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Vier Fragen, vier Personen:

„Wir müssen die Perspektiven bündeln“

Aufbruch ins postfossile Zeitalter: Was muss sich ändern?

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© Robert Albrecht/BDEW

Wer zu neuen Ufern aufbrechen will, der muss die Menschen auf breiter Ebene mitnehmen. Akzeptanzfragen entscheiden über Wohl und Wehe großer Jahrhundertprojekte wie der Energiewende. Wie solche Akzeptanzfragen richtig beantwortet werden können, dazu haben wir mit vier Fachleuten gesprochen:
•    Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung
    Luitgard Hagl, Executive Creative Director bei Jung von Matt Limmat
    Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn, Wissenschaftlicher Direktor beim Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam
    Lukas Ullrich, stellvertretender Vorsitzender der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung Volkswagen.

Ortwin Renn: Rund zwei Drittel der von uns befragten Bürgerinnen und Bürger geben an, dass aus ihrer Sicht die Energiewende sozial unausgewogen und ungerecht umgesetzt würde. Zudem sehen viele Menschen in der Energiewende nicht genügend Möglichkeiten, in ihrem eigenen Lebensumfeld die notwendigen Umstellungen vorzunehmen. Das gilt vor allem für Mieterinnen und Mieter.

Bei der Akzeptanz von Windkraftanlagen und Infrastruktur spielt eine große Rolle, ob die davon betroffenen Menschen den Eindruck gewonnen haben, dass diese Anlage oder Infrastrukturmaßnahme einen nennenswerten Beitrag zur Energiewende leisten können, beziehungsweise ob es nicht andere Standorte gibt, die besser geeignet sind. Zunehmend fühlen sich viele Menschen an den Standorten, an denen schon Anlagen zur erneuerbaren Energieerzeugung bestehen, ungerecht behandelt, wenn weitere Anlagen hinzu gebaut werden sollen.

Kerstin Andreae: Die Zustimmung für die Energiewende ist nach wie vor hoch. Immer deutlicher wird aber, dass sich der persönliche Nutzen auch konkret zeigen muss. Ein Beispiel: Wenn ein Windpark geplant wird, dann sollte die Kommune an den Einnahmen aus der Windstromerzeugung beteiligt werden. Und natürlich muss es für finanzielle Belastungen einen spürbaren finanziellen Ausgleich für die Menschen geben – und Alternativen: Bezahlbare Elektroautos statt Benziner beispielsweise oder der Ausbau des ÖPNV.

Umfragen zeigen allerdings auch: Einer Mehrheit geht es bei der Energiewende nicht schnell genug. Und hier liegt ja tatsächlich einiges im Argen: Planungs- und Genehmigungsverfahren dauern viel zu lange. Zudem scheitern viele Projekte bereits am Start oder werden unnötig verzögert, weil die erforderlichen Flächen einfach nicht zur Verfügung stehen. Das liegt unter anderem an einem grundsätzlich pauschalen Ausschluss von Flächen.

Luitgard Hagl: Die größte Schwierigkeit ist momentan, dass wir seit Jahrzehnten die Debatte zur Energiewende fast ausschließlich vor dem Hintergrund des Verzichtens und Verlierens führen. Dass sich in jedem Wandel aber auch der Bedarf für Innovation und somit auch neue Chancen für Einzelne und Unternehmen ergeben, ist selten ein Thema - obwohl diese Lesart leicht für mehr Akzeptanz sorgen könnte.

Hier muss die Kommunikation vor allem bei den Zweiflern und Zweiflerinnen ansetzen. Dass Nachhaltigkeit auch oft als Gegenposition zu Wirtschaftlichkeit genannt wird, ist ein weiteres fatales Missverständnis. Nur wer Nachhaltigkeit als organische Basis des wirtschaftlichen Handelns begreift, hat eine Zukunft. 

Lukas Ullrich: Die aktuellen Rahmenbedingungen der Energiewende müssen zeitnah besser werden, damit eventuelle Bedenken bei einem Wechsel zu klimaneutralem Strom gar nicht erst aufkommen. Die Strompreise müssen im Idealfall sinken, damit ein Umstieg auf klimaneutralen Strom allen Menschen ermöglicht wird und niemand bei der Energiewende auf der Strecke bleibt. Nicht alle Menschen können sich die Preise der Ökostromtarife der Anbieter leisten, auch wenn eventuell die Haushalte schon über einen Umstieg nachgedacht haben.

