Alles verriegelt! Kein Raum für die Verkehrs- und Energiewende

Keine Spur von einer Verkehrswende – dabei bahnt sich in den großen Städten ein Wechsel in den Einstellungen und im Verhalten an. Doch viele Innovationen werden blockiert: Der rechtliche Rahmen bleibt auf das private Verbrennungsauto fixiert.

Ein Blick auf die Straßen zeigt es deutlich: Autos, Autos, Autos – und nahezu alle fahren mit Diesel- und Ottomotoren. Die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge steigt hierzulande kontinuierlich; 2018 sind in Deutschland insgesamt 64 Millionen Fahrzeuge, davon 47 Millionen Pkw, zugelassen. Auf 1.000 Einwohner kommen 687 Pkw. Entsprechend dem Klimaschutzplan der Bundesregierung ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen von mindestens 40 Prozent bis 2030 vorgesehen. Doch ist zwischen 1990 und 2016 der CO₂-Ausstoß des Verkehrssektors praktisch gleich geblieben, im Jahre 2017 ist er sogar noch leicht gestiegen.

Aus Gründen des Klimaschutzes wäre die Verkehrswende dringender denn je. Selbst wenn wir alle Fahrzeuge auf elektrische Antriebe umstellen könnten und einen optimistischen Ausbau der Erneuerbaren bei der Stromproduktion unterstellen, bliebe bis zur Einhaltung der Klimaziele der Bundesregierung 2030 noch eine Lücke von gut 40 Prozent, die nur durch eine Änderung des Verhaltens zu erreichen wäre. Wie aber anstellen? Wie die Zahl der Fahrzeuge und die damit gefahrenen Kilometer reduzieren und die Menschen vom häufigeren Wechsel auf andere Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen überzeugen?

Unsere These: Wir sind bereits auf einem guten Weg, aber nach wie vor in einem Netz von Konventionen und Gesetzen gefangen, die die Entwicklung behindern. Ohne Veränderungen in der politischen Regulierung wird der Wandel daher nicht kommen.

Verkehrswende hat in den Städten bereits begonnen

In den europäischen und nordamerikanischen Metropolen verschiebt sich das Verkehrsverhalten seit einigen Jahrzehnten: weg von der reinen Autonutzung – Experten nennen das „monomodal“ –, hin zu einer multimodalen Präferenz. Das heißt, dass ganz unterschiedliche Verkehrsmittel für die täglichen Wege verwendet werden. Diese Verschiebung spiegelt sich vor allem in zwei Trends: Erstens wird das Fahrrad beliebter – die Zahl der Fahrradfahrenden im öffentlichen Raum steigt sicht- und messbar. In Berlin beispielsweise hat sich die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer zwischen 2005 und 2015 verdoppelt. Zweitens kommen Sharing-Angebote aus der Nische. Ende 2017 sind in Deutschland mehr als zwei Millionen Menschen bei den Unternehmen registriert.

Auch sogenannte „Peer-to-Peer“-Angebote gewinnen an Bedeutung, bei denen Menschen ihre privaten Fahrzeuge anderen gegen ein Entgelt leihen.Im Windschatten der Erfolge von Leihrädern gibt es zudem mehr und vielfältigere Sharing Angebote in den Städten – zum Beispiel für Elektroroller. Parallel sind im Zeitalter der digitalen Plattformen auch deutliche Veränderungen im Bereich der Taxis und Mietwagen erkennbar. Während es früher Mitfahrzentralen oder Anrufsammeltaxen gab, heißen die Angebote heute „BlaBlaCar“ oder „Clever-Shuttle“. Hinzu kommt, dass sich in diesen Städten auch die Anteile des öffentlichen Nahverkehrs leicht erhöht haben, auf im Schnitt 25 Prozent der Wege. Das private – und nicht geteilte – Auto kommt hier nur noch auf einen Anteil von rund 30 Prozent.

Die Digitalisierung verändert alles

In den großen Städten betreten also viele Menschen gerade im wahrsten Sinne des Wortes neue Wege. Das Smartphone bietet hier neue Optionen: Es wird zum Generalschlüssel für eine kombinierte Mobilität. Ursprünglich war die materielle Beschaffenheit für den Besitz und die Nutzung eines Verkehrsmittels ein Auswahlgrund – und oft sogar der wichtigste –, die technischen Leistungsmerkmale eines Autos oder Fahrrads waren neben Kosten und Reisezeiten zentrale Entscheidungskriterien. Das Beispiel des flexiblen Carsharings zeigt, dass sich hier ein Wandel auf der Wahrnehmungs- und Entscheidungsebene vollzieht. Ob der genutzte Pkw ein Audi, BMW oder Mercedes ist, ob er blau oder grau ist, vier oder sechs Zylinder hat, ist nicht mehr entscheidend. Wichtig ist die sofortige Verfügbarkeit. Die transaktionskostenarme Möglichkeit, überall in der Stadt über ein passendes Fahrzeug verfügen und zusätzlich noch Bahnen und Busse wählen zu können, verändert das Nutzungsverhalten. Der Wettbewerb zwischen den Verkehrsangeboten verschiebt sich von der unmittelbar physischen Ebene auf den digitalen Marktplatz.

