Die neue Welt digitaler Geschäftsmodelle: Sechs Praxisbeispiele

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) machen zwei Drittel der insgesamt über 1.800 Mitglieder im BDEW aus. Etwa 90 Prozent davon sind Stadtwerke, die sich mit neuen Geschäftsmodellen für die Zukunft wappnen. Wir stellen Ihnen sechs Stadtwerke und ihre Ideen vor.

Die Stadtwerke in Geesthacht bieten einen sicheren und kostenlosen Cloud-Dienst an. In Peine können Kunden in einem virtuellen Einkaufszentrum shoppen. Die Modellstadt Kirchheimbolanden wird vollständig über Erneuerbare Energien versorgt. Die Energie Calw GmbH bietet E-Car-Sharing mit Stromvertrag an. Im baden-württembergischen Fellbach proben die Stadtwerke das vernetzte Wohnen und in Triberg im Schwarzwald handeln Prosumer mit ihrem Strom im Minutentakt. Entdecken Sie die Welt digitaler Geschäftsmodelle!

Sicherer Speicher

Stadtwerke Geesthacht, Schleswig-Holstein

Wer Kunden binden will, braucht onlinebasierte Speicher- und Serverdienste. Zu diesem Ergebnis sind die Experten der Stadtwerke Geesthacht gekommen. „In der IT-Sicherheit sehen wir einen vielversprechenden Markt, in den wir weiter investieren werden“, sagt Multimedia- und IT-Bereichsleiter Dennis Ressel. So bieten die Stadtwerke ihren Kunden einen kostenlosen Cloud--Dienst an. Einer der Vorteile: „Im Gegensatz zu Anbietern aus Übersee weiß man bei uns, was mit den Daten passiert. Sie werden in einem zertifizierten Rechenzentrum in Norddeutschland gespeichert – und das ist sehr sicher.“ Zudem können Geschäftskunden die Cloud per App ihrem eigenen Design anpassen und so ihren Kunden anbieten. Daher haben sich auch vier weitere Stadtwerke aus Schleswig-Holstein entschieden, die Cloud-Plattform zu nutzen – und Verträge mit dem IT-Dienstleister der Stadtwerke Geesthacht abgeschlossen. »Wir treffen uns regelmäßig mit den Beteiligten der anderen Stadtwerke, um Ideen zu neuen Add-ons auszutauschen und das Projekt voranzutreiben“, sagt Ressel. Darüber hinaus planen die Geesthachter Verantwortlichen ein eigenes Rechenzentrum, um ihr neues Geschäftsfeld auszubauen. Das schnellste Internet des Nordens und direkten Zugang zu ihren Kunden haben sie dank des ausgebauten Glasfasernetzes (ein Gigabit pro Sekunde) nach eigener Aussage bereits. „In Verbindung mit unserem Rechenzentrum müssten Daten für die Cloud dann nicht mehr über das öffentliche Internet geroutet werden“, erklärt Ressel. Und das sei ein weiterer Schritt, um die Stadtwerke als lokalen, sicheren und beständigen Anbieter zu stärken.

Anders einkaufen

Stadtwerke Peine, Niedersachsen

Online-Shopping mal anders: Seit 2016 soll ein virtuelles Einkaufszentrum die Wettbewerbsposition der Stadtwerke stärken. Gegründet haben es die Stadtwerke Peine mit den Stadtwerken Eutin und Speyer sowie mit SüdWestStrom. In der Stadtwerke-Mall können sich Unternehmen über Dienstleistungen, White-Label-Produkte und Geschäftsideen in der Energiewirtschaft informieren, austauschen und solche selbst anbieten. Derzeit sind 180 Unternehmen registriert. Zudem haben rund 50 Anbieter mehr als 100 Angebote eingestellt. „Damit ist das Portal einer der größten Online-Marktplätze für Entscheider in kommunalen Unternehmen“, sagt Ralf Schürmann, Geschäftsführer der Stadtwerke Peine. Zu finden sind dort Angebote wie Smart-Control-Services, Contracting für Privatkunden oder innovative Spülverfahren für Wasserverteilungssysteme. Insgesamt umfasst das Kaufhaus der Ideen Leistungen aus elf Kategorien – etwa aus IT, Netzbetrieb und Marketing. An den Abschlüssen über das Netzwerk verdienen die Betreiber nichts, sie erhalten aber Gebühren für das Einstellen von Angeboten und die Portalnutzung. „Damit decken wir die Kosten für den Betrieb und die Weiterentwicklung“, sagt Schürmann. Welche Lehren er aus dem Projekt gezogen hat? „Wir haben viele Stadtwerke entdeckt, die großartige, aber kaum bekannte Dienstleistungen entwickelt haben. Um die Innovationsführung beizubehalten, braucht es Kooperation und ein schnelleres Einsteigen der Stadtwerke in neue Ge¬schäftsfelder.“