Des Weiteren hängen viele Arbeitsplätze an den herkömmlichen fossilen Energieträgern, die über Jahrzehnte in Deutschland zur Stromerzeugung genutzt wurden. Diese Arbeitsplätze dürfen der Energiewende nicht zum Opfer fallen und müssen durch eine Transformation in neue Aufgabenfelder überführt werden. Wenn die Regierung die Bevölkerung in der Energiewende vollständig mitnimmt, dann gibt es auch eine breite Akzeptanz bei diesem Thema.
 

Ortwin Renn: Zum ersten ist es entscheidend, dass die wahrgenommenen Ungerechtigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende durch entsprechende politische Maßnahmen angegangen werden. Hier ist vor allem darauf zu achten, dass sich zusätzliche finanzielle Belastungen nicht bei denen anhäufen, die den unteren Einkommensschichten angehören.

Zum zweiten halten wir eine gut strukturierte und moderierte Bürgerbeteiligung in den Orten für angebracht, in denen weitere Anlagen gebaut oder ausgebaut werden sollen.

Luitgard Hagl: Über eine kommunikative Umdeutung der Diskussion mit neuen Argumenten, die so in der Breite noch kaum angekommen sind. Da haben Medien, Politik aber eben auch unsere Branche mit ihrer Reichweite die Möglichkeit und damit auch die Verantwortung, positiv auf dem gesellschaftlichen Diskurs zu wirken. Es geht darum, um Akzeptanz zu werben. 

Kerstin Andreae: Wir benötigen dringend mehr Tempo bei der Umsetzung von Investitionen und Projekten. Die Genehmigungsbehörden müssen mit besserer Personal- und moderner Sachausstattung aufgestockt werden. Außerdem gilt es, innerbehördliche Abläufe zu straffen. 

Eine konkrete Lösung könnte die verbindliche Festlegung von Flächen für Erneuerbare-Energien-Projekte durch die Länder sein. Damit könnten von vornherein mehr Projekte ermöglicht werden. Ein weiterer Ansatz sind Standardisierungen beispielsweise im Artenschutzrecht, die bundesweit einheitliche, verbindliche Lösungen vorgeben und Prozesse beschleunigen würden. 

Lukas Ullrich: Diese Probleme lassen sich lösen, wenn der anstehende Strukturwandel in der Energielandschaft als Chance angesehen wird und nicht als störender Faktor, der einen aus der bisherigen Komfortzone drängt. Natürlich ist die Problemlösung eine Herausforderung, die nur gemeinsam mit der Bevölkerung, Politik und vor allem mit den Unternehmen angegangen werden kann. Die Politik kann mit gezielten Subventionen und Gesetzesänderungen die Rahmenbedingen so verändern, dass Unternehmen ihre bisher angenehme Position verlassen und sich im Rahmen der Energiewende neu aufstellen.

Durch Investitionen in zukunftsweisende Technologie kann Deutschland eine Vorreiterrolle in der Energiewende einnehmen und Wegbereiter für andere Länder werden, die dann auf Technologie und Produkte aus Deutschland zurückgreifen. Dadurch wäre der Industriestandort Deutschland für Firmen wieder für Jahrzehnte interessant und die Arbeitsplätze wären nachhaltig abgesichert.
 

Luitgard Hagl: Es ist leider eine gute Tradition, die Verantwortung für nachhaltiges Handeln auf das Individuum abzuwälzen. Und ja, es stimmt, jede und jeder einzelne und jede Handlung zählen. Politisch könnte hier natürlich immer noch mehr incentiviert werden. Aber auch Unternehmen stehen mit wachsender Größe immer mehr in der Verantwortung, ihren größeren Hebel auch zu nutzen.

Ortwin Renn: Bei beiden! Zum einen muss die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen für einen sozial ausgewogenen und effektiven Klimaschutz setzen, zum andern müssen die Bürgerinnen und Bürger ihren eigenen Lebensstil darauf hin überprüfen, ob der von ihnen ausgelöste ökologische Fußabdruck mit den Zielen der Energiewende und des Klimawandels übereinstimmt.

