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Interview Manfred Moldaschl:

„Effizienz ist kein Allheilmittel“

Warum machen wir bei der Planung von Infrastrukturen immer dieselben Fehler? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl.

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© Merle Schenker / BDEW

Herr Moldaschl, der Erhalt und Ausbau von zentralen technischen Infrastrukturen hat sehr lange Vorlauf- und Planungszeiten. Gleichzeitig dreht sich unsere Welt immer schneller und es wird schwieriger, Bedarfe der Zukunft richtig zu prognostizieren. Kann man diesen Widerspruch überhaupt auflösen und wenn ja, wie? 
Das ist in der Tat ein klassisches Dilemma – und Dilemmata kann man bekanntermaßen nicht auflösen. Doch man kann  Verfahren entwickeln, sinnvoll mit solchen Dilemmata umzugehen, und man kann Kriterien bilden, anhand derer man diese bewertet. Ein gutes Kriterium aus meiner Sicht ist das der Effizienz-Divergenz. Es ist ein Maß, mit dem man einer problematischen Seite des wirtschaftlichen Denkens begegnet, nämlich der Haltung, alles allein am Kriterium der Effizienz auszurichten – ich möchte fast schon von einer „Effizienzpest“ sprechen. 

Effizienzpest?
Wer mit Komplexität nicht zurechtkommt, verengt seinen Blick gerne auf ein einziges Maß. Bei der Planung, Durchführung und Bewertung komplexer Infrastrukturprojekte sind aber viel mehr Kriterien zu berücksichtigen. Der Kybernetiker Heinz von Förster hat das auf den Punkt gebracht: „Handle stets so, dass die Anzahl deiner Wahlmöglichkeiten größer wird“. Ein Projekt, das beispielsweise den eigenen Ruf, die Reputation beschädigt, schränkt künftige Handlungsmöglichkeiten ein, etwa die eigene Attraktivität für mögliche Projektpartner. 



Und Effizienz-Divergenz kann hier helfen?
Zumindest die eigene Perspektive stark erweitern. Anstatt Projekte nach einem Zehnjahresplan und Top-Down durchzuexerzieren, sollte man im Projektverlauf Verzweigungen vorsehen, an denen regelmäßig gefragt wird: Sind die Bedingungen noch so, wie in der Planung angenommen? Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Sollten wir Ziele oder Mittel revidieren? Innovationen adoptieren? Das ist trivial, aber eben auch mühsam und unbeliebt. Das Problem bei diesen agilen Maßnahmen und ihrer Anwendung ist aber oft, dass sie als bloße Methoden verstanden werden und nach Schema F quasi abgearbeitet werden. 

In vielen Fällen gelten Infrastrukturprojekte bestenfalls als unsexy, schlimmstenfalls werden sie zum Zankapfel. Gibt es Mittel und Wege, beispielsweise in den Beteiligungsprozessen, solche Projekte in der öffentlichen Wirkung besser, positiver zu verankern? 
Nun, die ganz konkreten Auswirkungen einer Infrastrukturmaßnahme kann man natürlich nie direkt beeinflussen. Was man direkt beeinflussen kann, sind die Strategie und die Darstellung dessen, was man erreichen will - also Mittel und Verfahren. Abgerechnet wird am Schluss, dabei kann zuweilen aber auch das herauskommen, was Bert Brecht einmal formuliert hat: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. 

Haben Sie ein Beispiel?
Es ergibt wenig Sinn, am Ende von Projekten wie beispielsweise Stuttgart 21 den Betroffenen zu sagen: DAS wollten wir nicht, wir haben es doch gut gemeint. Projektverantwortliche sind daher gut beraten, wenn sie gleich zu Beginn die Perspektiven anderer mit einbeziehen. Und das nicht nur im Sinne der Akzeptanzziele, sondern auch zum Schutz vor der Eingleisigkeit der eigenen Denkschienen. Es empfiehlt es sich, Einwände, mögliche Gegenpositionen und Konfliktfelder bei der Konzeption von Projekten kontinuierlich einzuarbeiten. Natürlich machen das gewiefte Akzeptanztechniker aber oft nur legitimatorisch, möglichst ohne die eigenen Vorstellungen zu revidieren. Wenn es so läuft, kommt am Ende die Zeit der Schönfärber.



