Moin! Hier entsteht Deutschlands nachhaltigste Batteriezellfabrik“ – so lautete beim Spatenstich die optimistische Inschrift auf dem Baustellenschild der Baustelle „Northvolt 3“ in Heide. Die geplante Gigafactory im Kreis Dithmarschen sollte ein Leuchtturmprojekt für Schleswig-Holstein werden, die Region hoffte auf rund 3.000 neue Arbeitsplätze. Im Frühsommer 2025 war die Euphorie indes verflogen: Der schwedische Mutterkonzern Northvolt AB hat im März 2025 Insolvenz angemeldet, woraufhin der US-Konzern Lyten ankündigte, die noch bestehenden Standorte des Unternehmens zu übernehmen. Anders gesagt: Sollte hier irgendwann einmal eine Fabrik entstehen, gehen Teile der Wertschöpfung in die USA.

Zukunft ungewiss: Baustelle der Nortvolt-Fabrik bei Heide in Schleswig-Holstein. Credit: Christian Charisius / Picture Alliance
Northvolt zeigt exemplarisch Europas fragile Position im globalen Paradigmenwechsel: Europas auf Emissionshandel (ETS) basierendes Klimaregime trifft auf die finanziell mächtig ausgestattete Industriepolitik der globalen Großmächte. Die EU müsse erkennen, dass Klimaneutralität bis 2050 nicht nur eine technologische, sondern auch eine geopolitische und wirtschaftspolitische Herausforderung sei, sagt Miranda Schreurs, Lehrstuhlinhaberin für Climate and Environmental Policy der Technischen Universität München: „Die technologischen Veränderungen, die wir heute erleben, werden zu einem großen Teil darüber entscheiden, wie sich der globale Machtkampf zwischen Staaten entwickelt. Es geht nicht allein darum, welche Industrien neu entstehen und welche verschwinden. Entscheidend ist auch, wo investiert wird, wo produziert und wo Innovation tatsächlich stattfindet.“
Europa zwischen Führungsrolle und schwerem Fahrwasser
Die Europäische Union hat sich mit dem Green Deal klar zur Klimaneutralität bekannt. Herzstück ist das Emissionshandelssystem (ETS), das CO2 einen Preis gibt und Investitionen in klimafreundliche Technologien auslösen soll. Doch wenn andere große Staaten beim Klimaschutz bremsen, entstehen Nachteile für jene Industrien, die sich an die europäischen Vorgaben halten müssen.
Genau da liegt das Problem, sagt Maximilian Fuchs, Affiliate Fellow beim Think Tank Bruegel und spezialisiert auf Finanz- und Klimaökonomie: „Wir erleben gerade eine nationale und protektionistische Industriepolitik und müssten doch eigentlich als Weltgemeinschaft zusammenarbeiten, um die Folgen des Klimawandels abzumildern.“
Das politische Dilemma: Die EU will ihre Klimaziele erreichen und zugleich ihre wirtschaftliche Basis – energieintensive Schlüsselindustrien – erhalten und ertüchtigen. Das Schreckgespenst der Deindustrialisierung geht um, genährt durch die hohen europäischen Energiepreise und die für viele Unternehmen attraktive Subventionslandschaft jenseits des Atlantiks. Eine schwierige Ausgangslage, sagt Fuchs: „Europa ist beim Klimaschutz weltweit vorne, kämpft jedoch mit hohen Energiepreisen. Diese Belastung schränkt den politischen Spielraum für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen ein.“
Die wirtschaftlichen Spannungen stärken politische Kräfte, die den Green Deal kritisch sehen und Klimapolitik als Risiko für Arbeitsplätze darstellen. Dadurch wird die politische Debatte über Tempo und Umfang der europäischen Klimapolitik in den Augen von Experten noch schwieriger. Die Frage, die sich der europäischen Industrie und Politik stellt, ist daher umso drängender: Wie lassen sich die Klimaziele der EU erreichen und ihre Industrie erhalten, ohne im globalen Subventionsgewitter unterzugehen?
Subventionswettlauf im vollen Gang
Der Subventionswettlauf zwischen großen Volkswirtschaften ist kein neues Phänomen. Er hat jedoch durch den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) eine neue Dynamik gewonnen. Der IRA bietet ein Paket von hunderten Milliarden US-Dollar in Form von Steuergutschriften, Darlehen und direkten Subventionen. Primäre Bedingung: Produkte wie Batterien, Elektrofahrzeuge oder Windkraftkomponenten müssen in Nordamerika gefertigt werden beziehungsweise einen signifikanten Anteil an lokal erzeugten Bauteilen aufweisen. Zusammen mit dem Infrastructure Investment and Jobs Act und dem CHIPS and Science Act (CHIPS) werden damit laut einer McKinsey-Analyse rund zwei Billionen US-Dollar in die amerikanische Wirtschaft investiert.
Auf der anderen Seite steht die strategisch ausgerichtete Industriepolitik in China: Peking fördert seit Jahrzehnten den Ausbau von Kapazitäten in der Fertigung Erneuerbarer Energien über staatliche Banken und Beihilfen – oder auch die Elektroautoindustrie. Das hat China eine dominante Stellung und enorme Kostenvorteile in der gesamten Wertschöpfungskette verschafft. Europa hingegen gerät in eine strukturelle Abhängigkeit, warnen Experten.

