Herr Bieberbach, Stadtwerke leisten einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende. In welcher Rolle sehen Sie die Stadtwerke in Deutschland und speziell in der Stadt München?
Ich teile die Einschätzung, dass die Stadtwerke eine sehr wichtige Rolle beim Umbau des Energiesystems spielen. Ein Vorteil der Stadtwerke ist, dass sie regional fokussiert und gut mit den Institutionen vor Ort vernetzt sind. Zudem können sie in der Regel die gesamte Breite der Energieversorgung anbieten. Sie sind der ideale Ansprechpartner für die Stadt, aktuell vor allem bei der kommunalen Wärmeplanung. Ein zweiter Punkt ist, dass es bei der Energie- und Wärmewende sehr stark darauf ankommt, lokale erneuerbare Potenziale zu identifizieren und zu heben; auch das können lokale Player normalerweise besser als überregionale.
In München trennen wir die Dinge sehr genau. Es gibt im Bereich der Wärmeplanung hoheitliche Aufgaben der Stadt München. Die Stadtwerke liefern Daten und die Stadt agiert selbst. Und dann gibt es uns als Energiedienstleister für die Bevölkerung, der wir im Rahmen der von der Stadt gesetzten Politik Angebote machen. Hier ist eine Zusammenarbeit mit der Stadt unheimlich wichtig, dennoch sind die Rollen getrennt.
Wie bewerten Sie an dieser Stelle das „Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze“?
Im Grunde genommen ist das verabschiedete Gesetz durchaus akzeptabel. Es ist aber im Vergleich zu früheren Entwürfen stark abgemildert worden, was faktisch eine langsamere Dekarbonisierung des Wärmemarktes bedeutet als ursprünglich geplant. Dies führt unweigerlich dazu, dass die kurzfristigen Klima- und CO2-Reduktionsziele nicht erreicht werden können.
Dennoch spiegelt dies das Ergebnis eines demokratischen Prozesses wider. Unter Berücksichtigung der systematischen Struktur, der Anforderungen und Fristen lässt sich sagen, das Gesetz ist im Großen und Ganzen stimmig.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie im Zusammenhang mit der Energiewende konkret zur Dekarbonisierung des Wärmesektors? Wo stehen Sie in der Wärmeplanung für die Stadt München und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?
Konkrete Maßnahmen, die die Stadt durchgeführt hat, waren natürlich erst einmal Studien. Die Zusammenstellung der Datenbasis war dabei eine große Herausforderung. Das Datenmaterial für eine große Stadt wie München zu sammeln und in einen konsistenten Datenpool zu konsolidieren hat Jahre gedauert. In den extern beauftragten Studien wurde anhand von Szenarien berechnet, was man in München umsetzen kann, um den Wärmemarkt zu dekarbonisieren. Das ist auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung und im Stadtrat wichtig.
München hat sich wie andere Städte entschieden, in Zukunft nicht mehr auf das Gasnetz für die Wärmeversorgung zu setzen. Die Stadt plant, das Gasnetz außer Betrieb zu nehmen, zumindest in großen Teilen. Erdgas wird teilweise durch Fernwärme ersetzt werden. Der größte Teil soll durch Verdichtung innerhalb der bestehenden Fernwärmegebiete erfolgen, ergänzt um ein paar Erweiterungen des Fernwärmenetzes. Überall dort, wo es keine Fernwärme gibt und auch künftig nicht geben wird, wird über kleine Nahwärmenetze oder individuelle Lösungen nachgedacht, z. B. Grundwasserwärmepumpen, insbesondere für größere Gebäude, oder Luftwärmepumpen für kleine Gebäude. Dies sind die Technologien, die jetzt basierend auf diversen Studien in München im Fokus stehen.
Nach unserer Voraussicht und auch nach Einschätzung der Stadt München wird Wasserstoff nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das Gleiche gilt für Biomasse, Hackschnitzel oder Solarthermie. Am Ende werden wir wahrscheinlich alle Technologien im Einsatz haben, aber die dominanten werden Grundwasser- und Luftwärmepumpen sowie Fernwärme sein. Konkret gibt es einen Transformationsplan zur Umstellung der Fernwärme auf klimaneutrale Wärmequellen und zum Ausbau und der Nachverdichtung der Fernwärme. Das ist der große Trafo-Plan für das BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle). Zusätzlich gehen die Stadtwerke und private Player jetzt stark in Angebote für Wärmepumpen, Nahwärmenetze und so weiter rein.