Bei der Kommunikation von Infrastrukturprojekten: Gibt es hier  Mentalitätsunterschiede im internationalen Vergleich?  
Ja, ganz eindeutig. Hier möchte ich die skandinavischen Länder und die Niederlande nennen. Dort gibt es nicht die fast schon zynisch zu nennende Kostenmentalität, die viele deutsche Infrastrukturprojekte von A bis Z durchregiert. Bei der Ausschreibung deutscher Infrastrukturprojekte zählt allein die Erfüllung der technischen Anforderungen zum niedrigsten Preis. Innovationen – sogenannte Sondervorschläge – sind nicht erwünscht. Das führt dazu, dass die Unternehmen nicht nach nachhaltigen Lösungen suchen. Sie dürften sie auch nicht als Benefits im Ausschreibungsprozess geltend machen. 

Was ließe sich von anderen Ländern lernen?
In Schweden oder den Niederlanden beispielsweise werden im Ausschreibungsverfahren bestimmte Punkte gutgeschrieben, wenn in Aussicht gestellte Nachhaltigkeitseffekte die damit verbundenen Mehrkosten aufwiegen. Dagegen versperrt sich die öffentliche Hand in Deutschland massiv. Das kann auf Dauer nicht so bleiben. In den genannten Ländern ist auch die Beteiligung bereits sehr viel länger kultiviert als hierzulande, auch die Kooperation von Wissenschaft und Praxis.

Das führt dann beispielsweise dazu, dass bei Ausschreibungen in skandinavischen Ländern oder auch den Niederlanden nicht nur technische oder die Kosten betreffende Kriterien bei der Zuschlagserteilung angewandt werden, sondern auch andere Aspekte wie beispielsweise die sozialen Auswirkungen berücksichtigt werden.

Wenn eine deutsche Kommune hingegen ein Infrastrukturprojekt ausschreibt, kann sie oft gar nicht den Anbieter auswählen, der das interessanteste Angebot macht, denn sie muss den billigsten Anbieter nehmen. Die Chance, dass man damit auf die Nase fällt, ist sehr groß. Es erstaunt mich sehr, dass wir hier immer noch so arbeiten, denn eigentlich ist es ja eine Binse: „Wer billig kauft, kauft zweimal.“ Mir scheint es manchmal fast, als wären deutsche Kommunen per Gesetz zu solchem Doppelkauf verpflichtet.



Sie analysieren Ausbauprojekte nicht nur hinsichtlich ihrer ökonomischen Dimension, sondern berücksichtigen auch soziale, gesundheitliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Haben Sie hierfür vielleicht ein interessantes Beispiel, was den Nutzen Ihrer Herangehensweise illustriert? 
Gerne. Die Zeppelin Universität hat ein Infrastrukturprojekt in Singapur begleitet. Es ging darum, die zahlreichen Wasserkanäle aus Beton, die Singapur durchziehen, zu renaturieren und in die Neugestaltung der Stadt einzubeziehen. Hier ging es um ein komplexes Vorhaben mit mehreren Zielen, wie oben angesprochen: Effizienz war dabei so ziemlich das letzte. Es ging vielmehr auch um die Attraktivität von Stadtteilen, von wassernahen Parks, um den Wert wassernaher Grundstücke und Bauten, um Beiträge zum Temperaturmanagement der Stadt sowie um die Beteiligungskultur in den Stadtteilen und in den Projektteams. Ein „Effizienzhai“ hätte das Ganze wohl schnell zu Fall gebracht. 

Wie blicken Sie auf den Energieinfrastrukturbereich? Was läuft da richtig, was ließe sich verbessern?
Ich glaube, hier schließt sich der Kreis zu Ihrer Eingangsfrage. Mir fehlt ganz generell eine gewisse Technologieoffenheit und der Blick darauf, wie man sich Optionen und Wahlmöglichkeiten offenhält oder erschafft. Ich halte es für gefährlich, immer nur alles auf eine Karte zu setzen und das dann weltweit hochzuskalieren – da treibt man möglicherweise den Teufel mit dem Beelzebub aus. 

Herr Moldaschl, vielen Dank für das Gespräch. 

Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl


ist Leiter des Instituts für Sozioökonomik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und Direktor des dortigen European Center for Sustainability Research (ECS).

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