In der Ausbildungswerkstatt auf dem Statkraft-Gelände im Emder Hafen riecht es nach Metall, Öl und Lötzinn. Wo früher Kraftwerkskomponenten repariert wurden, lernen heute junge Menschen, wie man Schaltschränke baut, Steuerungstechnik anwendet und Fehler an elektrischen Anlagen findet.
Es ist die Zentrale eines ungewöhnlichen Ausbildungsprojekts: Vier europäische Energieunternehmen – Statkraft aus Norwegen, Ørsted aus Dänemark, Vinci Energies/Omexom aus Frankreich und der Windparkbetreiber Windmultiplikator aus Bremen – haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam Elektroniker für Betriebstechnik auszubilden. Die Initiative heißt „Into Green Future“ und wurde 2023 aus der Region heraus gegründet – als pragmatische Antwort auf ein wachsendes Problem: den Fachkräftemangel in der Energiewirtschaft.
Die Lage ist ernst, warnt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK: "Gelingt es uns nicht, den Fachkräftemangel entlang der relevanten Wertschöpfungsketten in den Griff zu bekommen, sind die Ausbauziele im Bereich der erneuerbaren Energien eher eine Utopie als ein realistisches Zukunftsszenario.“

Laut DIHK-Fachkräftereport 2024 / 2025 und der Studie „Defossilisierung und Klimaneutralität“ fehlen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien bis 2030 eine halbe Million Fachkräfte. Fast die Hälfte (47 Prozent) aller Energieversorger klagt über einen sich verschärfenden Fachkräftemangel – und 63 Prozent fordern eine Stärkung der beruflichen Bildung, um das Qualifikationsniveau der Auszubildenden zu heben.
Koalition der Willigen für mehr Azubis
„Es war eine Koalition der Willigen“, sagt Geschäftsführerin Anna Schlag, die das Ausbildungsnetzwerk mit aufgebaut hat. „Unternehmen aus der Region haben sich an einen Tisch gesetzt und gesagt: Wir haben alle das gleiche Problem – zu wenig Nachwuchs. Also warum sollten wir nicht gemeinsam ausbilden, statt jeder für sich zu kämpfen?“ Das Ergebnis ist ein europaweit einzigartiges Ausbildungsmodell, finanziell unterstützt mit rund einer halben Million Euro Landesförderung aus Niedersachsen. Der Standort Emden wurde bewusst gewählt: Alle vier Unternehmen sind in der Region aktiv, und eine voll ausgestattete Ausbildungswerkstatt war bereits vorhanden – nur ungenutzt.
Die Ausbildung bei „Into Green Future“ folgt formal dem klassischen IHK-Beruf Elektroniker für Betriebstechnik mit einer Ausbildungsdauer von dreieinhalb Jahren. „Wir haben kein eigenes Curriculum“, sagt Schlag. „Die Grundlagen sind identisch. Der Unterschied ist, wie wir sie vermitteln.“

Statt nur in einem Unternehmen zu lernen, rotieren die Auszubildenden durch alle vier Betriebe – Windenergie Onshore, Offshore, Energieanlagenbau, Wasserkraft. Sie verbringen Praxisphasen in Emden, Bremen, Dörverden und auch an Offshore-Standorten. Dabei erleben sie unterschiedliche Unternehmenskulturen, lernen verschiedene Anlagentypen kennen und sehen früh, welche Richtung ihnen liegt.
Das Konzept beschreibt Ausbilder Matthias Rosenboom so: „Wir bilden nicht für irgendeine Werkbank aus, sondern für die Energiewende in der Praxis. Von Anfang an wird neben der theoretischen Berufsschulausbildung auf realistische Einsatzfähigkeit trainiert, inklusive Global Wind Organisation Trainings (GWO) für Offshore-Sicherheit. „Wir verlangen übrigens keine Einsen auf dem Zeugnis“, sagt Rosenboom. „Wir suchen Leute, die mitdenken, im Team arbeiten, und Lust haben, was zu bewegen. Denn gerade Offshore arbeitet keiner allein – das vermitteln wir auch in der Ausbildung.“
27 Azubis aus sieben Nationen
Die erste Kohorte startete 2023 mit 13 Azubis, 2024 kamen sechs dazu, 2025 folgen weitere acht – insgesamt derzeit 27 aus verschiedenen Nationen. Ein Beispiel ist Hawil Magarati aus Nepal, 31 Jahre alt, gelernter Sherpa. „Ich wollte in Deutschland arbeiten und etwas Technisches machen“, sagt er. „Die Ausbildung hier ist perfekt – die Ausbilder sind immer ansprechbar, niemand lässt dich allein. Am Anfang hatte ich noch Schwierigkeiten, die ganzen Fachbegriffe zu lernen, aber man hilft sich gegenseitig.“
Vom Himalaya in die Nordsee

Arbeite vor seiner Ausbildung zum Offshore-Wind-Elektriker als Sherpa in Nepal: Hawil Magarati. Credit: Privat
Bemerkenswert: Bisher gibt es keinen Abbrecher – und fünf der ersten 13 Azubis konnten die Ausbildung um ein Jahr verkürzen, weil sie überdurchschnittlich gute Prüfungsergebnisse abgeliefert haben. Die ersten Abschlüsse stehen Anfang 2026 an – wo die Absolventen dann arbeiten werden, ist bewusst offen. „Es gibt keinen Verteilungsschlüssel“, sagt Schlag. „Am Ende entscheidet, wer wo am besten passt – und wo Stellen frei sind. Die Unternehmen lernen die Leute früh kennen, und umgekehrt: Das ist ein echter Vorteil.“
Zukunft offen, aber das Modell wirkt
Die Projektförderung läuft bis Anfang 2028. Ob es danach weitergeht? „Wir möchten unbedingt weitermachen“, sagt Rosenboom. Aktuell werde darüber nachgedacht, „Into Green Future“ als eigenen Bildungsträger zertifizieren zu lassen, zusätzliche Umschulungs- und Qualifizierungsangebote aufzubauen und sich für die Region noch breiter aufzustellen.“
Auch für die Unternehmen steht fest: Kooperation statt Konkurrenz funktioniert. Die Fachkräfte, die hier ausgebildet werden, sichern den Betrieb von Energieanlagen – und damit ein gutes Stück Versorgungssicherheit. Rosenboom bringt es auf den Punkt: „Die Energiewende ist ein Teamprojekt. Also muss auch Ausbildung Teamarbeit sein.“

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