industriefixiert, aber man setzt sich wenigstens zusammen und schaut: Wie bekommen wir den Wandel hin? Auf einer Vielzahl von Ebenen finden also schon Gespräche statt – es würde sicherlich Sinn ergeben, diese Gespräche auf noch höheren Ebenen zu führen. 

Welche konkreten Handlungsansätze gibt es auf dem Weg zu neuen Allianzen?
Verbände müssen sich die Frage stellen, was sozialökologische Transformation ganz konkret für sie und ihre Klientel bedeutet. Idealtypisch gesprochen, erkennen die Verbände: „Wir verlieren über kurz oder lang unsere Kundschaft und müssen umsteuern. Wie schaffen wir es, uns neu aufzustellen? Was könnte unser zukünftiges Handlungsfeld sein und was ist unsere Klientel, die wir adressieren müssen?“

Wie kann man der Gefahr vorbeugen, dass nur diskutiert und nicht gehandelt wird? 
Indem man sich immer vor Augen hält, dass es jenseits der Verbandsarbeit am Ende immer darum geht, die Menschen vor Ort mit ihren konkreten Problemen und Herausforderungen zu adressieren. Das funktioniert schon ganz gut bei den Welthandelsvereinbarungen, wo beispielsweise Gewerkschaften mit Umweltverbänden, aber auch entwicklungspolitischen Organisationen relativ eng kooperieren.

Können an der Stelle Fachleute aus anderen Branchen wie der Kommunikation oder Projektmanagement helfen – und wie?
Die Verbände sehen, dass Themen wie Transformation und Nachhaltigkeit viel mit ihnen zu tun haben. Es werden gerade Veränderungsprozesse angestoßen, für die viele Verbände überhaupt nicht ausreichend aufgestellt sind. Es wird zunehmend wichtig, dass in den Verbänden Kapazitäten aufgebaut werden, um mit den neuen Herausforderungen umgehen zu können. Manche Verbände kooperieren daher eng mit anderen Verbänden, die beispielsweise über fehlende klimapolitische Kompetenzen verfügen. Sie bauen Strukturen auf, die Menschen in der Verwaltung bilden Netzwerke, um bestimmte Themen voranzubringen.



Andere suchen Referenten für Klimaschutz, die in der Folge einerseits die eigene Organisation beraten sollten und auf der anderen Seite damit auch den Kapazitätsaufbau in den Organisationen voranbringen. Diese Verbände können in der Perspektive dann sehr wohl mitreden, wenn es darum geht, wie die Energiewende gestaltet werden soll. Insofern lautet die Antwort klar: Ja, Fachleute sind willkommen und werden benötigt. 

Welche Rolle kann und muss hier die Politik spielen? Wo und wie kann sie unterstützen?
Die Politik muss die Potenziale der neuen Allianzen entfalten, den Austausch stärken und fest institutionell verankern. So können Spannungsfelder wie Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung gemeinsam bearbeitet werden. Es braucht feste Strukturen, Austausch gerade auch ressortübergreifend auf der Ebene staatlicher Politik und bei konkreten politischen Entscheidungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft.

Ulrich Petschow…

...ist Diplom-Volkswirt und Koordinator für die Themen Innovation und Technologien beim Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin.
 

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