Drucken

Überarbeitung Gasbinnenmarkt-Richtlinie und -Verordnung

EU-Rat stützt trotz intensiver Warnungen der Branche die Vorschläge der Kommission unter anderem zu strengen Entflechtungsregeln.

None

© Oil and Gas Photographer / Shutterstock

Der EU-Energieministerrat hat am 28. März seine Positionen zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Gasbinnenmarkt-Richtlinie und -Verordnung vom Dezember 2021 abgestimmt. Trotz intensiver Warnungen der Branche stützt der Rat die von der Kommission formulierten strengen Entflechtungsregeln für Wasserstoffnetzbetreiber. Setzen sich diese Bestimmungen auch im anstehenden Trilog durch, wird nach Ansicht des BDEW der Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft deutlich gehemmt. Auch zu anderen Punkten sieht der BDEW weiterhin Verbesserungsbedarf.

Nachdem der Industrieausschuss des Europäischen Parlaments (ITRE) bereits am 9. Februar 2023 seine Positionen zur Gas-Richtlinie und zur Gas-Verordnung mit klarer Mehrheit verabschiedet hatte, haben sich die Energieminister der EU-Mitgliedstaaten in ihrer Sitzung am 28. März 2023 auf eine „Allgemeine Ausrichtung des Rates“ verständigt. Damit können die Trilogverhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission zum „EU-Gas- und Wasserstoffpaket“ in den kommenden Wochen beginnen. 

Drei besonders wichtige Forderungen des BDEW sind die analoge Anwendung der Entflechtungsvorschriften der Gasnetzbetreiber für Wasserstoffnetzbetreiber, klare Regeln für die Zertifizierung von erneuerbaren und CO2-armen Gasen und eine gemeinsame Planung von Gas- und Wasserstoffnetzen. Anders als im Parlament finden diese Forderungen in den Vorschlägen des Rates jedoch nahezu keinen Niederschlag.

Hier finden Sie

Im Detail: 

Änderungen der Ratsposition zur Gasbinnenmarkt-Richtlinie und -Verordnung gegenüber dem Kommissionsvorschlag sind:

