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Frank Roselieb:

„Krisenvorbereitung ist Pflicht, nicht Kür“

Ob Flutkatastrophe oder Pandemie: Frank Roselieb ist ein gefragter Experte für Krisenmanagement. Im Interview gibt er Einblicke in die Praxis.

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© Robert Albrecht/BDEW

Herr Roselieb, bevor wir über Krisenkommunikation sprechen: Was ist überhaupt eine Krise?
In der Krisenforschung bezeichnen wir als „Krise“ ein internes oder externes Ereignis, durch das akute Gefahren drohen für Lebewesen, also Menschen und Tiere, für die Umwelt, für die Vermögenswerte oder für die Reputation eines Unternehmens oder einer Institution. Die Betonung liegt dabei auf „akut".

Es müssen also Gefahren bzw. Risiken sein, die deutlich über das normale Lebens- oder Betriebsrisiko hinausgehen. Ein Arbeitsunfall oder der Einbruch in die Firmenräume ist demnach zunächst einmal keine Krise. Außerdem unterscheiden wir drei Typen von Krisenfällen: Erstens die bilanziellen Krisen – also Pleiten. Das waren in der Energiewirtschaft beispielsweise die Insolvenzen mehrerer Billigstromanbieter zur Jahreswende 2021/22. Als Zweites die kommunikativen Krisen. Dabei geht es zumeist um Skandale oder manifeste Konflikte – beispielsweise die medienwirksamen Proteste gegen den Braunkohletagebau oder gegen die Inbetriebnahme neuer Gaskraftwerke. Und schließlich als dritter Krisentyp die operativen Krisenfälle. Das Spektrum reicht hier von Großschadensfällen wie dem Brand in einem Umspannwerk bis zum Hackerangriff auf die Stadtwerke-Rechner.

Vom Krieg in der Ukraine bis zum Corona-Ausbruch: Die großen Krisen der letzten Zeit kamen für viele unvorhersehbar. Können Unternehmen sich vorbereiten?
Unvorhersehbar kamen weder der Russland-Ukraine-Krieg noch die Corona-Pandemie. In beiden Fällen gab es eine Vielzahl von Frühwarnsignalen, sogenannten „weak signals", auf die auch entsprechend reagiert wurde. Beide Ereignisse waren also gerade keine sogenannten „Schwarzen Schwäne". Das sind Launen der Natur, die man so nicht erwarten konnte. Ein Schwarzer Schwan waren beispielsweise die Terroranschläge 2001. In der Luftfahrt war man damals auf Sprengsätze im Koffer oder Waffen im Handgepäck vorbereitet, nicht aber auf Terroristen, die selbst die Waffe sind und die Maschine unter Einsatz ihres Lebens zum Absturz bringen.

Früherkennung und Vorbereitung auf Krisen sind heute keineswegs nur die Kür guter Unternehmensführung, sondern längst zur Pflicht geworden. Das ist in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen festgelegt – auch für Unternehmen jenseits der kritischen Infrastruktur, beispielsweise in § 10 Abs. 1 des Arbeitsschutzgesetzes oder § 91 Abs. 2 des Aktiengesetzes. Das konkrete Vorgehen bei der Krisenprävention und Krisenbewältigung wird wiederum in zahlreichen Standards und Normen beschrieben, beispielsweise in der DIN CEN/TS 17091 zum Krisenmanagement oder im BSI-Standards 200-4 zum Business Continuity Management.

Ein Blick in unsere jährliche Krisenpräventionsumfrage  zeigt, dass der Instrumentenkasten der Krisenmanager und Kommunikationsverantwortlichen in Deutschland gut gefüllt ist. 

Wie wichtig ist eine schnelle Reaktion im Krisenfall? Können sich Unternehmen vielleicht sogar schaden, wenn sie schnell reagieren – weil zum Beispiel die vorliegenden Informationen bruchstückhaft sind?
Zu den Grundregeln guter Krisenkommunikation zählen – neben der Echtzeit, also der Schnelligkeit – auch die Wahrheit und Offenheit. Gerade bei Großschadenslagen nach Naturkatastrophen oder technischen Havarien ist Geschwindigkeit essenziell. Anders ist die Situation bei schleichenden Krisen wie einer Pandemie. Ich gehöre seit 2020 zum zehnköpfigen Corona-Expertengremium der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung . Dort finden die Lagebesprechung im zwei- bis dreiwöchigen Rhythmus statt. Die daraus resultierenden Landesverordnungen – als wichtiges Kommunikationsinstrument gegenüber der Bevölkerung – haben eine Laufzeit von drei bis vier Wochen. Bei schleichenden Krisen geht es eben nicht um Minuten oder wenige Stunden, sondern um Wochen und Monate. Hier gilt dann der Grundsatz "Sorgfalt vor Geschwindigkeit".

Worauf kommt es kommunikativ in der Krisensituation am meisten an?
Die beste Krisenkommunikation ist natürlich die, die sich selbst überflüssig macht, weil das eigentliche Problem gelöst ist. Damit das gelingt, muss zum einen in erfolgreiche operative Krisenbewältigung investiert werden. Andernfalls stehen die kommunikativen Krisenmanager auf verlorenem Posten.

