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Fragen & Antworten: Was ist die kommunale Abwasserrichtlinie?

Von Umsetzungsfristen bis zu den Reinigungsstufen: Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Kommunalabwasserrichtlinie im Überblick.

FAQ Kommunale Abwasserrichtlinie

© Kletr / Shutterstock

Die kommunale Abwasserrichtlinie (EU 2024/3019) legt den rechtlichen Rahmen für die Sammlung, den Transport und die Behandlung von kommunalem Abwasser fest. Sie bestimmt unterschiedliche Reinigungsstufen zur Einhaltung von Qualitäts- und Umweltstandards. Ziel ist ein hoher, harmonisierter Standard für die Sammlung und Reinigung von kommunalem Abwasser sowie der Gewässer- und Gesundheitsschutz in der Europäischen Union.

Die Überarbeitung erfolgte, um technische Fortschritte und neue Herausforderungen wie den Eintrag von Spurenstoffen im Abwasser (z. B. Arzneimittelwirkstoffe, Wirkstoffe von Kosmetika etc.) und Maßnahmen wie zum Beispiel die Energieeffizienz in die Richtlinie aufzunehmen. Mit der Überarbeitung wird Kohärenz zu bestehenden EU-Zielen hinsichtlich Schadstoffreduktion, Kreislaufwirtschaft und Energiewende hergestellt. Die Richtlinie trägt damit zu saubereren Gewässern und nachhaltiger Abwasserentsorgung bei.

Die EU-Richtlinie wurde am 12. Dezember 2024 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und gilt seit dem 1. Januar 2025. Die verschiedenen Vorgaben sollen überwiegend stufenweise umgesetzt werden.

Ja, als EU-Richtlinie sind die Vorgaben für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Die Mitgliedstaaten müssen sie in nationales Recht übertragen und anwenden. Nationale Besonderheiten können in technischer Ausgestaltung variieren, dürfen allerdings im Ambitionsniveau nicht unter der Richtlinie zurückbleiben. Einheitliche Mindestanforderungen gewährleisten somit vergleichbare Gewässerschutzstandards in ganz Europa.

Gemäß Artikel 33 Absatz 1 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen bis spätestens 31. Juli 2027 in nationales Recht umsetzen. Ausnahmen für Fristverlängerungen sind nur in begründeten Härtefällen möglich. Aus Sicht des BDEW ist zügig mit einer 1:1-Umsetzung der Vorhaben in deutsches Recht zu beginnen. Nationale Sonderwege sollten vermieden werden.

Die 1. Reinigungsstufe umfasst mechanische Verfahren wie Siebung, Sandfang und Vorklärung zur Entfernung grober Feststoffe. In der 2. Stufe erfolgt die biologische Reinigung mittels Mikroorganismen zur Reduktion organischer Substanzen. Die 3. Reinigungsstufe nutzt chemisch-physikalische Verfahren wie Fällung oder Filtration, um Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor zu reduzieren. Gemeinsam bilden diese Stufen das herkömmliche Klärungsverfahren beim Abwasser.

Die 4. Reinigungsstufe ergänzt die vorhandenen Verfahren um weitergehende Prozesse zur Elimination von Spurenstoffen. Sie dient speziell der Entfernung von Arzneimittelrückständen, Kosmetika, Industriechemikalien u. a. unerwünschten Stoffen. Nach der kommunalen Abwasserrichtlinie müssen alle Kläranlagen über 150.000 Einwohnerwerte (EW) stufenweise bis Ende 2045 über eine 4. Reinigungsstufe verfügen. Bei kleineren Kläranlagen zwischen 10.000 und 150.000 EW wird über den sog. risikobasierten Ansatz ermittelt, welche Kläranlagen ebenfalls auf eine 4. Reinigungsstufe aufrüsten müssen. Auch hier erfolgt der Ausbau stufenweise bis Ende 2045.

