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E-Mobilität: Wege aus dem Bezahlchaos

Viele Tarife, unterschiedliche Abrechnungsmodelle: Das Laden von E-Autos an öffentlichen Ladesäulen gilt manchen noch als unübersichtlich. Roaming-Angebote helfen, die Vielfalt zu vereinheitlichen. Ein Ausblick
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© Foto: shutterstock

Eine Million öffentliche Ladepunkte für Elektroautos sollen bis zum Jahr 2030 in Deutschland entstehen, so hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt. Um die ­geplanten zehn Millionen Elektrofahrzeuge zu versorgen, würden nach Berechnungen des BDEW auch 350.000 Ladepunkte reichen, da 80 Prozent der Ladevorgänge zu Hause oder am Arbeitsplatz stattfinden und lediglich 20 Prozent unterwegs erledigt werden. Aber das Signal, das die Kanzlerin Anfang November in ­ihrem wöchentlichen Video-Podcast gab, war klar: Der E-Mobilität soll zum Durchbruch verholfen werden.

Aktuell gibt es in Deutschland rund 24.000 Ladepunkte. Wie das Ladesäulenregister des BDEW zeigt, werden sie von einer Vielzahl von Anbietern betrieben – zum Beispiel von Stadtwerken oder privatwirtschaftlichen Stromerzeugern. Die Tarife und Abrechnungsmethoden sind oft unterschiedlich. Das macht das ­Laden vor allem auf langen Strecken kompliziert. Manche Ladestromanbieter berechnen pro geladene Kilowattstunde, andere rechnen pro Minute oder pro Viertelstunde der Ladedauer ab. Wieder andere berechnen mit einer sogenannten Session Fee eine Gebühr für den kompletten Ladevorgang, bieten ihre Dienste über eine Flatrate an oder verlangen zusätzlich eine Grundgebühr. Der Kunde braucht mitunter mehrere Apps auf dem Smartphone und verschiedene Ladekarten im Portemonnaie, wenn er gerade nicht die Gelegenheit hat, am Arbeitsplatz oder zu Hause zu laden.

Roaming, Apps und Ladekarten

Roaming-Angebote gelten als Lösung. Sie ermöglichen, unterwegs mit nur einer Ladekarte oder App zu einem einheitlichen Tarif zu laden, und das so oft wie nötig und wo man will. Einer der Anbieter ist Charge4Europe aus Essen – ein Joint Venture des Mobilitätsdienstleisters DKV und des Energieversorgers innogy. Das Unternehmen wendet sich vor allem an Betreiber von Fuhrparks in ganz Europa. Geschäftsführer Christopher Schäckermann sagt, Charge4Europe baue ein Netzwerk von "weit über 100.000 Ladepunkten" auf. Es biete den Kunden seiner Gesellschafter DKV und denen von innogy sowohl kilowattstundenbasierte Preise als auch stunden-, beziehungsweise minutenbasierte Preise sowie eine Session Fee an. Dennoch bekomme der Kunde nur eine Rechnung. Sie führt die unterschiedlichen Modelle unkompliziert und nachvollziehbar zusammen – und darin liegt die grundlegende Leistung eines Roaming-Anbieters.


Laden zu Hause und unterwegs


Als Roaming-Anbieter sei das Unternehmen an die Preisgestaltung der Ladesäulenbetreiber gebunden, so Schäckermann. "Sobald der Stromlieferant kilowattstundengenau abrechnen kann, können wir das natürlich auch. Sobald der Lieferant nur eine Session Fee abbilden kann, ist es bei uns ebenfalls so." 

Die in Europa gängigste Einheit, Ladevorgänge abzurechnen, ist die Kilowattstunde. Sie hat den Vorteil, dass sie einheitlich für ­jeden Kunden genau aufzeigt, wie viel Strom er nach einem Ladevorgang bezahlen muss. Für alle Kunden könnte so einheitlich ab­gerechnet werden. In Deutschland ist das jedoch nicht so einfach. Denn hier gilt – anders als in allen anderen Ländern Europas – die Eichpflicht für Stromlesegeräte.

Herausforderung Eichpflicht

Schäckermann nennt die deutsche Eichpflicht eine "Herausforderung für die Ladesäulenbetreiber". Seit dem 1. April letzten Jahres gilt sie für jeden Anbieter, der pro Kilowattstunde abrechnen will. Eichrechtskonforme Lesegeräte gibt es aber erst seit Ende 2018. Neue Ladesäulen werden nun mit eichrechtskonformen Lesegeräten installiert. Die alten müssen jedoch nachgerüstet werden. Das dauert und kostet Geld. Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Übergangsfrist eingerichtet, deren Laufzeit zunächst nicht weiter definiert wurde.