Sehen konnten Sie das beispielsweise im April 2010 im Golf von Mexiko. Nach der Havarie der Plattform „Deepwater Horizon" strömten 87 Tage lang rund 800 Millionen Liter Öl ins Meer. Erst dann gelang es, das Leck am Bohrloch zu schließen. Obwohl BP eine umfangreiche Krisenkommunikation – auch in den Sozialen Medien – realisiert hat, verfehlte diese ihr Ziel. Zu hilflos wirkten die Versuche, das Problem technisch in den Griff zu bekommen. Zum anderen werden die Grundlagen für gute Krisenkommunikation schon deutlich vor der Krise gelegt. Hier müssen Unternehmen in ein Reputationspolster für schlechte Zeiten investieren.

Wenn Stadtwerke beispielsweise zeitnah und kontinuierlich auch bei kleinen Störungen via Twitter oder auf der eigenen Homepage informieren, werden die Kunden auch bei länger andauernden Störungen nicht ganz so schnell die Geduld verlieren. Wer dagegen nur das zugibt, was sich nicht länger leugnen lässt, oder gar kein „kommunikatives Grundrauschen" in krisenfreien Zeiten erzeugt, der wird im Krisenfall nur schwer Gehör finden.

Sind Unternehmen in Zeiten von Social Media immer die Getriebenen?
Bei kommunikativer Empörung im Internet oder einem Shitstorm in den sozialen Medien sollten die Unternehmen zunächst einmal die Lage nüchtern beobachten. Steht wirklich die Kernkompetenz des Unternehmens in der Kritik oder nutzen die Kritiker die Facebook-Seite eines Unternehmens für ganz andere Anliegen? Getrieben in den sozialen Medien ist nur der, der sich auch treiben lässt.



Auch im Jahr 2022 ist der kritische Beitrag in der 20-Uhr-Tagesschau oder die Titelgeschichte im Spiegel noch deutlich reputationsgefährdender als eine ganze Batterie anonymer Kommentare auf einer Social-Media-Seite. Gerade bei Unternehmen der Energiewirtschaft entscheiden im Zweifel die Versorgungssicherheit und Produktqualität deutlich stärker über die Glaubwürdigkeit als Kommentare Dritter in den sozialen Medien.

Wie ist Ihr Blick auf die Pandemiezeit: Was haben Sie in den letzten zwei Jahren über Krisenkommunikation gelernt? 
Durch meine Einbindung in die Corona-Expertengremien in Politik und Wirtschaft kenne ich beide Seiten, sowohl die der politischen Entscheidungsträger als auch die der Unternehmer und Bürger. Natürlich war nicht jede Entscheidung der Politik richtig und natürlich wurde nicht jede Entscheidung auch gut kommuniziert. Aber aus der vergleichenden Krisenforschung wissen wir, dass Deutschland in der Kommunikation insgesamt ein sehr guter Mittelweg gelungen ist – zwischen zu viel Corona-Laissez-faire auf der einen Seite und zu viel Zero-Covid-Härte auf der anderen Seite.

Die Anzeichen mehren sich, dass sich die Pandemiezeit allmählich dem Ende nähert. Wie fällt Ihr bisheriges Fazit aus?
Optimistisch stimmt mich nach zwei Jahren Pandemie, dass die Marktwirtschaft in der Krisenkommunikation ihre ganze Kraft ausgespielt hat. Beispielsweise haben zahlreiche Unternehmen die „Bleib-zu-Hause"-Botschaft der Bundesregierung unaufgefordert durch eigene Spots transportiert und damit deren Reichweite während der Lockdown-Phasen deutlich erhöht. Pessimistisch stimmt mich dagegen, dass es uns auch nach mehr als 150 Jahren mit der heutigen Vielfalt an Kommunikationsinstrumenten nicht gelungen ist, die Probleme von 1869 zu lösen. Damals wurden in Leipzig und Stuttgart erste Impfgegner-Organisationen gegründet, als Vorgriff auf die fünf Jahre später eingeführte Impfpflicht gegen Pocken. Spätestens hier zeigen sich die Grenzen der Krisenkommunikation – oder auch die Jahrhunderte alte Uneinsichtigkeit einzelner Zielgruppen in den immer gleichen Regionen Deutschlands.

Frank Roselieb ...


... ist seit 1998 geschäftsführender Direktor des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung , ein Spin-Off der Universität Kiel, und seit 2003 das geschäftsführende Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V., dem Berufsverband der Krisenforscher und Krisenmanager in der D-A-CH-Region mit Sitz in Hamburg. Er gehört zahlreichen Expertengremien, Fachausschüssen, Krisen- und Katastrophenstäben an; beispielsweise als Sachverständiger zum Katastrophenmanagement und zur Krisenkommunikation im Untersuchungsausschuss „Flutkatastrophe“ des Landtags Rheinland-Pfalz

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