Weltpolitische Spannungen verschlechtern die Ausgangslage zusätzlich. Der Wettbewerb um kritische Rohstoffe – etwa Seltene Erden für Magnetmaterialien oder Lithium und Kobalt für Energiespeicher – hat sich zu einem machtpolitischen Spiel entwickelt, bei dem Europa derzeit am Katzentisch sitzt. China beherrscht nach wie vor große Teile der Weiterverarbeitung dieser Materialien. Die USA wiederum verfolgen einen widersprüchlichen Kurs: Während sie mit dem Inflation Reduction Act (IRA) massiv grüne Subventionen vorantreiben, protegiert Präsident Donald Trump zugleich die heimische Fossil-Industrie. Um den Handelsstreit mit den USA abzumildern, stimmte die EU 2025 einem weitreichenden Energie- und Investitionspaket zu. Es verpflichtet Europa, bis 2029 große Mengen fossiler Energieträger aus den USA zu importieren und umfangreich in die amerikanische Wirtschaft zu investieren. Kritiker sehen darin eine neue Abhängigkeit – genau in dem Moment, in dem Europa sich eigentlich unabhängiger machen will.
Europa braucht Antworten: Von Regulierung zu Industriepolitik
Angesichts dieses globalen Wettlaufs unternimmt die EU verschiedene Schritte: Zum Beispiel durch den Net-Zero Industry Act (NZIA), der Europas strategische Autonomie in Schlüsseltechnologien der Energiewende stärken soll. Er identifiziert acht strategische Technologien – von Batterien über Wind- und Solartechnologie bis hin zu CCU/S und Geothermie – und setzt das Ziel, dass die EU bis 2030 mindestens 40 Prozent ihres jährlichen Bedarfs an diesen Technologien selbst produziert.
Das soll primär durch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, einfacheren Zugang zu Finanzmitteln und die Bevorzugung von Netto-Null-Produkten in öffentlichen Ausschreibungen erfolgen. Doch der Vorstoß hat auch eine sicherheitspolitische Dimension. EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné verweist auf Risiken digital vernetzter Produkte: „Heute können einige elektrische Fahrzeuge von ihren Herstellern außerhalb der EU per Fernsteuerung angehalten werden. Teslas können aus Austin gestoppt werden, BYDs aus Shenzhen.“ Die Kommission prüfe daher europäische Präferenzkriterien für sicherheitsrelevante Fahrzeugtechnologien, zumindest auf Komponentenebene.
Der Critical Raw Materials Act (CRMA) wiederum soll die geopolitische Komponente der europäischen Antwort ausdehnen. Er adressiert direkt die Abhängigkeit von China und anderen Monopolisten bei Schlüsselrohstoffen – und gibt der EU drei quantitative Ziele für das Jahr 2030 vor: Zehn Prozent des jährlichen Bedarfs an strategischen Rohstoffen sollen aus eigener Förderung innerhalb der EU stammen, 40 Prozent in der Union verarbeitet beziehungsweise veredelt werden, und 25 Prozent des Gesamtbedarfs sollen durch Recycling gedeckt sein. Dabei betrifft der CRMA die gesamte Lieferkette – von der Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen durch neue internationale Partnerschaften im Sinne des „Friendshoring“, also der Beschaffung aus geopolitisch verlässlichen Staaten, über die Förderung von Recyclingprojekten bis hin zur beschleunigten Genehmigung von Bergbau- und Raffinerievorhaben in der EU. Die Kombination aus Friendshoring und lokaler Beschaffung soll letztlich die Resilienz der europäischen Industrie stärken.
Europas Balanceakt geht weiter
Die EU versucht mit NZIA und CRMA, Klimaschutz und Industriepolitik in einem neuen, integrierten Ansatz zu verbinden. Sie bewegt sich dabei weiterhin auf dem schmalen Grat zwischen Zielerreichung und Sicherung der industriellen Basis. Die Rechnung kann jedoch aufgehen, sagt Maximilian Fuchs: „Die größte Chance Europas liegt in den Bereichen Forschung, Entwicklung und High-Tech. Wir müssen nicht zwingend die ganze Wertschöpfungskette abbilden, aber den wichtigen Teil der Hochtechnologie besetzen. Das wiederum geht nur mit Planungssicherheit für alle Beteiligten, hier muss die EU-Klimapolitik verlässlich liefern.“

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