Typische Technologien sind Aktivkohle-Adsorption (PACS/GAC), Ozonung, UV/Oxidation und Membranverfahren wie Umkehrosmose. Aktivkohle bindet organische Spurenstoffe, Ozon und UV-kombinierte Oxidationsprozesse bauen Schadstoffe ab. Membranverfahren trennen Moleküle nach Größe und Ladung. Die Verfahren können auch miteinander kombiniert werden, um eine bessere Wirksamkeit zu erreichen. Die Wahl, welche Technologie angewendet werden soll, richtet sich nach den zu den entfernenden Stoffen, den Kosten, dem Energiebedarf, dem gewünschtem Reinigungsgrad und den lokalen Gegebenheiten. Der BDEW stellt in diesem Kontext klar, dass die Kläranlagenbetreiber bestmöglich dazu positioniert sind, diese Gegebenheiten regional- und kontextspezifisch abzuwägen und die angemessenste Technologie auszuwählen. Sie sollten in ihrer Entscheidungshoheit nicht eingeschränkt werden.

Die 4. Reinigungsstufe erhöht den Energiebedarf für Pumpen, Belüftung und Oxidationsanlagen typischerweise um 10 bis 30 %. Zudem entstehen Materialkosten für Aktivkohle, Ozon und Membranen. Betriebs- und Wartungsaufwand steigen durch komplexe Anlagentechnik. Auch wenn sich die Effizienz durch Prozessoptimierung verbessern lässt, ist mit der 4. Reinigungsstufe insofern ein erheblicher Mehrbedarf bei Energie und Materialien verbunden.

Entfernt werden Spurenstoffe wie Arzneimittelrückstände, Hormone, Pestizide und Industriechemikalien. Teilweise werden auch resistente Mikroorganismen und PFAS-ähnliche Verbindungen reduziert. Diese Stoffe können in den drei vorangehenden Reinigungsstufen nicht oder nur sehr unzureichend entfernt werden. Durch die 4. Reinigungsstufe wird insofern die Belastung sensibler aquatischer Ökosysteme deutlich gesenkt.

Die 4. Reinigungsstufe muss bei allen großen Kläranlagen (über 150.000 Einwohnerwerte) verpflichtend errichtet werden. Die Umsetzung erfolgt zeitlich gestaffelt ab 2033 bis Ende  2045. Mitgliedstaaten müssen für Gebiete mit Kläranlagen mittlerer Größe (10.000 bis 150.000 EW) Risikobewertungen erstellen und Prioritätsanlagen in sensitiven Gewässergebieten identifizieren (risikobasierter Ansatz). Ab 2033 beginnen die Ausbauziele der 4. Reinigungsstufe für diese Art der Kläranlagen. Stufenweise sollen bis Ende 2045 alle identifizierten Kläranlagen über die 4. Reinigungsstufe verfügen. Ein Monitoring- und Berichtssystem begleitet den Fortschritt.

Sofern für anliegende Gewässer der Kläranlage z. B. aus Gründen des Gewässerschutzes weitergehende Reinigungsmaßnahmen erforderlich sind, soll auch bei den Kläranlagen mittlerer  Größe (10.000 bis 150.000 Einwohnerwerte) die Einführung einer 4. Reinigungsstufe geprüft werden. Dafür werden bspw. die Eintragsmengen von Spurenstoffen, Gewässerempfindlichkeit und naturschutzfachliche Aspekte sowie Nutzungsprofile wie die Trinkwassergewinnung und Badegewässernutzung bewertet. Kläranlagen in diesen Gebieten müssen dann nachgerüstet werden. Die Bewertungen müssen regelmäßig überprüft und aktualisiert werden. Der BDEW unterstützt den risikobasierten Ansatz ausdrücklich. Kläranlagen sollten nur dort ausgebaut werden, wo sie ökologisch oder nutzungsbezogen wirklich erforderlich und sinnvoll sind. Für die großen Kläranlagen (größer als 150.000 Einwohnerwerte) wird die 4. Reinigungsstufe grundsätzlich verpflichtend eingeführt.