Virtuelle Kontrolle

e-rp, Rheinland-Pfalz

Kann sich die Modellstadt Kirchheimbolanden allein mit Erneuerbaren Energien versorgen? Diese Frage stand im Mittelpunkt des e-rp-Forschungsprojekts „KIBO-energy“,¬ das im Mai nach drei Jahren ausgelaufen ist. Eines der Ergebnisse: „Wir konnten nachweisen, dass dort eine dezentrale, CO₂-freie Energieversorgung möglich ist“, sagt e-rp-Geschäftsführer Prof. Dr. Peter Missal. „Diese Erkenntnis zeigt, dass der bundesweite Netzausbau nicht so umfangreich gestaltet werden muss wie geplant.“ Das liege vor allem daran, dass der Großteil der Energie vor Ort über das Verteilnetz verbraucht wird. Für das Modellprojekt haben die Forscher eine Energiezelle – also eine Stadt – unter die Lupe genommen, die wegen der vielen Windkraft- und Photovoltaikanlagen besonders geeignet war. Um den Verbrauch von Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden analysieren und regulieren zu können, kam ein Regelungsalgorithmus zum Einsatz. „Das System sorgt immer für ein Gleichgewicht zwischen Stromverbrauch und der Erzeugung Erneuerbarer Energien“, sagt Missal. So steuert der Algorithmus über einen ¬Datenbankserver ein virtuelles Kraftwerk an, das mittels KWK-Anlagen, WP-Anlagen und einer Power-to-Gas-Anlage genau diesen Ausgleich herbeiführt. Jetzt erhofft sich das Forscherteam eine Weiterführung des aus Bundesmitteln geförderten Projekts. Denn als Nächstes wollen sie den Verbund von mehreren Energiezellen erproben. Missal ist überzeugt: „Mit einem Energiezellenverbund können wir die Energiewende erfolgreich meistern.“

Unbegrenzte Mobilität

Energie Calw GmbH, Baden-Württemberg

Sie bietet E-Carsharing mit eigenen Wagen an und verleast Elektroautos mit Stromvertrag. Die Energie Calw GmbH fördert die E-Mobilität in der Region seit Jahren – ein Engagement, das ohne digitale Innovationen nicht umsetzbar gewesen wäre. „Daten zu Standorten, Nutzung und Schadensmeldungen können dank digitaler Technik in Echtzeit abgerufen werden und ermöglichen der ENCW den Betrieb des E-Carsharings“, sagt Geschäftsführer Horst Graef. Zudem seien Echtzeit-Informationen auch für Kunden unverzichtbar. So können sich Nutzer jederzeit per App über Ladevorgänge, Energiebedarf, Leistung und Ladedauer informieren. Künftig wird dieses Angebot weiter an Tiefe gewinnen und noch mehr Daten liefern. Denn Graef rechnet langfristig fest mit dem bidirektionalen Lademanagement, bei dem das Fahrzeug auch als Einspeisequelle dient. „Eine intensive Kommunikation zwischen Fahrzeug, Ladeinfrastruktur und Netz wird dann eine wichtige Rolle spielen.“ Im Jahr 2018 will die ENCW ihr Ladesäulennetz auf 50 Stationen ausbauen. Doch die Vision geht deutlich weiter: „Wir möchten Kunden eine Rundum-Versorgung für ihre Mobilität bieten.“ Dazu gehöre ein Fahrzeug und die Möglichkeit, zu Hause und in ganz Deutschland zu laden, ohne sich mit einer Vielzahl von Anbietern beschäftigen zu müssen. Darüber hinaus denkt die ENCW über ein erweitertes E-Carsharing-¬Angebot nach, das auch ein All-inclusive-Paket für öffentliche Verkehrsmittel beinhaltet.

