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Spielen fürs Umweltbewusstsein:

Was kann Gamification leisten?

Was macht ein gutes Spiel aus und wie kann es beim Umweltschutz helfen? Ein Gespräch mit dem Spielforscher Rainer Buland.

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© Illu: BDEW

Rainer Buland ist Kulturhistoriker und Spieltheoretiker. Der Österreicher leitet das Institut für Spielforschung und Playing Arts der Universität Mozarteum Salzburg.

Herr Buland, warum spielen wir überhaupt?
Spielen ist aus evolutionsbiologischer Sicht überlebenswichtig. Das selbstvergessene Ausprobieren, das Experimentieren - das sind die effizientesten und nachhaltigsten Wege des Lernens. Wir bekommen ein Gefühl dafür, wie es sein könnte, wenn wir etwas Bestimmtes tun. Deswegen sind Spiele auch für unser Leben so wichtig, weil wir uns in ihnen selbst experimentell anders erfahren können. 

Können Spiele generell dazu beitragen, dass wir unser Verhalten in der realen Welt verändern? Zum Beispiel in Bezug auf bewussteren Umgang mit Ressourcen?
Vieles von dem, was uns neu und unbekannt ist - und die Erfordernisse der Energiewende gehören definitiv dazu - ist tief in unserem Gehirn mit Angst verbunden, ob wir uns dessen nun bewusst sind oder nicht. Um dieses Neue zu akzeptieren, kann eine spielerische, experimentelle Haltung sehr hilfreich sein. Spiele lassen sich gut einsetzen, um systemische Zusammenhänge erfahrbar zu machen und um Verhaltensänderungen im geschützten Rahmen zu probieren und einzuüben. 

Wie funktioniert das genau – und wo ist der Unterschied gegenüber beispielsweise Frontalunterricht oder sonstigen Vorgaben?  
Im ersten Schritt können Gamification-Lösungen die Motivation schaffen, sich überhaupt mit dem Thema zu befassen. Und sie dienen im nächsten und wichtigeren Schritt dazu, im „Als-ob-Rahmen“ des Spiels Erfahrungen zu machen, die später in der Praxis eingesetzt werden können. Das funktioniert deswegen besonders gut, weil eine bestimmte Handlung im Spiel bereits vollzogen worden ist. Wenn wir etwas konkret schon einmal getan haben, fällt es uns leichter, es erneut zu tun. Ob dieses Tun im Rahmen eines Spiels stattfindet oder ob es in der sogenannten realen Welt passiert, ist für unser Gehirn eigentlich nebensächlich, es kommen dieselben Denk- und Aktionsbahnen zum Einsatz. Das gilt auch für Verhaltensänderungen in Sachen Klimaschutz.



Erfolgreiche Autoverkäufer wussten das übrigens schon immer: Der potenzielle Käufer muss irgendwie dazu gebracht werden, eine Probefahrt zu unternehmen. Das ist zwar dann noch keine Fahrt unter Bedingungen, wie sie später im Leben stattfindet – also mit quengelnden Kindern auf dem Rücksitz unter Zeitdruck im Stau.  Aber es ist die Möglichkeit, ein Gefühl dafür zu bekommen. Einmal positiv verankert, kann der Wunsch entstehen, dieses Gefühl wieder und wieder abzurufen.

Unter welchen Voraussetzungen ist das möglich, wie kann es gelingen? 
Das Spiel muss so attraktiv sein, dass viele Menschen tatsächlich in dieses Spiel einsteigen wollen. Die Attraktion muss dabei nicht unbedingt im Spielmechanismus liegen - tatsächlich sind viele Spielmechanismen sehr traditionell -, es kann auch der Ausgangspunkt oder das Design des Spiels etwas Besonderes darstellen. 

Zurzeit sehen wir mehr und mehr Apps, mit der umweltbewusstes Handeln per Gamification gefördert werden soll. Was ist das besondere an Apps?
Sicherlich haben Apps gewisse systemimmanente Vorteile: Ich kann mich in Echtzeit mit jemandem messen, meine Erfolge mit anderen teilen, auch in sozialen Netzwerken – und Apps können per Nachrichten mein Belohnungssystem aktivieren. Nichtsdestotrotz gilt: Wie gut ein Spiel ist, hängt nicht von der Programmierung der App ab, sondern wie bei jedem Spiel ganz zentral vom Spielmechanismus. Dieser muss so viel Herausforderung bieten, dass man sich anstrengen muss. Er soll gleichzeitig aber auch so konstruiert sein, dass die Herausforderung absehbar zu bewältigen ist. Und das Spiel muss vom Design so ansprechend sein, dass es gefällt, dass man sich gerne in diese Spielwelt hineinbegibt. 

Gibt es auch Risiken der Gamification?
Durchaus. Das Lernen im Spiel ist prinzipiell antithetisch: Wir können im Spiel das lernen, was die Absicht des Spiels ist, wir können aber auch das genaue Gegenteil davon lernen. Dazu ein Beispiel aus meiner Praxis: Ich habe einmal mit etwa 100 Jugendlichen in der Aula der Wissenschaften in Wien ein Simulationsspiel zum Thema „nachhaltiges Investment in Aktien-Börsen“ durchgeführt. Wir hatten den ganzen Tag Zeit. Es ging turbulent zu, aber das gehört schließlich zu einer richtigen Börse. Die Jugendlichen haben anschaulich das System Börse erfahren und sie haben viele Experimente gemacht, wie nachhaltige Investments platziert werden können und welche Renditenaussichten sie haben. 



Klingt doch gut. Wo war das Problem?
Die Jugendlichen haben auch in die „andere Richtung“ gespielt. Also experimentiert, wie es gehen könnte, zu betrügen und zu manipulieren. Vor allem aber haben sie die Erfahrung gemacht, wie groß ihre Rendite war, wenn sie nicht in nachhaltige Fonds investiert haben. Das genaue Gegenteil, die Antithese, wird im Spiel ebenfalls gelernt und erfahren. Dieses Dilemma lässt sich nicht auflösen: Wer eine Gamification-App entwickelt, ob nun zum Klimaschutz oder zur Energieeinsparung, der muss immer auch die Möglichkeit einbeziehen, dass sie ganz anders genutzt wird als eigentlich geplant. 

Herr Buland, vielen Dank für das Gespräch.

Gaming-Apps

Foodsharing, nachhaltiger Konsum, den eigenen CO2-Fußabdruck messen: Zunehmend machen Apps umweltbewusstes und ressourcenschonendes Handeln spielerisch erfahrbar. In Finnland geht man noch einen Schritt weiter: Im Rahmen eines von der EU geförderten Projekts hat die Stadt Lahti ein app-gestütztes öffentliches CO2-Trading-System für ihre Einwohner entwickelt. Die App CitiCAP ermöglicht es den Bewohnern Lahti, durch die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel Credits zu verdienen. Diese können auf einem virtuellen Marktplatz gegen Rabatte auf Dienstleistungen und Produkte eingetauscht werden.



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