Rinder grasen zwischen Windrädern – typisch in Uruguay. Viele Rancher verpachten Weideland an Windrad-Betreiber. In weiten Teilen des Landes, das etwa halb so groß ist wie Deutschland, aber nur 3,4 Millionen Einwohner zählt, prägen Windparks die Landschaft. Sie stehen für eine radikale Wende: weg von Ölimporten hin zur Nutzung eigener Ressourcen. Über 90 Prozent des Stroms werden inzwischen durch Wasserkraft, Wind, Biomasse und zu einem geringen Teil durch Sonne erzeugt. An manchen Tagen sind es sogar 100 Prozent.
Große Krise als Auslöser der Energiewende
Auslöser der Energiewende war eine große Energiekrise. 2008 kam es immer wieder zu Stromausfällen und die Energieversorgung geriet aus dem Gleichgewicht. Strom wurde vor allem aus importiertem Erdöl sowie aus Wasserkraft erzeugt. Durch eine schwere Dürre trockneten Flüsse und Seen jedoch immer mehr aus und die Wasserkraftwerke lieferten zu wenig Strom. Gleichzeitig explodierten die Preise für Erdöl: im Sommer 2008 auf über 140 US-Dollar pro Barrel. Uruguay musste Milliarden für Ölimporte aufbringen. In dieser Krise wurde der Physiker Ramón Méndez Galain zum Nationalen Energiedirektor im Ministerium für Industrie, Energie und Bergbau ernannt. Seine Vision war: das Energiesystem völlig umzukrempeln, unabhängig von Importen zu machen und zu einem der saubersten der Welt. Dafür sah er gute Chancen: „Was Uruguay hat, sind reichhaltige natürliche Energiequellen: Wasser, Wind, Sonne und Biomasse.“

Rinderzucht, Hochebenen und Küsten prägen das südamerikanische Land. Der Energiemix sollte es besser vor Stromausfällen schützen. Außerdem wurde eine langfristige Strategie für die Energiepolitik bis 2030 entwickelt. Sie berücksichtigt nicht nur wirtschaftliche, technologische und ökologische Aspekte, sondern auch kulturelle und soziale. Alle im Parlament vertretenen Parteien trugen – anders als in Deutschland – die Politik mit. Seitdem sind über 50 Windparks an Land gebaut worden und etwa 650 Anlagen in Betrieb: im Süden, Norden und im Zentrum des Landes. Zwischen 2010 und 2020 wurden rund sieben Milliarden US-Dollar vom Staat und privaten Unternehmen in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert. Gute Rahmenbedingungen, Steueranreize und Einspeisetarife waren attraktiv – auch für ausländische Investoren. Deutsche Unternehmen wie Nordex und Enercon bauten Windparks in Uruguay.
Unterwegs in Sachen Akzeptanz
Um die Bevölkerung von der neuen Energiepolitik zu überzeugen, wurden Aufklärungskampagnen gestartet. Mitarbeiter der Energiebehörde reisten durchs Land und erklärten den Menschen, wie sie von der Energiewende profitieren können. 50.000 neue Jobs entstanden. Der Staat förderte die Ausbildung von Fachkräften, Beschäftigte aus der Ölindustrie wechselten in die Wind- oder Solarbranche.
„Ländliche und benachteiligte Regionen profitierten besonders stark“, sagt Rodrigo Alonso-Suárez, Professor für erneuerbare Energiesysteme an der Universidad de la República in Montevideo. Rancher nehmen Geld durch Verpachtungen ein, Wege und Straßen wurden ausgebessert, Haushalte, die keine Elektrizität hatten, sind nun ans Stromnetz angeschlossen. Gewerkschafter kritisieren jedoch, dass der Strom für die Menschen nicht billiger, sondern teurer geworden ist. Das lässt sich auch in Deutschland beobachten.
Wirtschaftlicher Aufschwung
Die Energiewende brachte jedoch wirtschaftlichen Aufschwung. Uruguay steht heute besser da als andere Länder in Lateinamerika. Die Armut ist deutlich zurückgegangen. 2006 lag sie bei 32,9 Prozent. Heute leben nach Angaben des staatlichen Nationalen Statistikinstituts etwa sieben Prozent der Haushalte und zehn Prozent der Bevölkerung in Armut. Die Staatsverschuldung lag 2023 bei 57,2 Prozent – damit unter dem deutschen Wert.
Strategien für die Zukunft
Strom liefern heute vor allem die großen Wasserkraftwerke am Rio Negro und am Rio Uruguay sowie Windenergie und Biomasse. Solarenergie spielt kaum eine Rolle. Das soll sich jedoch ändern und Solarenergie massiv ausgebaut werden. Langfristig soll sie doppelt so viel Energie erzeugen wie die Windkraft. Dagegen wird Wasserkraft langsam zurückgefahren. Ihr hoher Anteil ist ein Problem. Durch den Klimawandel kommt es immer häufiger zu Dürren, die nicht nur die Trinkwasser-, sondern auch die Stromversorgung gefährden.
Ein weiteres Problem: Durch das Wirtschaftswachstum steigt der Strombedarf erheblich. Das Ministerium für Industrie, Energie und Bergbau geht davon aus, dass er nach derzeitigem Stand ab 2035 nicht gedeckt werden kann. Eine Studie untersuchte den Einsatz thermischer Kraftwerke (Gasturbinen) sowie von Batteriespeichern. Nun gilt es, die Ergebnisse umzusetzen. Auch Deutschland plant den Bau neuer Gaskraftwerke. Sie sollen die Versorgung gewährleisten, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint.
 
In Uruguay steht nun die nächste Energiewende an: Verkehr und Wirtschaft sollen dekarbonisiert werden. Das Land setzt auf Elektromobilität sowie auf grünen Wasserstoff. Dazu soll ein neuer Industriezweig aufgebaut und grüner Wasserstoff auch exportiert werden. Die Bundesregierung fördert mit etwa zwölf Millionen Euro Wasserstoffprojekte in Uruguay.
Beide Länder haben zudem eine Klima- und Energiepartnerschaft vereinbart. In Uruguay gibt es jedoch Proteste, weil eine Süßwasserquelle für die Herstellung von grünem Wasserstoff genutzt werden soll.
Taugt Uruguay als Vorbild?
Uruguay wird häufig als Vorbild bezeichnet. Die Erfahrungen lassen sich jedoch nicht einfach auf Deutschland übertragen. Uruguay hat mehr Rinder als Menschen und wenig Industrie. Produziert wird vor allem Zellstoff. Beispielhaft ist jedoch: die Mitnahme der Bevölkerung, stabile Rahmenbedingungen für Investoren, der politische Wille und vor allem Konsens über eine langfristige Energiepolitik. Nach dem Machtwechsel im Jahr 2020 hat die konservative Regierung in Uruguay den Kurs nicht geändert.

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