Sechs Wochen lang standen die Bänder still und die Hallen waren menschenleer. Nach einem Cyberangriff Ende August 2025 stellte der britische Autobauer Jaguar Land Rover, der zum indischen Tata-Konzern gehört, die gesamte Produktion in Großbritannien und der Slowakei ein. Davon betroffen waren tausende Händler und Zulieferer. Der Schaden: etwa 2,2 Milliarden Euro. Immer häufiger gerät der internationale Warenverkehr durch Cyberangriffe, Kriege, Zölle oder Naturkatastrophen ins Stocken. Schon kleine Störungen in der Lieferkette können große Folgen haben. Wie kann sich Europa besser schützen?
Welche Abhängigkeiten bestehen?
Die USA und China sind wichtige Handelspartner für die Europäische Union (EU). 2024 wurden mit ihnen Waren im Wert von fast 1,6 Billionen Euro gehandelt. Die Einfuhren aus der Volksrepublik stiegen zwischen 2014 und 2024 um mehr als 100 Prozent. Importiert werden beispielsweise Mikrochips, Halbleiter, Medikamente und Seltene Erden, die für Hochleistungsmagnete gebraucht werden. Diese wiederum sind wichtig für Elektromotoren, Windräder, Smartphones, Medizintechnik, Kampfflugzeuge oder U-Boote. Europa deckt 90 Prozent des Bedarfs durch Importe aus China.

Als Reaktion auf Spannungen mit den USA, die Zölle auf chinesische Waren erhoben hatten, verschärfte die Volksrepublik den Export Seltener Erden. Außerdem will China nicht länger die westliche Rüstungsindustrie unterstützen. Ausländische Unternehmen wurden verpflichtet, für den Import Seltener Erden Genehmigungen beim chinesischen Handelsministerium zu beantragen und nachzuweisen, dass sie nur für die Batterieproduktion verwendet und nicht weiterverkauft werden. Das hatte Folgen für die globalen Lieferketten und Schlüsselindustrien in Europa: für die Automobil- und Rüstungsindustrie sowie die Raumfahrt. Ende Oktober 2025 setzte China die Beschränkungen für ein Jahr aus.
Was plant die Europäische Union?
Die Europäische Union (EU) hat 34 Rohstoffe identifiziert, die wichtig für die Wirtschaft und die Energiewende sind. Um die Versorgung zu sichern und unabhängiger von Importen zu werden, setzt die EU auf eigene Ressourcen, Recycling und neue Handelspartner. Der Plan heißt „RESourceEU“. Vorbild ist die Initiative „REPowerEU“. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde damit die Abhängigkeit von russischem Gas verringert. „Europa kann nicht länger einfach so weitermachen. Diese Lektion mussten wir bei der Energie schmerzlich lernen. Wir werden bei den kritischen Rohstoffen nicht den gleichen Fehler machen. Jetzt ist es an der Zeit, zu handeln – entschlossen, nachhaltig und unabhängig“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende Oktober 2025.
Neue Handelspartner in Asien, Afrika oder Südamerika zu finden, wird weder schnell gehen noch einfach sein. Um Rohstoffe in Europa abzubauen und aufzubereiten, muss eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden: für Bergbau, Verarbeitung, Produktion. Das ist teuer und komplex. Dänemark warnt zudem, die geplanten neuen Vorschriften könnten Unternehmen mit knapp 86 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Europa dürfe nicht zum Kontinent der Vorschriften werden. Diese müssten auch wirtschaftlich tragbar sein, damit Unternehmen nicht abwandern.
Neue Lieferketten und neue Partner
„RESourceEU“ ergänzt das Europäische Gesetz über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act, CRMA), das 2024 in Kraft getreten ist. Die EU steckt sich damit konkrete Ziele bis 2030. Seltene Erden, Graphit, Mangan, Lithium, Nickel oder Kobalt sollen in Europa gewonnen und verarbeitet werden. Unternehmen können sich dafür bewerben. 47 solcher Projekte wurden 2025 bereits genehmigt. Die Investitionen belaufen sich auf 22,5 Milliarden Euro. In Schweden werden zum Beispiel Seltene Erden für Magnete gewonnen und aufbereitet, in Frankreich Seltene Erden aus Batterien recycelt, in Norwegen und Spanien wird Kupfer abgebaut, in Tschechien Lithium gewonnen, in Polen eine Anlage gebaut, um Seltene Erden zu trennen. Im September 2025 startete die nächste Bewerbungsrunde.
Auch außerhalb Europas können sich Unternehmen für Projekte bewerben. Um neue Quellen zu erschließen, werden Partnerschaften mit Ländern wie Kanada, Australien, der Ukraine, Chile, Kasachstan und Grönland vertieft.

Recycling, Diversifizierung und Importlimits
Um nicht von einem einzigen Staat abhängig zu sein, gibt es für den Import kritischer Rohstoffe eine Höchstgrenze: Maximal 65 Prozent dürfen aus einem einzigen Land außerhalb der EU kommen. Die EU-Plattform für Energie und Rohstoffe unterstützt europäische Unternehmen bei der Beschaffung von Rohstoffen, Wasserstoff und Gas. Außerdem setzt die EU auf Kreislaufwirtschaft und Recycling. Wichtige Rohstoffe sollen so in Umlauf bleiben und für die europäische Industrie gesichert werden. Die EU peilt an, 25 Prozent bis 2030 zu recyceln. In Bitterfeld eröffnete Heraeus 2024 die größte Recycling-Anlage für Seltene-Erden-Magnete in Europa.
Unternehmensstrategien zur Lieferkettenresilienz
Unternehmen brauchen vor allem größere Lagerbestände, um Engpässe und Produktionsausfälle zu vermeiden. Lieferketten und Produktionsabläufe müssen von „just in time“ (bedarfsorientiert) zu „just in case‟ (für alle Fälle) übergehen. Um schnell auf Störungen reagieren zu können, braucht es einen Notfallplan und ein gutes Supply Chain Management.
Große Unternehmen setzen darüber hinaus – wie die EU – auf „Made in Europe“ und wollen Produktionen aus Fernost nach Europa zurückholen. Die Resilienz der Lieferketten und der Wunsch, näher bei den Kunden zu sein, sind Gründe dafür. Das zeigt eine Umfrage, die das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen Capgemini mit Sitz in Paris im Januar 2025 durchführte.
Heimische Rohstoffe und EU-Resilienz
Für den Green Deal braucht die Europäische Union große Mengen an bestimmten Rohstoffen. Weltweit steigt die Nachfrage nach Lithium, Nickel, Kobalt, Graphit oder Seltenen Erden. Allein bei Lithium im Jahr 2024 um fast 30 Prozent. Große Vorkommen gibt es vor allem in Serbien, aber auch in Tschechien und Deutschland. Die EU will die eigenen Ressourcen stärker nutzen, Lieferketten diversifizieren und mehr recyceln. Dafür müssen entsprechende Strukturen aufgebaut werden. Das braucht Zeit und Geld.
Kurzfristig setzt die EU deshalb auf Gespräche: vor allem mit China und den USA.

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