Bevor das deutsche Eichrecht also an allen Ladesäulen Wirklichkeit ist, sind Abrechnungen pro Zeit, Flatrates und Session Fees legal und geeignet. Und deshalb sind die Roaming-Anbieter so wichtig. Je größer das Gebiet ist, das sie abdecken, desto besser ist es für den Kunden – das wissen auch die Anbieter. "Wir merken sehr stark, dass es Ansätze zur Kooperation gibt", sagt Schäckermann. Auch unter den Roaming-Anbietern gebe es eine große Gesprächsbereitschaft, um den Markt voranzutreiben.

Der Markt der Roaming-Anbieter wächst mit der steigenden Zahl an Elektrofahrzeugen. Die meisten Anbieter stellen sich europaweit auf – neben Charge4Europe zum Beispiel Hubject aus Berlin oder New-Motion aus Amsterdam. Angebote wie zum Beispiel ladenetz.de bündeln unter anderem bundesweit regionale Stadtwerke, ermög­lichen ihren Kunden darüber hinaus mit Netzwerkplattformen wie e-clearing.net den Zugang zum europäischen Ladestromsystem und tragen so zur sogenannten Harmonisierung des Marktes bei. 

Was machen Google und Co.?

Moritz Dickehage ist Abteilungsleiter bei der smartlab Innova­tionsgesellschaft aus Aachen, die ladenetz.de und e-clearing.netbetreibt. Er managt unter anderem die Stadtwerke und Versorgungsgesellschaften technisch bei der Vernetzung von Ladesäulen. In dem Markt würden sich die großen Mineralölkonzerne und Energieerzeuger begegnen, sagt Dickehage. "Dazu kommen die Automobilhersteller. Und dann spielen noch die bekannten IT-Riesen mit." Also zum Beispiel Google, Apple und die Telekom. Jeder versuche, den Markt auf seine Weise zu definieren, auch mit eigenen Roaming-Angeboten. Laut Dickehage kommt in der Diskussion über unterschiedliche Tarife, Abrechnungsmethoden und das deutsche Eichrecht eines zurzeit ­jedoch zu kurz: dass es in der Regel auch möglich sein solle, an jeder Ladesäule ohne Voranmeldung und bindendes Vertragsverhältnis mit einem Stromanbieter zu laden. 


Ladesäulen


Zumindest an allen staatlich geförderten Ladesäulen wird diese Regelung gelten. Das hat das Bundeswirtschaftsministerium in seiner Ladesäulenverordnung festgelegt. Das Laden soll in Zukunft also auch ohne Roaming-­Angebote und exklusive Kartenzugänge möglich sein. Vorbild ist hier das Tanken an der Tankstelle, das mit einer Ladekarte oder App genauso wie mit Bargeld, EC- oder Kreditkarte funktioniert. An einer Ladesäule müsse man später zwar nicht mit Bargeld bezahlen können, aber alle anderen Methoden sollten möglich sein, sagt Dickehage. Das könnte entscheidend vor allem für die Akzeptanz von öffentlichen Schnellladesäulen sein – also für die DC-Säulen, die mit Wechselspannung laufen.

Das schnelle DC-Laden wird für unterwegs und innerstädtisch wichtig. 

Für sie gibt es erst seit Kurzem die Möglichkeit, eichrechtskonform und damit pro Kilowattstunde abzurechnen. Die dafür ­nötigen Geräte sind gerade erst entwickelt worden und kommen nun nach und nach auf den Markt. Gerade öffentliche Schnellladesäulen sind für die überregionalen Anbieter von Ladestrom interessant. "Das schnelle DC-Laden wird für unterwegs und innerstädtisch wichtig", sagt Schäckermann von Charge4Europe. Das langsamere AC-Laden werde sich größtenteils zu Hause oder auf dem Parkplatz bei der Arbeit etablieren. Dort würden längere Ladezeiten akzeptiert, weil der Wagen sowieso länger an einem Ort verweile.

Dickehage von smartlab hat eine konkrete Vorstellung davon, wie das Stromtanken der Zukunft aus Kundensicht aussehen könnte: "In fünf Jahren fahre ich zu einer Ladesäule und dann erscheint ­direkt ein Pop-up auf meinem Smartphone: 'Hey, du bist zur Ladesäule gefahren, möchtest du hier jetzt laden?'." Anschließend werde er den Ladevorgang per Smartphone bezahlen. Welche unterschiedlichen Tarife und Abrechnungen im Hintergrund laufen, sei eine andere Frage. 

Text: Günter Marks

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