Die erweiterte Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility - EPR) verpflichtet Produzenten zur Kostenübernahme für Entsorgungs- und Reinigungsprozesse ihrer Produkte. Sie überträgt sachgerecht finanzielle Lasten für Entsorgungsmaßnahmen von Produkten auf die Verursacher. Ziel ist es auch, umweltgerechteres Produktdesign (zum Beispiel bessere Abbaubarkeit in der Umwelt) und Reduktion von Schadstoffeinträgen zu fördern. In der Richtlinie ist EPR als Finanzierungsmechanismus für die 4. Reinigungsstufe verankert.  Der BDEW unterstützt die Einführung der Herstellerverantwortung ausdrücklich und sieht dies als umweltökonomischen Meilenstein für eine moderne und verursachergerechte Abwasserbewirtschaftung der kommenden Jahrzehnte.

Hersteller und Importeure von Arzneimitteln und Kosmetikprodukten müssen sich in einer Organisation für Herstellerverantwortung organisieren. Sie zahlen einen Finanzierungsbeitrag basierend auf dem Schadstoffpotenzial und der Menge ihrer Produkte. Die Mittel werden wiederum an Kläranlagenbetreiber weitergegeben, um die 4. Reinigungsstufe auszubauen und zu betreiben. Die kommunale Abwasserrichtlinie sieht vor, dass EPR schrittweise auf weitere Produktgruppen ausgedehnt werden soll. Die Europäische Kommission plant hier eine regelmäßige Evaluierung. Der BDEW hebt hervor, dass auch die Abwasserwirtschaft in den Organisationen für Herstellerverantwortung vertreten sein muss. So kann sichergestellt werden, dass alle relevanten  Akteure an der Umsetzung der Herstellerverantwortung beteiligt werden. Der BDEW setzt sich dabei für eine privatwirtschaftliche Lösung bspw. über einen Fonds ein und hat dazu bereits entsprechende Studien und die sog. Fonds-Lösung vorgelegt.

Gefördert werden Investitionskosten und Betriebskosten für die 4. Reinigungsstufe. Auch Kosten für die Überwachung von Mikroschadstoffen, Erhebung und Überprüfung von Daten der betroffenen Produkte sowie sonstige Kosten für die Wahrnehmung der erweiterten Herstellerverantwortung müssen abgedeckt werden. Der BDEW vertritt entsprechend des Richtlinientextes die Auffassung, dass für bereits ausgebaute Anlagen die Investitionskosten unter Berücksichtigung der Abschreibungen ebenfalls abgedeckt werden sollten.

Der BDEW schlägt eine privatwirtschaftliche Umsetzung durch das sog. Fonds-Modell vor. Verursacher zahlen dabei je nach Schädlichkeit und Menge ihrer auf den Markt gebrachten Stoffe/Produkte in einen Fonds, aus dem Gelder für die Einführung der 4. Reinigungsstufe an die Kläranlagenbetreiber fließt.

Das BDEW-Fondsmodell sieht einen branchenübergreifenden Fonds vor, in den Hersteller einzahlen. Der Fonds verwaltet Mittel zweckgebunden für die Umsetzung der 4. Reinigungsstufe. Er unterstützt Planung, Bau und Betrieb kommunaler Kläranlagen. Die Umsetzung des Fonds kann durch eine Vereinsstruktur operationalisiert werden.

Aus BDEW-Sicht fallen jegliche Investitions- und Betriebskosten der 4. Reinigungsstufe ab dem Inkrafttreten der europäischen Richtlinie, also dem 1.1.2025, unter die Herstellerverantwortung. Da die Herstellerverantwortung laut Richtlinientext bis zum 31.12.2028 einsatzbereit sein soll, würden aktuelle Kosten rückerstattet werden.

Eine Vorabinvestition wird vom BDEW nicht empfohlen. Die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen und vor allem die Finanzierung durch die erweiterte Herstellerverantwortung sollten erst geklärt sein.

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