Vernetztes Wohnen

Stadtwerke Fellbach, Baden-Württemberg

Geht es um Zukunftsfragen, fällt bei den Stadtwerken Fellbach vor allem ein Begriff: Wohnungswirtschaft. „Ich möchte die Stadtwerke zu einem breit aufgestellten Dienstleister ausbauen. Die Wohnungswirtschaft ist dafür ein wichtiger Baustein“, sagt Gerhard Ammon. Er ist Geschäftsführer der Stadtwerke und der Schwestergesellschaft WDF, die im weitesten Sinne für sozialen Wohnungsbau verantwortlich ist. Was das mit Digitalisierung zu tun hat? „Viel“, sagt er, „denn wir wollen uns in den Bereichen Heizkosten- und Nebenkostenabrechnung etablieren.“ Synergieeffekte entstehen dann etwa, wenn die Stadtwerke ihre Zähler digital ablesen oder Abrechnungsschnittstellen gemeinsam genutzt werden. So ließen sich die Daten zu Strom- und Heizkosten über die gleiche Schnittstelle verteilen und Kosten sparen. Und das soll erst der Anfang sein. Denn die Geschäftsfelder der Stadtwerke und der WDF ergänzen sich gut. „Dadurch müssen wir nicht ständig Dritte fragen und können viel in den Gebäuden der WDF ausprobieren“, sagt Ammon. So sei es denkbar, Dienstleistungen der Hausverwaltung auch für andere Gebäude anzubieten. Ein weiteres Zukunftsmodell: Mieterstrom- und Quartierskonzepte mit integrierten E-Carsharing-Angeboten. Zudem beschäftigt sich Ammon mit Sensortechnik, die es Menschen ermöglicht, länger in ihren Wohnungen zu leben. „Für solche Projekte sind die Stadtwerke mit ihrer technischen Expertise, dem Mieterwissen und den Leistungen der Wohnungswirtschaft im Hintergrund ein perfekter Partner.“

Neues Handeln

EGT AG, Baden-Württemberg

Wer früher Konsument war, ist heute oft Prosumer und braucht neue Vertriebswege. Die EGT AG hat sich deshalb an dem Start-up Oxygen Technologies beteiligt, das Energieversorgern den Betrieb einer sogenannten Peer-to-Peer-Kundenplattform ermöglicht. Das Besondere daran: Mit ihr können Prosumer ihren Strom im Minutentakt untereinander handeln – ganz ohne zentralen Mittler. Möglich machen das Algorithmen, die für den Handel mit dezentralen Strommengen programmiert sind. „Wir wollten die Lernkurve durch die Entwicklung dieses digitalen Geschäftsmodells mitnehmen. Dadurch haben wir einen Informationsvorsprung“, sagt Rudolf Kastner, Vorstandsvorsitzender der EGT AG. Die Peer-to-Peer-Plattform soll in diesem Jahr als White-Label-Lösung für Energieversorger angeboten werden. Der Triberger Versorger ist dann selbst Lizenznehmer und betreibt die Plattform für seine Kunden. „Am Ende des Tages reden wir von einem voll integrierten System, in dem Kunden auch alles abrechnen können: von der gelieferten Energie über die Netzentgelte bis zu den Steuerabgaben“, erklärt Kastner. So werden Versorger zu Dienstleistern. Einnahmen erzielen sie durch Beiträge für den Zugang zur Plattform und eine Vermittlungsgebühr für gehandelte Energiemengen. Zunächst bietet die EGT AG dieses Modell für rund 5.000 Privatkunden an – etwa für Landwirte, die nach dem Ende der EEG-Förderung den Überschuss ihrer Photovoltaikanlage vermarkten wollen. „Aber langfristig beschäftigen wir uns damit, wie wir das System für gewerbliche und industrielle Kunden weiterentwickeln.“

Text: Daniel Wehner

Erfahren Sie hier mehr über die KMU-Vertretung im BDEW.


Zurück zur Magazin-Übersicht

Suche