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Alles auf Pump -

oder gut investiert?

„Schulden sind schlecht“ - für den privaten Dispo mag das stimmen. Aber in der Wirtschaft gelten andere Regeln.

Illustration Schachbrett mit mehreren Schachfiguren

© Robert Albrecht / BDEW

Zwei Firmenpleiten machten zuletzt Schlagzeilen: Zum einen die Insolvenz der Signa Holding von René Benko. Und zum anderen Evergrande. Ende Januar 2024 ordnete ein Gericht für den Immobilienentwickler die Liquidation an, zuvor war eine Restrukturierung gescheitert. Beide Unternehmen strauchelten in erster Linie über angehäufte Schulden, die sich am Ende nicht mehr bedienen konnten.

Wären vergleichbare Pleiten auch in Deutschland möglich? Denn auch in Deutschland haben Konzerne hohe Schulden in den Bilanzen stehen: Volkswagen etwa wies Mitte 2023 rund 400 Milliarden Euro Verbindlichkeiten aus. Doch das scheint in Finanzkreisen kaum jemandem Sorgen zu machen. Warum ist das so? „Die absolute Höhe der Verschuldung ist keine kritische Größe“, sagt Dirk Schiereck. Er leitet an der TU Darmstadt das Fachgebiet Unternehmensfinanzierung. „Man muss sich immer fragen: ,Was steht dem entgegen?‘ Und Volkswagen hat ein riesiges Vermögen.“

Warum dann aber die immensen Schulden? „Fremdkapital ist billiger als Eigenkapital“, sagt Till Karrer, Head of Debt Advisory bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Dazu muss man verstehen, dass bei großen Unternehmen auch das Eigenkapital nicht vom Sparkonto des Firmenchefs kommt. Es ist das Geld von Aktionären und Investoren. Fremdkapital hingegen wird in Deutschland meist in Form von Bankkrediten vergeben.

„Eigenkapitalgeber haben eine höhere Renditeerwartung als Fremdkapitalgeber“, sagt Karrer. Das liege daran, dass sie ein höheres Risiko trügen: Im Fall einer Insolvenz bekämen Fremdkapitalgeber als erste ihr Geld, die Eigenkapitalgeber hingegen als letzte. Hinzu komme, dass Zinsaufwendungen für Kredite in vielen Fällen steuermindernd vom Ertrag des Unternehmens abgezogen werden könnten. Bei einer reinen Eigenkapitalfinanzierung gebe es diese Möglichkeit nicht. „Eine Frage der Mathematik“, sagt Karrer: „Wenn ich eine optimale Rendite möchte, dann ergibt es keinen Sinn, mich nur aus Eigenkapital zu finanzieren.“

Wenn die Bank mit im Boot sitzt

Und damit nicht genug: Auch aus strategischer Sicht seien Kredite empfehlenswert, sagt Jens von Loos. Er ist verantwortlich für den Bereich Debt & Capital Advisory bei der Beratungs- und Prüfungsgesellschaft Deloitte Deutschland. „Wenn ich als Unternehmen in eine Krise gerate, ist es sehr schwer für mich, eine Bankfinanzierung zu bekommen, wenn ich noch keine habe. Aber wenn ich vorher schon Kredite aufgenommen habe, sitzt die Bank mit im Boot.“ Wenn dann eine Insolvenz drohe, könne es sinnvoller für die Bank sein, Geld nachzuschießen als den Verlust des schon gegebenen Kapitals zu riskieren.

Und schließlich rechnet sich ein Kredit, wenn er Investitionen finanziert, die mehr einbringen als die Finanzierung kostet. Wenn sich zum Beispiel mit den neuen Maschinen mehr Profit machen lässt als die Firma für das Fremdgeld Zinsen zahlt. „Das ist für einen Unternehmer ähnlich, als wenn Sie als Privatmann einen Kredit für ein Haus aufnehmen, weil Ihr Erspartes noch nicht für einen Kauf ausreicht“, sagt Karrer. „Dann können Sie dort schon wohnen und sparen die Miete.“

