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"Finanzierbarkeit des Geschäftsmodells größte Herausforderung der Zukunft"

Für die Mobilitätswende müssen Unternehmen der Daseinsvorsorge besser ausgestattet werden, sagt Michael Fiedeldey. 

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© SLindenau / Shutterstock

Wenn Sie auf die letzten drei Krisenjahre zurückblicken, insbesondere auf das letzte Jahr der Energiekrise, wie sehr waren Sie in Bamberg mit dem operativen Krisenhandling beschäftigt?
Wir müssen die letzten drei Jahre in zwei Abschnitte unterteilen. Die ersten beiden Jahre waren von der Pandemie geprägt. Für die Stadtwerke Bamberg war diese Krise eine Chance, denn sie gab der Digitalisierung einen unwahrscheinlichen Schub. In rasender Geschwindigkeit haben wir ein Niveau erreicht, für das wir sonst deutlich länger gebraucht hätten. Die Frage, ob man etwas auch anders machen kann, wurde gar nicht mehr gestellt — wir haben es einfach gemacht. Jede und jeder bei den Stadtwerken hat agiles und pragmatisches Agieren hautnah erlebt.

Auch in der Energiekrise wurden wir überrollt: nicht von einem Virus, sondern von ständig neuen Vorgaben und Gesetzen — und natürlich von der Sorge, dass unsere Vorlieferanten nicht mehr liefern können. Wir sind in zwei Beschaffungskooperationen aktiv, hier werden die Energiemengen von Strom und Gas für Oberfranken und Teile Mittelfrankens gemanagt. Wir haben also unsere Vorlieferverträge geprüft und abgesichert und auch unsere Risikohandbücher angepasst.

Danach der Blick auf die Absatzmärkte: Welche Risiken drohen durch Zahlungsausfälle bei unseren Kunden? Während im letzten Sommer in der Republik noch aufgeregt über Winnetou diskutiert wurde, haben wir durchgerechnet, wie uneinbringliche Forderungen zwischen 5 und 10 Prozent auf unser Geschäftsergebnis wirken. Das Risiko hieraus war massiv. Erst die Entlastungspakete haben deutliche Entspannung gebracht. Dafür ist seither im Vertrieb und im Kundenservice die Hölle los, weil wir für die Bundesregierung zum Seelentröster und Erklärbär geworden sind. Viele Kunden haben nach wie vor nicht verstanden, wie die Bremsen genau wirken.

Sind Themen Ihrer strategischen Agenda liegen geblieben?
An der ein oder anderen Stelle wurden wir unfreiwillig ausgebremst, beispielsweise durch Lieferketten für Bauteile und Maschinenelemente, die plötzlich nicht mehr funktioniert haben. Das haben wir auch im Konversionsquartier Lagarde gemerkt, wo wir künftig 1.900 Haushalte mit Wärme beliefern, die zu 70 Prozent vor Ort und regenerativ gewonnen wird. Es handelt sich um denkmalgeschützte Bestandsgebäude und hocheffiziente Neubauten, das ist ein Leuchtturm für die Wärmewende. Unser Ziel war, erst fertig zu bauen und dann das Konzept auf andere Quartiere zu übertragen. Zugegeben: Das ist uns nicht gelungen. Denn bevor wir fertig sind, werden wir von Interessenten überrannt, die von unseren Erfahrungen partizipieren wollen.

Haben die Eindrücke der Energiekrise Ihre strategische Sicht verändert? 
Die Energiekrise hat unsere strategische Sicht nicht verändert, sondern bestätigt: Wir wollen die Stadtwerke Bamberg vom reinen Energieversorger zu einem integrierten Energie-, Telekommunikations- und Mobilitätsdienstleister weiterentwickeln. Auf dem Lagarde-Campus denken wir ja nicht nur die Wärmeversorgung neu. Statt eines eigenen Tiefgaragenstellplatzes legen wir den Bewohnern ein ÖPNV-Ticket auf den Tisch und bieten ihnen App-basierte Sharing-Angebote für jeden Mobilitätsbedarf. Zudem ist jede Wohnung an unser Glasfasernetz angeschlossen. Wir sind überzeugt davon, dass dieser integrierte Ansatz auch in anderen Stadtteilen Bambergs und in anderen Kommunen in Deutschland funktioniert.