Wie sehen Sie das Thema Fachkräftemangel in diesem Zusammenhang?
Der Mangel an Fachkräften besteht bereits. Zwar ist eine leichte Entspannung zu spüren, doch angesichts der bevorstehenden Herausforderungen bereitet die mangelnde Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte nach wie vor große Sorge. Dies betrifft nicht nur die Unternehmen, die für uns tätig sind, sondern auch unser eigenes Unternehmen.
Für Themen wie die Fernwärmenachverdichtung und den Aufbau klimaneutraler Fernwärmeproduktion müssen wir beispielsweise Hunderte von Personen einstellen, selbst wenn die eigentlichen Baumaßnahmen nicht von unseren Mitarbeitern durchgeführt werden. Planung, Konzeption, Steuerung und Überwachung sowie Vertrieb beispielsweise bleiben als stark wachsende Aufgaben bei uns.
Wie schaffen Sie es in einer Stadt wie München, die Gesellschaft dafür zu gewinnen, dabei auch mitzumachen?
Noch haben wir, die Energiebranche, Politik etc., die Bevölkerung in ihrer Mehrheit nicht für diesen Wandel gewonnen. Das bekommen wir klar als Rückmeldung. Das ist eine Überzeugungsarbeit, die noch zu leisten ist. Wie schnell uns das gelingen wird, ist schwer zu prognostizieren. Wir versuchen insbesondere, Beratungsangebote deutlich auszubauen. Das geht sehr in die Richtung, dass nicht nur wie in der klassischen Energieberatung beraten wird, wie man im Haushalt Energie einsparen kann, sondern dass man die Menschen auch bei der Wahl ihres Heizungssystems unterstützt.
Es ist entscheidend, den Menschen auf transparente und glaubwürdige Weise darzulegen, dass ein Wechsel zu einem alternativen Heizungssystem für sie langfristig auch wirtschaftlich von Vorteil sein kann oder zumindest nicht mit langfristigen Nachteilen verbunden ist. Eine weitere Sorge neben der Wirtschaftlichkeit eines neuen Heizungssystems ist, dass die neue Technik nicht richtig funktioniert und das Haus nicht warm wird. Diese Sorge muss den Leuten genommen werden.
Das Thema Energiewende wird nun erstmals in den Haushalten diskutiert und hat somit die Ebene der Bürgerinnen und Bürger erreicht. Bisher lag der Fokus auf der Abschaltung von Kraftwerken und dem Aufbau von Anlagen wie Windparks, wobei die Interaktion hauptsächlich zwischen der Politik und der Energiebranche stattfand. Nun sind plötzlich alle Haushalte, insbesondere alle Hausbesitzer, betroffen und müssen über den Austausch ihrer Heizungsanlagen nachdenken. Die Energiewende hat somit den Alltag der Menschen erreicht und bringt weitreichende Herausforderungen mit sich.
Wie wird die Öffentlichkeit in den Prozess der Wärmeplanung in München eingebunden? Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um die gesellschaftliche Akzeptanz in der Stadt zu verbessern?
In München wird es so laufen, dass die Stadt mit den Stadtwerken in diesem Jahr mit einer großen Informationskampagne an die Öffentlichkeit geht. Die Verabschiedung der Wärmeplanung war bereits länger geplant. Die Stadt wollte einen fixen Rechtsrahmen und nicht in Unsicherheit agieren, doch durch das Verfassungsgerichtsurteil wurde alles verzögert. Inzwischen hat sich der rechtliche Rahmen stabilisiert, sodass man jetzt im April den Schritt in die Öffentlichkeit gehen wird.
Die Wärmeplanung wird bald im Stadtrat verabschiedet, begleitet von einem intensiven Bürgerbeteiligungsprojekt. Es wird sehr viel Informationen und Beratung geben, die Stadt wird sogar die Leute in ihren Häusern mit Energieberaterinnen und -beratern aufsuchen. Ich hoffe, dass es mit einer solchen Informations- und Dialogoffensive gelingt, entstehende Verunsicherungen schnell wieder in den Griff zu kriegen.
Die Regulierung nimmt zu, Investitionen in neue Technologien und solche in die Aufrechterhaltung der bestehenden Infrastruktur steigen. Wie finden die Stadtwerke in Zukunft die richtige Balance zwischen Investitionen und dem laufenden Geschäft? Sehen Sie Veränderungen im Leistungsportfolio?