Allerdings: Ganz ohne eigene Mittel geht es in der Regel nicht. Das gilt für Firmen wie für Hauskäufer. In der Literatur findet sich die Faustregel, ein Unternehmen solle nicht mehr als doppelt so viel Fremdkapital aufgenommen haben, wie es über Eigenkapital verfüge. Finanzierungs-Experte von Loos sagt: „30 Prozent Eigenkapital sollten Sie als Mittelständler mindestens haben, dann sind Sie gut aufgestellt.“ Allerdings betonen alle drei Experten, dass solche Zahlen nur grobe Richtwerte abgeben. Man müsse sich jedes Geschäftsmodell einzeln ansehen: „Eine Firma mit viel Cashflow kann auch viele Schulden tilgen“, sagt von Loos. „Aber ein Maschinenbauer investiert in seine Anlagen und spielt das Geld dafür erst in den kommenden Jahren über die Produktion wieder ein. Das kostet Liquidität, also sinkt seine Fähigkeit, sich zu verschulden.“

Vor Kreditentscheidungen werde alles genau beleuchtet, sagt von Loos: historische und aktuelle Finanzzahlen, Businessplan, Kundenstruktur, Abhängigkeit von der Konjunktur und von Rohstoffpreisen, Investitionsbedarf, Lieferketten, Energiekosten und noch mehr. Natürlich könne eine Unternehmensleitung ins Risiko gehen, etwa, um schnell zu expandieren. Aber dann müsse sie auch einen Kreditgeber finden, der bereit sei, das zu finanzieren. Und wer schon viele Schulden habe, zahle für weitere Kredite höhere Zinsen oder bekomme sie erst gar nicht. Denn mit erhöhter Verschuldung steige die Gefahr für die Finanzierungspartner.

Size matters – too big to fail?

Und noch eins sagen alle Experten: Groß schlägt Klein. „Große Unternehmen haben es leichter, an Kredite zu kommen“, sagt Schiereck. „Sie sind bekannter und meist transparenter, deshalb ist ihr Geschäftsmodell für die Banken leichter zu verstehen. Außerdem sind sie weniger von einzelnen Personen und einzelnen Entscheidungen abhängig.“ Und: Große Unternehmen hätten auch große Bedeutung, regional oder sogar national. Das steigere die Wahrscheinlichkeit, dass die Politik im Fall einer Krise helfe – wie etwa bei TUI oder Lufthansa zu Corona-Zeiten.

Fremdkapitalgeber ticken in allen großen Nationen im Wesentlichen gleich, auch da sind sich die Profis einig. Einen kulturellen Unterschied gebe es allerdings, beschreibt Schiereck: „In Ländern wie Deutschland oder Japan versorgen sich Unternehmen traditionell über Banken mit Geld. Deshalb haben sie meistens relativ hohe Schulden. In den USA oder Großbritannien gibt es dagegen eine ausgeprägte Aktienkultur. Deshalb finanziert sich die Wirtschaft dort mehr über den Kapitalmarkt.“ Und es sei auch nicht ganz unwichtig, bei wem man Kredite habe: „Eine Sparkasse aus der Region, bei der auch die die Mitarbeiter des finanzierten Unternehmens ihre Konten haben, wird eher helfen, wenn Schwierigkeiten auftreten“, sagt Schiereck. „Ein Gläubiger aus dem Ausland hingegen entscheidet oft nur nach den Zahlen.“

Zinswende mischt die Karten neu

Allerdings – das zeigen auch Signa und Evergrande – haben sich die Bedingungen geändert. Zinsen und Inflationsrate sind gestiegen. Bringt das Schwierigkeiten? „Kredite werden teurer“, sagt Schiereck. „Die meisten trifft das aber erst nach und nach, wenn Anschlussfinanzierungen fällig werden.“ Ein gut wirtschaftendes Unternehmen habe seine Risiken eh gestreut. Man habe kurz- und langfristige Kredite – und welche mit festem und andere mit variablem Zins. Aber natürlich müssten alle jetzt anders rechnen, fährt Schiereck fort. Man müsse sehen, ob fremdfinanzierte Investitionen sich angesichts der höheren Zinsen noch lohnten. Und Investitionsgüter könnten an Wert verlieren, etwa Immobilien.



Ob die neuen Verhältnisse gut oder schlecht seien, sagen die Experten unisono, das hänge wieder vom Geschäftsmodell ab: „Wenn ich meine höheren Kosten an die Kunden weitergeben kann, dann profitiere ich vielleicht sogar davon, dass die Inflation meine Schulden gewissermaßen schrumpfen lässt“, so von Loos. „Aber falls nicht, dann habe ich ein Problem.“

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