Wie wichtig ist solch ein Zukunftsprojekt für die Stadtwerke Bamberg? Wie trägt es zur Transformation Ihres Unternehmens bei? 
Wenn wir uns mit derartigen Innovationsprojekten beschäftigen, dann verändert sich auch die Kultur im Unternehmen — davon bin ich überzeugt! So arbeiten wir beispielsweise mit Fraunhofer bei Netzentwicklungsplänen zusammen, also einem Transformationsprojekt unserer Infrastruktur. Im Rahmen einer Dissertation beschäftigen wir uns mit dem Rückbau von Gasinfrastruktur. Wir haben im gemeinsamen Innovationslabor mit Bosch eine Feststoffbrennzelle in unser Netz eingebunden. Wenn Sie so etwas in einem Unternehmen machen, ändert sich die Sichtweise der Mitarbeitenden. Wir merken das auch, wenn wir Stellen ausschreiben — wie positiv dabei die Resonanz ist! Innovation wirkt also intern, aber auch auf die Wahrnehmung der Kunden und weiterer Stakeholder — etwa am Arbeitsmarkt.

Was bewirkt das für Bamberg und die Region? 
Diese Innovationskraft ist Teil unserer Stadtwerke-DNA. Wir schaffen zukunftssichere Infrastrukturen für kommende Generationen. Hätten wir nicht das effizienteste Hallenbad Europas gebaut, würden uns dort jetzt die Heizkosten davonlaufen. Ohne unser flächendeckendes Glasfasernetz wäre Bamberg vom schnellen Internet abgehängt worden. Und nochmals zurück zur Wärme: Da treiben wir im Austausch mit allen größeren Akteuren der Wohnungswirtschaft die Ausbauplanung für unsere Wärme- und Stromnetze voran. Warum mit der Wohnungswirtschaft? Ziel ist es, unsere Netzplanung mit der Sanierung der Immobilienbestände zu synchronisieren.

Eine Immobilie aus den 1960er-Jahren muss anders saniert werden als eine aus den 1980ern. Bambergs Altstadt ist Weltkulturerbe mit besonderen Hürden für Sanierungsvorhaben. Das bringt viele Fragen mit: Welche Technologie wird künftig in den Beständen verwendet? Was kann mit der vorhandenen Bausubstanz und Gebäudestruktur überhaupt gemacht werden? Die Wärmewende kann nur funktionieren, wenn wir Gebäudesanierung und Netzausbau synchronisieren. Hier haben wir mit den ersten Unternehmen Vereinbarungen getroffen.

In unserer Befragung blicken 100 Stadtwerke wirtschaftlich skeptisch auf die nächsten Monate. Wie schätzen Sie die Situation für die Stadtwerke Bamberg ein? 
Ich sehe in der Finanzierbarkeit unseres Geschäftsmodells die größte Herausforderung der Zukunft für Stadtwerke allgemein — und natürlich auch für unser Unternehmen. Die profitablen Sparten werden nicht mehr dauerhaft die Defizite aus der kommunalen Daseinsvorsorge tragen können, weil uns hier die Kosten davonlaufen. Hier in Bamberg erwarten wir allein bei der Betankung unserer Busse Mehrkosten von 1 Millionen Euro im Jahr 2023. Auch bei den Bädern stehen wir vor enormen Kostensteigerungen. Ich fürchte, dass die Finanzierung dieses Querverbunds langfristig auf weiter Flur nicht mehr funktionieren wird — manche Kolleginnen und Kollegen sind schon heute nicht mehr in der Lage dazu.

Mit dieser Herausforderung ist eine grundsätzliche Diskussion in diesem Land verbunden, auch in der aktuellen politischen Debatte fehlt mir die Klarheit. Meine Meinung: Wir können nicht die Mobilitätswende ausrufen, dann aber die Unternehmen der Daseinsvorsorge ausbluten lassen. Es wird darum gehen müssen, von lieb gewonnenen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten Abstand zu nehmen, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, sich aus der Krise heraus zu investieren. Preisbremsen beruhigen die Bürger, die Klimawende erreichen wir damit aber nicht.

Welche Eigenschaften der Stadtwerke haben sich in den letzten anspruchsvollen Jahren als besonders stabil und förderlich dargestellt? Wo mussten Sie nachschärfen? 
Wir sind Mittelständler mit Schnellboot — und kein Konzern, dessen Tanker sich schwer steuern lässt. Mit dem Boot können wir deutlich agiler durch eine solche Krisenzeit navigieren. Agilität und schlanke Strukturen sind insofern Eigenschaften, die uns gestärkt haben. Beim Nachschärfen geht es darum, dass wir diese Eigenschaften behalten und nicht in alte Muster zurückfallen.