In Übereinstimmung mit der Politik liegt die Priorität nach wie vor auf der Versorgungssicherheit, also darauf sicherzustellen, dass die bestehenden Systeme reibungslos funktionieren. Dies ist stets die vorrangige Aufgabe. Die zweite Priorität liegt dann auf der Dekarbonisierung. Dabei geht es um die Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch Umbau und Abschaltung von Anlagen, sofern dadurch die Versorgungssicherheit nicht beeinträchtigt wird. Dies führt immer wieder zu Kompromissen. Alle anderen Belange werden als dritte Priorität eingestuft. Hier kann es vorkommen, dass bestimmte Projekte ausgesetzt werden müssen.
Jetzt ist das Umfeld einer Stadt wie München und damit auch der Stadtwerke ein besonderes, weil das Potenzial, die Balance in diesem Dreiecks-Spannungsfeld zu halten, viel größer ist. Wie schätzen Sie das für wesentlich kleinere Stadtwerke ein? Schaffen die das oder sehen Sie da eine Tendenz, dass eine engere Kooperation zwischen nahe gelegenen anderen Stadtwerken in der Region notwendig ist, damit sie diesen Spagat hinbekommen?
Es sind zwei Aspekte zu betrachten. Zum einen halte ich Kooperationen zwischen kleinen Stadtwerken grundsätzlich für sehr sinnvoll, da Risiken und Aufwand in vielen Bereichen gemeinsam getragen werden können. Viele der Technologien, über die wir sprechen, weisen Skaleneffekte auf, die kleine Stadtwerke nicht wirklich nutzen können.
Das größere Problem ist jedoch, dass ein Großteil der Stadtwerke in Deutschland und auch in anderen Ländern unterkapitalisiert ist. Ihre Eigenkapitalbasis ist einfach zu schwach. Das ist nicht der Fehler der Stadtwerke selbst, sondern liegt daran, dass viele Kommunen über Jahrzehnte hinweg zu viele Gewinne entnommen haben. Man hat von der Substanz gelebt und ein Bestandsgeschäft geführt, das mehr oder weniger gut lief.
Den Stadtwerken wurde zu viel Kapital entzogen und zu wenig zugeführt, um jetzt in die neue Investitionswelle einsteigen zu können. Dieses Geld wurde jedoch bereits ausgegeben, womit die Kommunen es nicht rückwirkend erstatten können. Die kommunale Finanznot, die wiederum der Grund dafür ist, dass die Stadtwerke sehr viel Gewinn abführen müssen, ist meines Erachtens die wichtigste Ursache dafür, dass die Stadtwerke jetzt nicht die finanzielle Kraft haben, um die anstehenden Investitionen zu tätigen. Das ist ein Dilemma.
Wie viel Prozent der Fernwärme werden im Jahr 2023 in Ihrem Unternehmen klimafreundlich erzeugt? Wie wird sich dieser Bereich bis 2035 entwickeln?
2023 waren bei uns 21 % der Fernwärme aus erneuerbaren Energien und 9 % Abwärme aus Müllverbrennung. Das heißt, es stammen insgesamt etwa 30 % aus dem nichtfossilen Bereich. Der Rest war fast ausschließlich KWK. Dazu kamen Gasheizwerke, aber deren Beitrag war fast vernachlässigbar.
Wir hatten 2023 wegen der Gaskrise unseren Kohleblock auch noch voll in Betrieb. Im Jahr 2035 sieht der Transformationsplan vor, dass die Kombination aus Abwärme und erneuerbaren Energien bei 83 % liegt. Der Rest, also 17 %, ist mit KWK geplant. Wenn man ehrlich ist, basiert die KWK 2035 wahrscheinlich immer noch auf Erdgas. Irgendwann steht dann aber natürlich der Umstieg auf Wasserstoff-KWK an.
Welche Wärmepumpenart (Geothermie, Luft, Wasser, Abwasser; zentral, dezentral) sehen Sie im Jahr 2030 führend und warum? Wird es Unterschiede zwischen Neu -und Umbau geben?