  • Entflechtung von Wasserstoffnetzbetreibern: Während das Europäische Parlament den Vorschlägen des BDEW gefolgt ist, keine harten Entflechtungsregeln für Wasserstoffnetzbetreiber aufzustellen und grundsätzlich auch bei Wasserstoffnetzen – wie bei Gasnetzen – zwischen der Fernleitungs- und der Verteilerebene zu unterscheiden, bleibt der Rat mit seiner Position nah an den Vorschlägen der Europäischen Kommission. Der Rat erweitert zwar den Artikel 48 der Gas-Richtlinie, der vorsieht, dass geografisch begrenzte Wasserstoffnetze von einem Teil der Entflechtungsregeln ausgenommen werden können. Aber auch mit den Ergänzungen des Rates bieten diese Vorschriften keinen Schutz vor einer strengen horizontalen Entflechtung. Damit wäre es Gasnetzbetreibern – wie schon nach dem Vorschlag der Kommission – nicht erlaubt, in derselben Gesellschaft Wasserstoffnetze zu betreiben. Dies würde den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft massiv behindern und sinnvolle Synergien verhindern. Der BDEW hat in den vergangenen Monaten massiv vor einem solchen Szenario gewarnt. 
  • Auch für die Anwendung des Modells des „Independent Transmission Operator“ (ITO) auf Wasserstoffnetzbetreiber bleibt der Rat eng am Text der Kommission. Zwar soll dieses Modell nicht - wie im Kommissionsvorschlag – automatisch zum 31. Dezember 2030 enden; laut Ratsvorschlag soll die Europäische Kommission jedoch bis Ende 2031 überprüfen, ob sich das ITO-Modell für Wasserstoffnetzbetreiber bewährt hat, und im Bedarfsfall Änderungen vorschlagen. 
  • Zertifizierung: Dem Vorschlag für ein einfaches, zentrales, EU-weit einheitliches Nachweis- und Handelssystem für erneuerbare und dekarbonisierte Gase, in der vom BDEW präferierten Form von Herkunftsnachweisen (GOs) nach dem Book & Claim-Prinzip, ist auch der Rat leider nicht gefolgt. Am Massenbilanzsystem wird wie im Kommissionsvorschlag formuliert festgehalten, aber der Rat nimmt einen Bezug zu Herkunftsnachweisen auf. Durch die Koexistenz beider Systeme, wie in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie angelegt, ist nach Meinung des BDEW ein einheitliches Handelssystem schwieriger aufzubauen. Mit dem Vorschlag des Parlaments, beim Festhalten an Nachhaltigkeitszertifikaten das gesamteuropäische Gasnetz als ein Massenbilanzierungssystem zu definieren, wäre in der Systematik aus Sicht des BDEW zumindest eine verbessernde Klarstellung enthalten.
  • Marktregeln/ Drittnetzzugang: Als ein Kernelement der Änderungen hat der Rat die Verlängerung der Übergangsphase für die Umsetzung von Marktregeln betont. Detailliertere Vorschriften für Wasserstoff, wie die Nutzung eines Entry/Exit Systems sollen nochmal um fünf Jahre, also auf das Jahr 2035, verschoben werden. Auch wenn eine Übergangsphase für den Wasserstoffhochlauf an einigen Punkten nachvollziehbar ist, sieht der BDEW die Gefahr, dass durch eine Verschiebung die Vereinheitlichung von Standards im Zeitverlauf schwerer durchzusetzen ist, was wiederum das Verschmelzen von Wasserstoffinseln oder -clustern erschweren könnte. 
  • Entgelte und Entgeltnachlässe: Der Rat präzisiert die Regeln für Wasserstoff und erneuerbare Gase und räumt den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität ein, die Entgelte festzulegen. Laut Rat soll bei den Entgeltnachlässen für Wasserstoff in Höhe von 100 Prozent und bei kohlenstoffarmen Gasen in Höhe von 75 Prozent im Erdgassystem unterschieden werden. Den Regulierungsbehörden wird allerdings eingeräumt, die Rabatte nicht, beziehungsweise geringer anzuwenden, sollten alternative Mechanismen genutzt werden, um erneuerbare und dekarbonisierte Gase zu fördern.
  • Verbraucherrechte: Insgesamt fordern die Abgeordneten eine Stärkung der Verbraucherschutzvorgaben, die über die von der Kommission vorgeschlagene Angleichung an die 2019 überarbeitete Strombinnenmarkt-Richtlinie hinausgeht. So werden verschiedene Änderungen an den verbraucherbezogenen Bestimmungen vorgenommen, die die Bereitstellung von Informationen, die Möglichkeit des Anbieterwechsels und die Kündigung im Falle von Bündelangeboten betreffen. Die Mitgliedstaaten erhalten mehr Flexibilität bei der Einführung intelligenter Messsysteme. Der BDEW hatte sich dafür ausgesprochen, dass im Sinne eines zukunftsorientierten Rechtsrahmens Wasserstoffkunden die gleichen Rechte erhalten wie Gas- und Stromkunden.
  • Netzplanung: Anders als vom BDEW vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament aufgegriffen sieht der Text des Rates keine gemeinsame Planung von Gas- und Wasserstoffnetzen vor, sondern übernimmt die getrennte Bearbeitung aus dem Vorschlag der Kommission. Immerhin regelt der Rat ausdrücklich, dass die 10-Jahres-Netzentwicklungspläne der Gasnetzbetreiber auch die Infrastruktur für den Anschluss von Anlagen zur Einspeisung von erneuerbaren oder CO2-armen Gasen sowie die für den umgekehrten Gasfluss aus den Verteiler- in die Fernleitungsnetze benötigte Infrastruktur berücksichtigen sollen. 
  • Verweigerung von Netzzugang und Netzanschluss: Wie schon die Europäische Kommission will auch der Rat sowohl Gas- als auch Wasserstoffnetzbetreibern die Möglichkeit einräumen, den Netzzugang und Netzanschluss bei nicht ausreichender Kapazität abzulehnen, wobei dies jeweils fundiert zu begründen ist. Einspeisern von erneuerbaren und CO2-armen Gasen darf der Zugang nur unter bestimmten Bedingungen verweigert werden. Der Rat formuliert darüber hinaus die Möglichkeit für die EU-Mitgliedstaaten, den Gasnetzbetreibern zu gestatten, den Netzzugang und Netzanschluss zu verweigern und auch Erdgaskunden aktiv vom Netz zu trennen, wenn die betreffenden Netze laut dem Netzentwicklungsplan für eine Stilllegung vorgesehen sind oder die zuständige Behörde eine solche Stilllegung genehmigt hat. Auch diese Maßnahmen müssen fundiert begründet werden.
  • EU DSO Entity: Der Rat lässt den Textvorschlag der Kommission unverändert. Die Betreiber von Gasverteilernetzen sollen auf europäischer Ebene zusammenarbeiten und sich zu diesem Zweck der bereits für die Strom-VNB bestehenden EU DSO Entity anschließen. Die Vorschläge des BDEW, die Entity auch für Betreiber von Wasserstoffverteilernetzen zu öffnen und im Verordnungstext ausdrücklich zu regeln, dass eine ausgewogene und faire Vertretung von Gas- und Wasserstoff-VNB gewährleistet wird, wurden nicht aufgegriffen. 
  • ENTSOG / ENNOH: Der Rat behält die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Gründung eines separaten europäischen Netzwerks für Wasserstoffnetzbetreiber (ENNOH) bei. Die Schaffung dieser zusätzlichen Einheit war vom BDEW kritisiert worden. Stattdessen sollten Wasserstoffnetzbetreiber auf der Fernleitungsebene in das bestehende Netzwerk der Gasfernleitungsnetzbetreiber ENTSOG integriert werden („ENTSOG&H“) und Wasserstoffverteilernetzbetreiber die Möglichkeit erhalten, sich der EU DSO Entity anzuschließen. Diese Vorschläge waren vom Berichterstatter im Europäischen Parlament übernommen worden.
  • Beimischung an GÜP: Bei der für Fernleitungsnetzbetreiber verpflichtenden Beimischungsgrenze an Grenzübergangspunkten spricht sich der Rat für eine Absenkung des zu akzeptierenden Wasserstoffgehalts von zunächst vorgeschlagenen 5 auf 2 % aus, um eine harmonisierte Gasqualität zu gewährleisten. Das Parlament hatte 3 % vorgeschlagen.
  • Finanzierung Wasserstoffnetze: Der Rat folgt dem Vorschlag der Europäischen Kommission, wonach eine Querfinanzierung zwischen dem Betrieb von Strom- oder Gasnetzen und Wasserstoffnetzen grundsätzlich nicht erlaubt wird. Eine Regelung zur Abfederung übermäßiger Belastungen der ersten Nutzer von Wasserstoffnetzen, wie etwa durch das Europäische Parlament formuliert, ist nicht vorgesehen.

