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Wasserstoff-Infrastruktur:

Alte Strecke, neue Technik

Seit 120 Jahren verbindet die „Heidekrautbahn“ den Berliner Nordosten mit dem Umland – ab 2024 mit Wasserstoffantrieb.

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© Merle Schenker / BDEW

Seit 120 Jahren verbindet die „Heidekrautbahn“ den Berliner Nordosten mit dem Umland. Im Jahr 2024 soll sie auf ihre Stammstrecke zurückkehren – und das mit Wasserstoffantrieb. Im Jahre 1901 verließ der erste Zug der Reinickendorf-Liebenwalder-Groß Schönebecker Eisenbahn-Aktiengesellschaft den Bahnhof Reinickendorf-Rosenthal (später Berlin-Wilhelmsruh) mit dem Ziel Groß Schönebeck. Viele von Lärm und Hektik der Großstadt geplagte Berlinerinnen und Berliner nutzten die Verbindung zu Ausflügen in die Schorfheide, ein ausgedehntes Wald- und Seengebiet in Brandenburg. So hatte die Bahn rasch ihren Spitznamen weg. Bis heute ist sie – offiziell heißt sie schlicht Regionalbahn RB27 – als „Heidekrautbahn“ bekannt, auch wenn sie unter der Woche vor allem Pendlerinnen und Pendler aus den Kreisen Barnim und Oberhavel in die Hauptstadt bringt.

Ab 1950 wurde die Heidekrautbahn über die „Umfahrungsstrecke West-Berlin“ an Berlin-Karow angebunden; dieser Bahnhof ist bis heute einer der Start- und Zielpunkte der RB27. Ab dem Jahr 2024 will die Niederbarnimer Eisenbahn-AG (NEB) ihre Stammstrecke wieder an die Heidekrautbahn anbinden – und gleichzeitig Züge mit einem zukunftsgewandten und klimaschonenden Antrieb in Dienst stellen: Die derzeit eingesetzten Dieseltriebwagen sollen durch Wasserstoffzüge ersetzt werden.

„Mit einer auf diese Weise neu gedachten Eisenbahn in den Kreisen Barnim und Oberhavel können wir die Energiewende und auch die Verkehrswende in Brandenburg und Berlin aktiv voranbringen. Ein emissionsfreier Verkehr auf der Heidekrautbahn passt hervorragend in die bei vielen Berlinern beliebte Ausflugsregion“, erläutert NEB-Vorstand Detlef Bröcker das Vorhaben.

Grüner Wasserstoff aus der Region

Emissionsfrei wird der Verkehr dadurch, dass der Wasserstoff mit Wind- und Solarstrom in der Region produziert wird. Das übernimmt die in der Uckermark beheimatete ENERTRAG. Das Unternehmen hat ungewöhnlich viel Erfahrung in der Herstellung von Wasserstoff mit Strom aus erneuerbaren Energien. Schon seit gut zehn Jahren betreibt man ein Hybridkraftwerk. „Damit demonstrieren wir praktisch, dass die Elektrolyse erneuerbare Energie problemlos speicherbar macht“, erklärt der ENERTRAG-Gründer und Vorstandsvorsitzende Jörg Müller. Sein Vorstandskollege Dr. Gunar Hering ergänzt: „Regional erzeugter Wasserstoff aus Windkraft- und PV-Anlagen ist ein wesentlicher Baustein für eine erfolgreiche Energiewende. Zusätzlich zu unseren Vorhaben im Verkehrsbereich, planen wir in mehreren Großprojekten mit energiesystemischem Ansatz die Anwendung von Wasserstoff in weiteren Sektoren.“

Derzeit befindet ENERTRAG sich in der Planungsphase für ein für das Projekt Heidekrautbahn neu zu errichtendes Wasserstoffwerk. Die Gesamtanlage wird im Wesentlichen aus einem Elektrolyseur, einer Kompressionsanlage und Speichertanks bestehen. Für die Heidekrautbahn wird die Anlage etwa 200 Tonnen Wasserstoff pro Jahr bereitstellen. Dafür werden drei Megawatt Elektrolyseleistung benötigt. Zusätzlich zur Nutzung von bestehenden Windkraftanlagen plant ENERTRAG den Bau einer PV-Freiflächenanlage, um eine verlässliche Belieferung des Zugbetriebs mit grünem Wasserstoff sicherzustellen. Als weiterer Projektpartner werden die Kreiswerke Barnim mit einer Wasserstofftankstelle für die Triebwagen die benötigte Infrastruktur bereitstellen. Jörg Müller freut sich schon sehr auf die Inbetriebnahme der Wasserstofftechnik auf der Heidekrautbahn: „Mit der Bahn durch Brandenburg zu fahren macht sicher doppelt so viel Freude, wenn der Treibstoff aus hiesigen Windmühlen stammt .“

Das Verbundprojekt der drei Unternehmen, der offizielle Titel lautet „Einsatz von Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieben im Nahverkehr des Landkreises Barnim“ wird durch das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur mit Mitteln des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie in Höhe von rund 25 Millionen Euro gefördert. Die Forschungspartner BTU Cottbus-Senftenberg und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) werden die wissenschaftliche Begleitung des Vorhabens übernehmen.

Wer bekommt den Zuschlag?

Welche Fahrzeuge diesen Wasserstoff ab 2024  in Bewegungsenergie umsetzen werden, ist noch ungewiss – dies wird Gegenstand eines Ausschreibungsverfahrens sein. Beteiligen will sich daran der Fahrzeughersteller Alstom. Dieser hat bereits im Jahr 2016 mit dem „Coradia iLint“ den ersten Personenzug, der von einer Wasserstoff-Brennstoffzelle angetrieben wird, vorgestellt. Seine einzigen Emissionen: Wasserdampf und Kondenswasser.  Ein weiterer Vorteil für die Umwelt: Das Fahrzeug ist um 60 Prozent leiser als ein vergleichbarer Dieseltriebwagen.



Seit 2018 ist der Coradia iLint auf Strecken in verschiedenen Ländern Europas unterwegs und wird dort zur Erprobung im Linienverkehr der verschiedenen Bahngesellschaften eingesetzt. Jens Sprotte, Leiter Marketing und Strategie bei Alstom, zieht eine positive Zwischenbilanz: „Mit einer Laufleistung von bis zu 200.000 Kilometern pro Zug haben wir gezeigt, dass die Brennstoffzellentechnik genauso leistungsfähig ist wie der traditionelle Dieselantrieb. Und Fahrgastbefragungen haben ergeben, dass die Passagiere das leise Reisen sehr genossen haben.“

Für den Wasserstoffantrieb auf der Schiene sieht Jens Sprotte ein großes Markt- und damit CO2-Einsparungspotenzial: „Viele regionale Strecken sind nicht elektrifiziert. In Deutschland könnten etwa 40 Prozent des Schienennetzes mit Wasserstofftechnik bedient werden. Die ist heute schon da, das ist keine Science-Fiction. Und mit der Heidekrautbahn könnte man zeigen, dass auch eher kleine regionale Lösungen gut funktionieren.“  

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