Kerstin Andreae: Grundsätzlich können alle Bürgerinnen und Bürger etwas tun, um die Energiewende voranzutreiben. Allerdings ist es unabdingbare Aufgabe der Politik, einen Rahmen zu setzen und wichtige Grundsatzentscheidungen zu treffen. Wir brauchen für alle Beteiligten den einen und grundsätzlichen Leitgedanken der Ermöglichung: Vorhabenträger, Verwaltung und Gesetzgeber müssen gemeinsam das übergeordnete gesellschaftliche Ziel verfolgen, die Energiewende zu ermöglichen.

Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass der Umbau der Energieversorgung Wertschöpfung und Jobs mit Zukunft schafft. Sichere, bezahlbare und saubere Energie, Teilhabe und Komfort sichern die breite Akzeptanz der Energiewende nachhaltig.

Lukas Ullrich: Ich sehe die Verantwortung gleichermaßen bei allen Akteuren. Ohne die breite Akzeptanz der erneuerbaren Energien durch Bürgerinnen und Bürger wird es nur langsam mit der Energiewende vorangehen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung kann durch die Politik positiv beeinflusst werden, wenn man gezielt Projekte und Technologien subventioniert, die erneuerbare Energie für die Verbraucherinnen und Verbraucher günstiger macht.

Denn die Profiteure der Energiewende dürfen am Ende nicht nur in der Wirtschaft sitzen, sondern die Bevölkerung muss auch davon profitieren. Die Verantwortung in der Energiewende ist leichter zu tragen, wenn sie auf vielen Schultern verteilt wird.
 

Lukas Ullrich: Die Automobilbranche beteiligt sich aktiv an der Energiewende und befindet sich dadurch aktuell in ihrem größten Wandel seit Jahrzehnten. Alle großen Automobilhersteller haben mittlerweile ihren Ausstieg aus dem Geschäft mit Verbrennerfahrzeugen angekündigt und stellen sukzessiv auf Fahrzeuge mit elektrischen Antrieb um. In diesem Zuge wird nicht nur das Auto neugedacht, sondern die Fachleute entwickeln auch verschiedene Konzepte der Mobilität von morgen. Bei einer Sache bin ich mir zu 100 Prozent sicher: Die Menschen möchten auch in Zukunft mobil bleiben.

Ortwin Renn: Wissenschaftliche Expertise kann dazu beitragen, die möglichen Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende auf ihre Effektivität, Effizienz, Resilienz und Verteilungswirkungen zu überprüfen. Auf der Basis dieser Bewertung lassen sich dann Politikoptionen empfehlen, die möglichst weitgehend diese vier Prüfkriterien erfüllen.

Luitgard Hagl: Wir können in zwei Richtungen wirken. Wir können unsere Reichweite zu den Konsumentinnen und Konsumenten und unsere Kontakte zu Unternehmen nutzen. Einerseits die Diskussion umframen, andererseits auch Unternehmen dabei beraten, was gute Nachhaltigkeitskommunikation im Gegensatz zu Greenwashing bedeutet.

Nämlich darüber zu reden, wo man Nachhaltigkeit als Bestandteil des Kerngeschäfts versteht und nicht, wo man neue Recyclingstationen für Mitarbeitende aufgebaut hat, was eigentlich heutzutage eher ein Hygienefaktor ist. Das ist dann  - wenn wir es überzeugend tun - für uns wieder eine neue Business-Chance.

Kerstin Andreae: Unsere Branche ist längst so weit: Die Energiewende ist Teil unseres täglichen Handelns und Entscheidens geworden. Doch man muss uns auch lassen! Die Energiewende wird uns alles abverlangen, deshalb darf es hier in Zukunft kein reines Nebeneinanderher der verschiedenen Branchen geben.

Wir setzen uns dafür ein, Perspektiven zu bündeln und in einen Dialog mit anderen Branchen zu treten: Ob mit der Automobilindustrie zum Thema Elektromobilität, oder mit der Handwerksbranche zum wichtigen Punkt Fachkräfte. Ein klimaneutrales Land, ein klimaneutrales Europa – das ist eine riesige Chance und ein Versprechen an künftige Generationen. Wir können das gemeinsam schaffen, wenn wir Allianzen schmieden, die Politik Tempo macht und Steine aus dem Weg räumt.

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