Des Weiteren wurden Bestimmungen zur Zertifizierung von Speicherbetreibern in die Gesetzgebung integriert, die in der im Juni 2022 angenommenen Gasspeicherverordnung erstmals festgelegt wurden.
Darüber hinaus wurde eine Sicherheitsklausel hinzugefügt, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Maßnahmen gegen Einfuhren aus Belarus und Russland zu ergreifen.
Auch ist für Notsituationen ein öffentliches Eingreifen in die Preisfestsetzung hinzugekommen. Eine solche Regelungsmöglichkeit wird derzeit auch in der Überprüfung des Strommarktdesigns diskutiert.

Nächste Schritte
Nach der politischen Einigung im Rat können nun die Trilogverhandlungen zwischen Parlament, Rat und unter Aufsicht der Kommission beginnen. Zentrale Streitpunkte zwischen Rat und Parlament werden voraussichtlich vor allem, die auch für den BDEW zentralen Entflechtungsregelungen, sowie die Differenzierung zwischen Fernleitungs- und Verteilernetzen, Zertifizierung und Verlängerung der Übergangsphase für Wasserstoff um fünf Jahre sein. Insbesondere in den Punkten zur Finanzierung von Wasserstoffnetzen sowie der Ausgestaltung der europäischen Vereinigungen der Netzbetreiber unterstützt der BDEW die Positionen des Parlaments. Ein Abschluss der Verhandlungen ist bis Ende 2023 zu erwarten.
 

Suche