Änderung der Rahmenbedingungen überfällig

Verhaltensänderungen in der städtischen Verkehrswelt werden durch die persönliche Digitalisierung daher deutlich beschleunigt. Dabei verändern sich auch die Wertschöpfungsketten, die Marktordnungen und Gewohnheiten erodieren. Allerdings sind auch die alten Pfadabhängigkeiten noch enorm stark. Bislang konnte eine Verkehrswende nicht gelingen, weil die gesamte Verkehrspolitik immer noch auf die Förderung des privaten Automobils mit Verbrennungsmotor fixiert ist. Von der Steuergesetzgebung über die städtische Bauleitplanung bis zur Straßenverkehrsordnung: Alles war und ist auf die Popularisierung des privaten Kraftfahrzeugs ausgerichtet. Das reicht konkret von der steuervermeidenden Entfernungspauschale über das Dienstwagenwesen bis zum Privileg des Anwohnerparkens. Jedes Jahr wird der Dieseltreibstoff mit knapp acht Milliarden Euro subventioniert, zusätzlich entgehen uns durch die Nutzung privater Dienstwagen Steuereinnahmen von mehr als drei Milliarden Euro. Insgesamt kostet das gesamte System des fossilen Automobils im Jahr rund 90 Milliarden Euro, die nur mit knapp 50 Milliarden Euro an entsprechenden Steuereinnahmen gegenfinanziert sind. Die gesamte Elektromobilität hat dagegen zwischen 2009 und 2016 noch nicht einmal eine Milliarde Euro an staatlichen Fördermitteln erhalten.

Alternativen werden immer wieder rechtlich ausgebremst. Die Versuche, die Schadstoffgrenzwerte zu senken oder in den Innenstädten gar Einfahrverbote für Verbrennungsfahrzeuge einzuführen, scheiterten bislang an fehlenden rechtlichen Grundlagen. Veränderungen im Personenbeförderungsgesetz wurden von den Taxiunternehmen erfolgreich bekämpft: So sind praktisch sämtliche flexiblen Angebotsformen auf digitalen Plattformen unzulässig. Die Straßenverkehrsordnung strukturiert in Verbindung mit dem Straßenrecht den öffentlichen Raum und schreibt die Vormachtstellung des privaten Pkws fest. Hinzu kommen die Straßenverkehrszulassungsordnung, in der insbesondere festgehalten ist, welche Fahrzeuge unter welchen Umständen auf öffentlichen Straßen unterwegs sein dürfen, und nicht zuletzt das Baugesetzbuch. Darin sind die stadtplanerischen Instrumentarien geregelt, etwa um öffentliche Siedlungs- und private Bauplanung mitzugestalten. Ebenso schreibt das Baugesetzbuch vor, welche Infrastrukturen wie vorgehalten werden müssen. Zudem wird darüber die Zahl der Kfz-Stellplätze bestimmt. Das Energiewirtschaftsgesetz im Verbund mit Verordnungen wie der Ladesäulenverordnung oder der Stromnetzzugangsverordnung ist schließlich so kompliziert, dass die immer wieder gern geforderte „Sektorkopplung“ als „zweite Phase der Energiewende“ unternehmerisch keine Perspektive hat.

Experimentierräume:  Wandel „auf Probe“

Restriktiv, pfadabhängig und risikovermeidend – so sieht die Regulierung derzeit aus. Die veränderten Präferenzen, vor allen Dingen der Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner, und die Optionen der Digitalwirtschaft mit ihren Aussichten auf neue Märkte: All das kann sich nicht in eine neue Verkehrspraxis umsetzen. Ein Aufbrechen dieses engen Korsetts gelingt möglicherweise nur mit räumlich und zeitlich begrenzten regulativen Experimentierräumen. Hier können die Spielregeln neu austariert und neue Optionen im Verkehr getestet werden, wie beispielsweise ein flächendeckendes Angebot geteilter Autos, eine Güternahversorgung ausschließlich mit Lastenfahrrädern und Elektro-Transportern oder eine Zero-Emission-Zone. Die genannten Gesetze verfügen in der Mehrzahl über eine Experimentierklausel, die solche Räume ausdrücklich vorsieht. Allerdings werden Ausnahmen nur dann zugelassen, wenn die unmittelbar Betroffenen einbezogen sind. Galt Bürgerbeteiligung bisher mehr als eine lästige Pflicht, wird diese mehr und mehr zu einer zentralen Voraussetzung des Erfolges einer neuen Verkehrspolitik.

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Andreas Knie & Dr. habil. Weert Canzler

Prof. Dr. Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH. Co-Autor Dr. habil. Weert Canzler ist Senior Researcher in dieser WZB-Forschungsgruppe und Sprecher des Leibniz-Forschungsverbundes Energiewende.


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