Wie ist das Stimmungsbild unter Ihren Kunden? Was treibt sie um und wie reagieren Sie darauf? 
Bamberg lebt von der Automobilindustrie. Bosch ist der größte industrielle Arbeitgeber in unserer Region. Die Branche steht nicht nur vor dem Transformationsdruck, sondern auch vor der Herausforderung hoher Energiepreise. Die Industrieunternehmen haben langfristig beschafft. Das Problem der dauerhaft gestiegenen Gas- und Strompreise wird dort also eher in zwei, drei Jahren stärker ankommen. Und dann stellt sich die Frage: Was ist die neue Realität beim Gas, wo pendelt sich der Preis langfristig ein? Ich denke, die heutigen Multiplikatoren von 3 oder 4 zeigen das bereits ganz gut.


Michael Fiedeldey, Geschäftsführer Stadtwerke Bamberg GmbH. Foto: Stadtwerke Bamberg


Ich sorge mich aber auch um den Mittelstand, der die Stütze der deutschen Wirtschaft ist. Wir versuchen, mittelständische Kunden in die Tranchenbeschaffung zu bringen, also weg von einer Zeitpunkt-, hin zur Zeitraumbeschaffung, vier- bis sechsmal im Jahr, um die Spitzenbeschaffungspreise abzufedern. Dennoch stellt sich mir die Frage, wie der Mittelstand mit Auslaufen der Preisbremsen wettbewerbsfähig bleiben kann. 

Wo sehen Sie sich in Ihrem Leistungsportfolio im Jahr 2030? Wie wird das Produktspektrum aussehen? Werden Sie Infrastrukturbetreiber sein oder Dekarbonisierungsmacher? 
Wir wollen unsere Umsätze mit Dekarbonisierungsaktivitäten erheblich steigern. Auch vor dem Hintergrund, dass das Commodity-Geschäft nachlassen wird, wollen wir langfristig in beiden Bereichen ähnlich hohe Umsätze machen. Die Krise hat diesen Transformationsprozess beschleunigt. Für Fernwärmeanschlüsse und Lösungsvarianten, wie wir sie gerade auf dem Lagarde-Campus entwickeln, bekommen wir derzeit so viele Kundenanfrage wie nie zuvor. Das Problem ist, dass Tiefbaukapazitäten, Material und auch die eigenen Ressourcen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen.

Die Klimaziele der Bundesregierung aus dem Koalitionsvertrag sind jetzt auch gesetzlich gefestigt. Welche Rolle übernehmen Stadtwerke und Energieversorger vor Ort aus Ihrer Sicht bei der Umsetzung und kann es überhaupt ohne die Stadtwerke funktionieren? 
Ich bin davon überzeugt, dass es ohne die Stadtwerke vor Ort gar nicht geht. Uns unterscheidet von Konzernen die Kenntnis der Gebietskulisse, die persönliche Beziehung und die Nähe zu den Stakeholdern. Wer soll die Synchronisierung von Netz- und Infrastrukturausbau mit den Gebäudesanierungen sonst koordinieren? Oder denken Sie an die kommunale Wärmeleitplanung: Wer, wenn nicht wir, die Stadtwerke vor Ort, können die losen Stränge sauber zusammenzubinden? Jede Stadt hat einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie ein Stadtwerkeunternehmen an ihrer Seite hat, das solche Themen strukturiert und mit Sachverstand vorantreibt.

Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welcher wäre das? 
Ich habe sogar zwei Wünsche, die aber zusammenhängen. Zunächst geht es mir um Anerkennung und Wertschätzung für das, was unsere Branche und ihre Mitarbeitenden in den letzten drei Jahren geleistet haben. Das wird zu häufig als selbstverständlich hingenommen. 

Außerdem: Wir brauchen deutlich mehr Pragmatismus in der Gesetzgebung. Wer die Gesetze macht, sollte sich darauf zurückbesinnen, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Vergleichen Sie mal das aktuelle Energiewirtschaftsgesetz mit dem aus dem Jahr 2006: In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der Paragrafen explodiert. Eine Organisation hat kaum noch die Möglichkeit, diese Vorgaben des Gesetzgebers zu erfassen, geschweige denn umzusetzen und ihre strategischen Rückschlüsse daraus zu ziehen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Hier die Stadtwerkstudie 2023 downloaden.


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Ansprechpartner

Mathias Timm
Leiter der KMU-Vertretung
+49 30 300199-1700
mathias.timm@bdew.de

Manuel Schrepfer
Fachgebietsleiter KMU-Vertretung
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