Klimaschulden:

Wer schuldet wem wieviel?

Der Begriff „Klimaschulden“ ist in aller Munde. Doch was bedeutet er eigentlich und wie kann man Klimaschulden bemessen?

Illustration Qualmende Dollarmünze und Euromünze symbolisieren hohe CO2-Emissionen

© Robert Albrecht / BDEW

Ein Kunstwort schwirrt durch die Presselandschaft. Ganz gleich, ob im SPIEGEL („Deutschland macht ab 2030 Klimaschulden“), in der Frankfurter Rundschau („Wir brauchen eine Klima-Schuldenbremse“) oder im Tagesspiegel („Unsere billionenschweren Klimaschulden an den Rest der Welt“): Immer wieder ist von „Klimaschulden“ die Rede. Doch was sind eigentlich Klimaschulden, wer schuldet wem etwas – und kann man sie überhaupt beziffern?

Anwendung des Verursacherprinzips

Der Begriff „Klimaschulden“ basiert auf einer leicht nachvollziehbaren Idee: Diejenigen, die durch ihre Treibhausgasemissionen zum Klimawandel beitragen, tragen demnach Verantwortung für die daraus resultierenden Umweltauswirkungen. Davon lassen sich moralische Verpflichtungen ableiten: beispielsweise Maßnahmen zu ergreifen, um die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu mildern und Betroffenen zu helfen, die sich an die dadurch eintretenden oder bereits eingetretenen Veränderungen anpassen müssen. „Schuldner“ sind in dieser Sichtweise zumeist die Industrieländer und große Unternehmen. „Gläubiger“ wiederum sind in erster Linie Schwellen- und Entwicklungsländer mit schwacher Wirtschaft und geringer Industrialisierung. Darüber hinaus liegen viele von ihnen in Regionen der Erde, die bereits heute die Folgen des Klimawandels in Form von Dürre oder Naturkatastrophen erleben, sind also gewissermaßen doppelt gestraft.

Die Diskussion über Klimaschulden spielt eine erhebliche Rolle in internationalen Verhandlungen über Klimafragen, insbesondere im Kontext von Vereinbarungen wie dem Pariser Abkommen. Es gibt jedoch auch Stimmen, die Klimaschulden relativieren. Ihr Argument: Ohne Industrialisierung gäbe es zahlreiche Errungenschaften nicht, von denen auch die Entwicklungsländer profitieren – von Pharmazeutika über moderne Verkehrsmittel bis hin zur flächendeckenden Versorgung mit Energie und Information.

Wie könnte man Klimaschulden überhaupt berechnen?

Der häufigste Ansatz ist es, die historischen Emissionen von Treibhausgasen zu akkumulieren und Ländern oder Regionen damit rechnerisch Klimaschulden zuzuweisen. Länder, die in der Vergangenheit am stärksten zum Klimawandel beigetragen haben, hätten somit höhere Klimaschulden. Ein ähnlicher Ansatz betrachtet die Emissionen pro Kopf der Bevölkerung. Ebenso ist es möglich, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes in Relation zu den Emissionen zu setzen: Länder mit einer höheren Wirtschaftskraft könnten demnach mehr Verantwortung für die Klimaschulden tragen.

Wer schuldet wem wie viel?

Das haben Forscher versucht, auszurechnen. Eine aktuelle Studie hierzu stammt von Dr. Andrew L. Fanning (University of Leeds) und Jason Hickel (London School of Economics). Sie nehmen an, dass alle Menschen zunächst das gleiche Recht haben, Treibhausgase auszustoßen – bis hin zu einer Erderwärmung von maximal 1,5 Grad. In ihrer Analyse budgetierten sie für die Länder der Welt das seit 1960 emittierte CO2. Die Analyse von Fanning und Hickel zeigt nach Kontinenten eine recht unterschiedliche „Überschuldung“, die der Tagesspiegel in mehreren Grafiken visualisiert hat. Den Untersuchungen zufolge sind Hong Kong (472 Prozent Budgetüberschreitung), Kuwait, die USA, Katar und Kanada die „Top 5“ der Schuldner mit der größten Hypothek; Deutschland liegt gemeinsam mit Kasachstan auf Platz 9 (Überschreitung des Budgets um 252 Prozent).



Bisher am wenigsten ausgeschöpft haben ihr Budget fast alle Länder Afrikas und Südamerikas sowie viele Länder in Asien. Deutschland hat seinen Anteil an den weltweiten Emissionen schon 1982 überschritten und müsste nach diesem Rechenmodell jährlich rund 350 Milliarden Euro an asiatische, afrikanische und südamerikanische Staaten zahlen – immerhin achteinhalb Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2023. Die USA haben sogar schon das Vierfache ihres gerechten Anteils genutzt und müssten rund 15 Prozent ihres BIP pro Jahr abgeben: eine gewaltige Umverteilung, die es manchen betroffenen Staaten ermöglichen würde, ihre Staatsschulden innerhalb weniger Jahre zu tilgen.

Reparation oder Tilgung?

Wie könnte ausgleichende Gerechtigkeit hergestellt werden? Fadel Kaboub, Associate Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Denison-Universität USA, empfiehlt in einem taz-Interview Reparationen in Form von Technologietransfers wie dem Know-how zur Produktion von Solarzellen. So könnten besonders betroffene Länder eine widerstandsfähige Infrastruktur gegen den Klimawandel aufbauen. Noch weiter geht der argentinische Biotechnologe und Umweltaktivist Esteban Servat. Er fordert: „Der globale Süden hat Staatsschulden beim globalen Norden, während der globale Norden Klimaschulden beim globalen Süden hat.

Die Klimaschulden des Nordens sind aber viel größer als die Staatsschulden des Südens. Deshalb muss der erste Schritt eine Schuldenstreichung für den globalen Süden sein.“ Das Durchsetzen solcher Reparationszahlungen ist allerdings in der Praxis schwierig, denn es sind vor allem Anleger, Banken und Unternehmen, denen diese Staaten Geld schulden. Ein Schuldenerlass ließe sich also nur per Gesetzgebung erwirken, moralische Verpflichtungen allein genügen nicht.

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