Wärmepumpen spielen eine große Rolle bei der dezentralen Wärmeversorgung von Einzelhäusern, direkt oder über Nahwärmenetze. Sie spielen aber auch eine große Rolle für die Fernwärme. Wir wollen Fernwärme in Zukunft zu einem wesentlichen Teil aus Tiefengeothermie erzeugen, kommen aber jetzt gerade im Zuge des Ausbaus des Fernwärmenetzes zu der Überzeugung, dass diese gerade im Winter bei Weitem nicht ausreichen wird. Deshalb sollen auch Großwärmepumpen auf Thermalwasserbasis in der Fernwärme zum Einsatz kommen.
Für die Häuser, die eben nicht an der Fernwärme hängen und sich für Wärmepumpen entscheiden, sehen wir im Wesentlichen zwei Technologien: die Luft- und die Grundwasserwärmepumpe. Die individuellen Entscheidungen der Menschen sind schwer zu prognostizieren, die sind nicht immer 100-prozentig ökonomisch getrieben. Gerade in kleineren Gebäuden und vor allem im Neubau von Ein- oder Zweifamilienhäusern ist vor allem die Luftwärmepumpe sehr stark gefragt. Bei Mehrfamilienhäusern oder Einfamilienhäusern mit einem kleinen Nahwärmenetz sehen wir insbesondere die Grundwasserwärmepumpe, die bei größeren Leistungen dann schnell wirtschaftlicher wird. Vor allem an kalten Wintertagen kann sie ihren Effizienzvorteil massiv ausspielen.
Sie geben als Unternehmen das Ziel aus, den Münchner Bedarf an Fernwärme bis spätestens 2040 CO2-neutral zu gestalten. Dabei wollen Sie vor allem auf Tiefengeothermie setzen. Welche Rahmenbedingungen braucht es, um den Einsatz von Technologien zu beschleunigen?
Momentan besteht die Dringlichkeit in der Aufstockung der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) durch den Bund; dies ist für uns von entscheidender Bedeutung. Offenkundig werden die derzeit im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel nicht einmal für München ausreichen, geschweige denn für den Rest Deutschlands. Es erscheint offensichtlich, dass ein politischer Konsens benötigt wird, um die BEW in den nächsten Jahren zu verstetigen und bestenfalls in ein Gesetz umzuwandeln, um Planungssicherheit zu gewährleisten.
Insgesamt ist Planungssicherheit wichtig. Was wir jetzt brauchen, ist eine Stabilität der politischen Rahmenbedingungen. Zuletzt gab es zu viele Änderungen. Eine Konsolidierung ist notwendig. Es können sicherlich Aspekte zusammengefasst und gesetzliche Inkonsistenzen behoben werden, aber ständige Gesetzesänderungen sind nicht förderlich.
Das zweite große Thema für uns speziell ist die Tiefengeothermie und es freut mich, dass das zunehmend auch für andere Kommunen in den Fokus rückt. Wir wünschen uns ein Geothermie-Erschließungsgesetz nach dem Vorbild des „Wind-an-Land-Gesetzes“, insbesondere um eben Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, aber auch um Privilegierungstatbestände zu schaffen, die Bereitstellung von Flächen für Bohrungen zu erleichtern und ähnliche Dinge.
Die Geothermie hat immer schon ein bisschen ein Schattendasein geführt. Bis vor Kurzem wurde sie von der Bundespolitik nie als technologische Alternative ernst genommen. Erst in den letzten Jahren hat man in Berlin begriffen, wie groß das Potenzial der Tiefengeothermie in Deutschland ist und wie wichtig ihr Beitrag für die Wärmewende sein wird. Der gesetzgeberische Rahmen ist da aber noch ein bisschen wackelig.
Herr Bieberbach, vielen Dank für das Gespräch!
Florian Bieberbach
ist seit 2013 Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke München GmbH (SWM). Nach einem Studium der Informatik und einer Promotion in Wirtschaftswissenschaften an der TU München war Florian Bieberbach ab 2000 im Investmentbanking tätig.
„Größte Hebel zur Dekarbonisierung liegt in der Heizungsfrage.“ - Martina Butz, Geschäftsführerin der Stadtwerke Hanau, über die Herausforderungen der Wärmeplanung.
"Nicht in Scheindebatten wie eFuels verlieren." - Michael Homann, Vorsitzender der Stadtwerke Karlsruhe, zu Klimazielen und Wärmewende.
"Empfehle hohe Transparenz in Zusammenarbeit mit Projektträgern." - Klimaneutrale Wärme bis 2035? Unter den jetzigen Rahmenbedingungen unrealistisch, sagt Oliver Brünnich von den Stadtwerken Rostock.