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Drei Fragen an...

Christian Y. Schmidt

Der Titanic-Autor und Schriftsteller Christian Y. Schmidt radelt derzeit 7.000 Kilometer quer durch China. Warum tut er das und was erlebt er?

Portrait Christian Y. Schmidt

© Robert Albrecht / BDEW

Herr Schmidt, unter dem Motto „So weit die Füße radeln“ sind Sie kürzlich aufgebrochen, 7.000 km mit dem Rad durch China zu fahren, auf den Spuren des Langen Marsches. Warum tun Sie sich das an?
Das fragte ich mich auch bei jedem Berg, den ich auf den bisherigen 2.000 Kilometern hochgefahren bin. Ich hatte mich mit dem Schreiben meines letzten Romans „Der letzte Huelsenbeck“ fünf Jahre lang am Schreibtisch so gequält, dass ich mal wieder was an der frischen Luft machen wollte. Da fragte mich der Reiseschriftsteller Volker Häring, ob ich nicht mit ihm zusammen die Route des historischen Langen Marsches fahren wollte, auf dem Fahrrad.

Ich sagte zu, auch weil ich mich schon lange für Otto Braun interessiere: ein deutscher Kommunist aus Bayern, wie aus der „Babylon Berlin“-Serie entsprungen, von der Komintern nach China geschickt, und dann der einzige Ausländer, der am Langen Marsch teilgenommen hat. In China ist er als Gegenspieler Maos hochberühmt, hierzulande kennt ihn fast keiner. Auf so einer Tour, so dachte ich mir, müsste man doch mehr über diese schillernde Figur herausfinden.

Tatsächlich haben wir in den hiesigen Museen inzwischen so viel Unbekanntes über Braun entdeckt, dass allein das ein ganzes Buch füllen würde. Wir haben noch Pässe vor uns, die bis zu 4.200 Meter hoch sind. Keine Ahnung, ob ich das überlebe. Immerhin werden wir wohl die ersten Menschen sein, die die Route des Langen Marsches mit Pedelecs gefahren sind. Bzw. wenn es schief geht, werden wir die ersten sein, die es versucht haben.

Sie kennen China seit Jahrzehnten als Korrespondent. Wie hat sich das Land in den letzten Jahren entwickelt und was ist aus Ihrer Sicht der gravierendste Mentalitätsunterschied zwischen Chinesen und Deutschen?
Ich bin aktuell überrascht, wie relativ wohlhabend die Bauern inzwischen sind. Wir sind gerade länger durch Gebiete gefahren, die hauptsächlich von nicht-hanchinesischen nationalen Minderheiten bewohnt werden. Ich war erstaunt, wie groß die Häuser dieser Leute sind und wie hoch der Lebensstandard ist. Und: Man kann inzwischen überall digital mit dem Handy bezahlen, selbst bei der letzten Nudelbude oder bei der alten Oma, die am Straßenrand ein paar Knoblauchknollen anbietet.

China ist inzwischen auch in der Fläche sauberer und auch organisierter geworden. Als uns kürzlich auf einer entlegenen Bergstraße ein wichtiges Teil der Schaltung kaputt gegangen war, haben wir innerhalb von zwei Tagen ein Ersatzteil per Internet und Expresslieferung bekommen. Und die Mentalität? Hm, „die Chinesen“ - immer schwierig zu generalisieren – sind zwar mindestens genauso große Bürokraten wie „die Deutschen“, aber sie sind auch sehr gut im Improvisieren. Das liegt vielleicht auch am chinesischen Pragmatismus.

So haben wohl die meisten Chinesen kein Problem damit, gleichzeitig dem Marxismus und dem Ahnenglauben anzuhängen. Aus dieser spezifisch chinesischen Toleranz eigentlich unvereinbarer Glaubenssysteme gegenüber entspringt wohl auch die chinesische Gelassenheit, um die ich nervöses Kontrollfreakhemd „die Chinesen“ immer noch beneide.

Wie hat sich durch Ihre Erfahrungen mit China Ihr eigener Blick auf Deutschland verändert?
Was ich in China gelernt habe, ist, dass in der Politik nicht die großen Theorien oder Absichtserklärungen zählen, sondern das, was am Ende praktisch für die Leute herauskommt. Natürlich können und sollten wir nicht Chinas politisches System übernehmen. Aber man kann von China lernen, dass vieles möglich ist, wenn die Politik den Willen hat, Vernünftiges durchzusetzen.

Als ich 2005 nach Peking zog, gab es drei U-Bahn-Linien von rund 80 Kilometern Länge. Heute transportiert die Pekinger U-Bahn auf über 800 Kilometern und 27 Linien die meisten Passagiere eines U-Bahnsystems auf der Welt. Das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz ist mit rund 42.000 Kilometern länger als alle anderen Hochgeschwindigkeitsnetze auf der Welt zusammen. Die Züge sind auf die Minute pünktlich.

Oder die Energieerzeugung: Allein bei der Solarenergie produziert China mehr als die ganze Welt zusammengenommen. Und gerade haben unabhängige Experten verkündet, dass Chinas CO2-Emissionen wohl schon ab diesem Winter dauerhaft fallen werden, sieben Jahre vor dem erklärten Ziel. Von China aus gesehen, sieht die Zukunft also alles andere als trübe aus. Auch das habe ich letzten Endes China zu verdanken: Dass ich alter Schwarzseher nicht mehr so grundsätzlich pessimistisch bin, zumindest, was die Weltlage angeht. Ob ich allerdings Ende Mai 2024 Yan‘an erreichen werde, das Ziel unserer 7.000 Kilometer langen Reise, das steht auf einem anderen Blatt.

Christian Y. Schmidt

ist ein deutscher Autor und Journalist (Titanic, Berliner Zeitung, Jungle World, taz) und hat bereits mehrere Bücher über Ostasien veröffentlicht. Aktuell reist er mit dem Rad quer durch China auf den Spuren des Langen Marsches

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