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EU-Parlament positioniert sich zur Überarbeitung der Gasbinnenmarkt-Richtlinie und -Verordnung

Der Industrieausschuss des Europäischen Parlaments fordert eine Reihe von Änderungen an den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Gasbinnenmarkt-Richtlinie und -Verordnung vom Dezember 2021, u.a. die Entflechtung von Wasserstoffnetzbetreibern analog zu den Regeln für die Gasinfrastruktur. Der BDEW hatte sich hierfür nachdrücklich eingesetzt.

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© Oil and Gas Photographer / Shutterstock

Am 9. Februar 2023 hat der Industrieausschuss des Europäischen Parlaments (ITRE) die Positionen zur Gas-Richtlinie und zur Gas-Verordnung mit klarer Mehrheit verabschiedet, die von den Berichterstattern Jens Geier (S&D/DE) bzw. Jerzy Buzek (EVP/PL) mit den anderen Fraktionen verhandelt wurden. Die Abgeordneten stimmten außerdem für die Aufnahme von informellen Trilogverhandlungen mit dem Rat und der Kommission.

Drei besonders wichtige Punkte sind die analoge Anwendung der Entflechtungsvorschriften der Gasnetzbetreiber für Wasserstoffnetzbetreiber, die Zertifizierung von erneuerbaren und CO2-armen Gasen und eine gemeinsame Planung von Gas- und Wasserstoffnetzen.

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Im Detail:

Kernpunkte der Parlamentsposition zur Gasbinnenmarkt-Richtlinie und -Verordnung sind:

  • Entflechtung von Wasserstoffnetzbetreibern: Entsprechend der BDEW-Position fordert der ITRE-Ausschuss eine Differenzierung von Fernleitungs- und Verteilnetzebene mit analoger Anwendung der für Gasnetzbetreiber geltenden Entflechtungsregeln, die Streichung der vorgeschlagenen Befristung des ITO-Modells sowie der Vorgaben zur rechtlichen Entflechtung von Gas- und Wasserstoffnetz (horizontale Entflechtung). Stattdessen soll ACER zehn Jahre nach Inkrafttreten der Gas-Richtlinie die Entflechtungsbestimmungen in einem Bericht mit Blick auf das Funktionieren des Wasserstoffmarktes und die Infrastrukturentwicklung bewerten und dazu auch die Stakeholder konsultieren.
  • Zertifizierung: Dem Vorschlag für ein einfaches, zentrales, EU-weit einheitliches Nachweis- und Handelssystem für erneuerbare und dekarbonisierte Gase, in der vom BDEW präferierten Form von Herkunftsnachweisen (GOs) nach dem Book & Claim-Prinzip, ist auch der ITRE-Ausschuss leider nicht gefolgt. Allerdings wurde nun eine wichtige Klarstellung getroffen. Die Zertifizierung wie von der Kommission als Massenbilanzierung angelegt, ist mit der Forderung versehen, dass das gesamt europäische Gasnetz als ein großes Massenbilanzierungssystem festlegt wird. Somit kann ein einheitliches System für den Handel mit solchen Nachweisen im EU-Binnenmarkt zumindest ermöglicht werden.
  • Priorisierung von Wasserstoff für ‚hard-to-abate“-Sektoren: Stärker noch als die Kommission sprechen sich die Abgeordneten für den vorrangigen Einsatz von Wasserstoff in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren, insbesondere der Industrie sowie im Schiffs- und Luftverkehr, aus, sofern keine energie- oder kosteneffizienteren Lösungen verfügbar sind. Außerdem soll die Kommission untersuchen, ob auf Basis der bestehenden Energie- und Klimaziele ausreichende Mengen an erneuerbaren und CO2-armen Gasen für diese Anwendungen bis 2030 zur Verfügung stehen werden. Gegebenenfalls soll sie einen Legislativvorschlag u.a. für ein EU-weites indikatives Treibhausgasminderungsziel für die in der EU bis 2030 verbrauchten Gase bis ein Jahr nach Inkrafttreten der Gas-Richtlinie vorlegen. Aus Sicht des BDEW sollte im Wettbewerb um die volkswirtschaftlich effizientesten Lösungen für die Erreichung der Klimaneutralität gerungen werden. Daher sollte der Einsatz von Wasserstoff in den verschiedenen Sektoren maßgeblich über den Markt gesteuert werden. Eine weitere Forderung des ITRE ist es, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam bis Ende 2030 die Erzeugung von mindestens 35 Mrd. m³ nachhaltigem Biomethan sicherstellen. 
  • Marktregeln/ Drittnetzzugang: Die Abgeordneten schlagen die Anpassung der Definition des Entry/Exit Systems vor, welches für regulierte Wasserstoffnetze gelten soll und folgen damit der BDEW-Kritik an der zuvor mangelnden Konkretisierung des Systems. Allerdings wird keine Unterscheidung der Anwendung des Systems zwischen Fernleitungs- und Verteilernetzebene vorgenommen. Dazu kommt der Vorschlag, bei der Gewährung des Zugangs zu Wasserstoffnetzen denjenigen Vorrang einzuräumen, die nachweislich größeres Potenzial zur Treibhausgasvermeidung pro Tonne verbrauchten Wasserstoff haben, sofern weniger Kapazitäten vorhandenen sind als potentielle Nutzer bedürfen.
  • Entgelte und Entgeltnachlässe: Ab Januar 2031 sollen grundsätzlich keine Entgelte für den Zugang zu Fernleitungswasserstoffnetzen zwischen Mitgliedstaaten anfallen, es sei denn, die Regulierungsbehörden benachbarter Staaten entscheiden sich gemeinsam dafür. Alternativ kann auch ACER eine Entscheidung zur Entgeltstruktur treffen. Das Modell der Entgeltfreiheit an Grenzübergangspunkten für Wasserstoff ist aus Sicht des BDEW weiterhin überraschend und aufgrund der eigentlichen Vermarktung buchbarer Ein- und Ausspeisekapazitäten nicht nachvollziehbar.
  • Verbraucherrechte: Insgesamt fordern die Abgeordneten eine Stärkung der Verbraucherschutzvorgaben, die über die von der Kommission vorgeschlagene Angleichung an die in 2019 überarbeitete Strombinnenmarkt-Richtlinie hinausgeht. Dies betrifft u.a. ein Verbot von Gassperren im Winter bei schutzbedürftigen und energiearmen Verbrauchern, eine stärkere Hervorhebung und verständlichere Formulierung zentraler Vertragsinhalte sowie eine Konkretisierung der Kriterien zur Definition von energiearmen Verbrauchern mit Monitoring durch die Kommission. Ein neuer Aspekt sind Vorgaben für die Kundeninformation im Falle einer systematischen Umstellung der erdgasbasierten Heizung auf andere Energieträger oder Fernwärme aufgrund von lokalen Wärmeplänen oder den vom ITRE-Ausschuss vorgeschlagenen Verteilnetzentwicklungsplänen. Der BDEW hatte sich dafür ausgesprochen, dass im Sinne eines zukunftsorientierten Rechtsrahmens Wasserstoffkunden die gleichen Rechte erhalten wie Gas- und Stromkunden.
  • Netzplanung: Wie vom BDEW vorgeschlagen fordert der ITRE-Ausschuss, dass Gas- und Wasserstoffnetze gemeinsam geplant werden. Der entsprechende Passus in der Gas-Richtlinie bezieht sich dabei auf die Fernleitungsebene und bezieht in die Zusammenarbeitspflicht auch die Stromübertragungsnetzbetreiber ein. Dies ist ein Novum. Bislang erarbeiten Gas-FNB und Strom-ÜNB zwar die Szenariorahmen gemeinsam, doch die 10-Jahres-Netzentwicklungspläne auf europäischer wie nationaler Ebene werden sektorspezifisch erstellt. Der 2-jährige Turnus soll erhalten bleiben.
  • Auch Gas- und Wasserstoff-VNB sollen Netzentwicklungspläne erstellen. Sind sie in derselben Region tätig, können sie dies gemeinsam tun. Der Vorschlag des ITRE-Ausschusses schreibt viele Einzelheiten zu diesen Plänen vor, u. a. mit Blick auf die mögliche Außerbetriebnahme von Teilen der Gasinfrastruktur. Zum Zyklus für die Erstellung dieser Pläne sowie für mögliche Ausnahmen für Netzbetreiber mit weniger als 100 000 Anschlussstellen bestehen noch unterschiedliche Angaben im Richtlinien- und im Verordnungsvorschlag des ITRE-Ausschusses.
    Darüber hinaus sollen lokale und regionale Behörden sogenannte Wärme- und Kältepläne entwickeln. Dies soll mindestens für Kommunen mit mehr als 35.000 Einwohnern gelten. Diese Pläne sollen mit den nach der ebenfalls diskutierten Novelle der Energieeffizienz-Richtlinie vorgesehenen Arbeiten verzahnt werden.
  • EU DSO Entity: Wie von der Kommission vorgeschlagen, sollen die Betreiber von Gasverteilernetzen auf europäischer Ebene zusammenarbeiten und sich zu diesem Zweck der bereits für die Strom-VNB bestehenden EU DSO Entity anschließen. Der ITRE-Ausschuss stellt klar, dass dies auch für Wasserstoffverteilernetze gelten soll und dass die Regelwerke und Strukturen der Entity so angepasst werden sollen, dass eine ausgewogene und faire Vertretung von Gas- und Wasserstoff-VNB gewährleistet wird. Der BDEW hatte konkrete Vorschläge für die Struktur und die Arbeitsweise der erweiterten EU DSO Entity vorgelegt. Diese müssen bei Annahme des vorliegenden Textes im Rahmen der Überarbeitung der Satzung und der Geschäftsordnung der EU DSO Entity eingebracht werden.
  • ENTSOG / ENNOH: Der ITRE-Ausschuss ist erfreulicherweise dem vom BDEW vorgeschlagenen und von Berichterstatter Buzek aufgegriffenen Ansatz gefolgt, anstelle eines separaten Netzwerks für Wasserstoffnetzbetreiber (ENNOH) vorzusehen, dass das bestehende Netzwerk der Gasfernleitungsnetzbetreiber ENTSOG um Betreiber von Wasserstoffnetzen erweitert wird.
  • Beimischung an GÜP: Bei der für Fernleitungsnetzbetreiber verpflichtenden Beimischungsgrenze an Grenzübergangspunkten spricht sich der ITRE-Ausschuss für eine Absenkung des zu akzeptierenden Wasserstoffgehalt von 5 auf 3 % aus.
  • Finanzierung Wasserstoffnetze: Um übermäßige Belastungen der ersten Nutzer von Wasserstoffnetzen zu vermeiden, fordern die Abgeordneten eine Regelung, wonach die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen den Wasserstoffnetzbetreibern ermöglichen können, die Kosten aus den Anfangsinvestitionen auf aktuelle und künftige Nutzer aufzuteilen. In diesem Fall müssen Staatsgarantien für die Risiken der Netzbetreiber gewährt werden.

