Stefan Kremzow ist pensionierter Windanlagentechniker aus Brandenburg. Er hat 20 Jahre lang Windkraftanlagen in ganz Deutschland gewartet und ist in seinem Leben rund 4.500 Mal in die Gondel einer Windanlage hoch- und wieder heruntergeklettert. Wir sprachen mit Kremzow über seine Arbeit.
Herr Kremzow, wie lange brauchen Sie, um in die Gondel einer Windkraftanlage zu klettern – und was ist eigentlich anstrengender, der Auf- oder der Abstieg?
Es kommt darauf an. Ab einer Höhe von 80 bis 100 Metern haben Windkraftanlagen normalerweise eine Art Aufzug: einen Fahrkorb, in den bis zu zwei Leute hineinpassen. Hier kann man mit einer elektrischen Seilwinde bis auf die letzten 15 Meter an die Gondel heranfahren. Ist die Windkraftanlage nicht so hoch, muss man die ganze Strecke klettern. Innen gibt es eine senkrechte Leiter in der Nähe der Turmwand, ich klettere dann mit dem Rücken zur Turmwand die Sprossen hoch, wobei ich mich in ein Stahlseil zur Sicherung einklinke. Ich brauche eine Viertelstunde, um 75 Meter hochzuklettern.
Ich könnte sicherlich noch schneller klettern, aber man sollte nicht völlig erledigt sein, wenn man oben ankommt. Die eigentliche Arbeit wartet schließlich erst oben in der Gondel: die Wartung und Reparatur der Anlage, die durchaus auch körperlich anstrengt. Hinunter geht es schneller. Ich lasse mich langsam an dem Drahtseil abwärts gleiten und stütze mich mit Armen und Beinen an der Turmwand ab. Das ist nicht sehr anstrengend, fordert dafür aber viel Konzentration und Koordination.
Manche Menschen verlieren in luftiger Höhe die Balance. Welche mentalen Strategien helfen Ihnen, Ruhe und Gleichgewicht zu bewahren?
Zunächst durchläuft jeder Windanlagentechniker eine medizinische Höhentauglichkeitsprüfung. Da findet bereits eine natürliche Auslese statt. Was mich betrifft: Große Höhen machen mir überhaupt nichts aus, im Gegenteil. Mit 13 Jahren habe ich das Segelfliegen angefangen – und es gibt für mich nichts Schöneres, als oben in der Luft zu sein.
Was anderen Menschen Angst macht, erzeugt bei mir die größten Glücksgefühle. Der Höhepunkt eines jeden Arbeitseinsatzes ist es für mich immer gewesen, oben auf dem Dach der Gondel zu stehen und den Blick in die Ferne zu genießen. Man muss aber darauf gefasst sein, dass so ein Turm sich bewegt, gerade bei starkem Wind. Das fühlt sich schon sehr speziell an, denn beim Klettern im Schacht hat man keinen optischen Bezugspunkt. Ein bisschen stabil sollte das Gemüt also schon sein.
Seit Sie Windkraftanlagen bauen – wie hat sich Ihr Blick auf Wind und Wetter verändert?
Das Wetter permanent im Blick zu haben, ist Teil meiner DNA. Anders geht es nicht, denn auch bei der Wartung und Reparatur von Windkraftanlagen müssen wir stets auf alles achten: Wenn der Wind zu stark ist, dürfen wir nicht auf die Anlage rauf. Und bei Flaute können wir ebenfalls nicht alle Arbeiten ausführen, denn die Anlage braucht ein Mindestmaß an Wind, um sich um die eigene Achse drehen zu können.
Bei Schnee und Eis sollte man besonders viel Respekt vor Windkraftanlagen haben: Wenn da ein Eisbrocken vom Rotorblatt stürzt, kann das entweder die Windschutzscheibe des Dienstwagens kosten – oder das Leben.
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