Des Weiteren schlägt der ITRE-Ausschuss vor, Maßnahmen aus den EU-Notfallverordnungen zur Energiepreiskrise in die Artikel zur Änderung der Gasversorgungssicherheitsverordnung und der ACER-Verordnung aufzunehmen. Dies betrifft u.a. die Regeln zur gemeinsamen Gasbeschaffung oder die vom BDEW kritisch gesehenen, unverhältnismäßig hohen Transparenz- und Informationsanforderungen an Unternehmen, die beabsichtigen, Gaslieferverträge zu vereinbaren.

Nächste Schritte
Nächster Schritt ist die formale Bestätigung des Verhandlungsmandats durch das Plenum voraussichtlich Mitte März 2023. Auf Seiten des Rates steht die Positionierung zu den Vorschlägen der Kommission noch aus. Entgegen dem ursprünglichen Ziel beim Energieministerrat am 19. Dezember 2022, noch unter tschechischem EU-Ratsvorsitz eine allgemeine Ausrichtung zu erzielen, plant die seit Januar 2023 amtierende schwedische EU-Ratspräsidentschaft dies nun spätestens für den Energieministerrat am 19. Juni 2023. Dafür wird sie in der kommenden Woche die überarbeitete Kompromisstexte (REV 4) mit den Mitgliedstaaten diskutieren. 

Ein zentraler politischer Diskussionspunkt im Rat war bisher vor allem die (Gleich-)Behandlung von CO2-armem und erneuerbarem Wasserstoff u.a. mit Blick auf die Anrechenbarkeit auf die Klimaziele und Entgeltrabatte sowie Vorgaben für die Beimischung von Wasserstoff an Grenzübergangspunkten. Mit Blick auf die Entflechtung von Wasserstoffnetzbetreibern sieht der Rat derzeit eine unbefristete Nutzung des ITO-Modells für Fernleitungsnetzbetreiber vor, die bei Inkrafttreten der Richtlinie als ITO zertifiziert sind. Mit Blick auf die horizontale Entflechtung sieht der  aktuelle Kompromisstext einen im Sinne der BDEW-Position klarstellenden Erwägungsgrund vor. Bisher nicht im Rat aufgenommen ist die Differenzierung zwischen VNB und FNB auch bei Wasserstoffnetzen.

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