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Lieferketten: Abhängigkeiten reduzieren, Diversifizierung vorantreiben

Wie die Lieferketten von sauberen Technologien, Komponenten und kritischen Rohstoffen widerstandsfähiger werden. 

Lieferketten: Abhängigkeiten reduzieren, Diversifizierung vorantreiben

© Getty Images / Unsplash

Die Stärkung der Produktion von sauberen Technologien und (IT-)Komponenten für Energiewendetechnologien in Deutschland und der EU gehört zu den zentralen Aufgabenfeldern für die Stärkung der Resilienz der Energiewende. Ein starker europäischer Cleantech-Sektor ist als eine der wichtigsten Zukunftsindustrien zudem ein Kernbaustein für die globale Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Technologieführerschaft der EU. 

Zu starke, einseitige Abhängigkeiten in den Lieferketten bergen – neben außen- und sicherheitspolitischen Risiken – Risiken für den Verlauf der Energiewende, einschließlich Preisrisiken bei monopolartigen Strukturen und Ausfallrisiken aufgrund von zum Beispiel geopolitischen Entwicklungen. Wo es möglich ist, müssen einseitige Abhängigkeiten verhindert oder signifikant reduziert werden. 

Bestehende Abhängigkeiten in Risikomanagement einbeziehen 

Allerdings muss anerkannt werden, dass die Möglichkeiten der Diversifizierung bei bestimmten Technologien, Komponenten und kritischen Rohstoffen aktuell bzw. auf kurz- oder mittelfristige Sicht nur stark begrenzt sind. Das gilt zum Beispiel für Photovoltaik oder für Seltene Erden. In solchen Fällen müssen die bestehenden Abhängigkeiten zumindest von strategischen Risikomanagement- und Resilienzstrategien sowie kontinuierlichem Monitoring begleitet und auf langfristige Sicht die Bemühungen intensiviert werden, sich diversifizierter bzw. unabhängiger aufzustellen. 

Die Verabschiedung des Net Zero Industry Acts (NZIA) sowie der delegierten Rechtsakte zu seiner Umsetzung war ein notwendiger und wichtiger politischer Schritt zur Stärkung europäischer Produktionskapazitäten von Netto-Null-Technologien. Der NZIA verfolgt das Ziel, dass die EU bis 2030 40 Prozent ihres jährlichen Bedarfs an Netto-Null-Technologien aus eigener Produktion bereitstellen kann. Allerdings fördert diese Gesetzgebung in der konkreten Ausgestaltung weitere Komplexität im Ausschreibungsdesign, was genau beobachtet und ggf. überarbeitet werden muss. Zudem können der Erhalt und der Aus- und Wiederaufbau von Produktionsstandorten für saubere Technologien nicht allein durch regulatorische Maßnahmen wie den NZIA-Kriterien erreicht werden. Hier sind zusätzlich langfristige finanzielle Anreize sowie strategische und übergreifende Ansätze notwendig. 

Pragmatische Zielsetzungen für Planungs- und Investitionssicherheit 

Im Sinne der langfristigen Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen und Industrien braucht es zudem klare und pragmatische Zielsetzungen im Bereich Klima und für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, darunter für das Jahr 2040, und das verbindliche politische Bekenntnis, diese einzuhalten. Durch maßstabsgerechte Maßnahmen wie Investitionsabsicherungsinstrumente, Kreditprogramme, Sonderabschreibungen, Steuererleichterungen und direkte Förderung auf EU- sowie nationaler Ebene muss sichergestellt werden, dass der Beitrag zur Resilienz nicht allein durch Unternehmen der Energiewirtschaft getragen, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe EU-weit für alle strategisch wichtigen Wirtschaftsbereiche wahrgenommen wird. 

Der Ausbau eines effektiven Recyclings und die Schaffung von Reparaturfähigkeit stellen einen essenziellen Beitrag zur Resilienz dar. Wichtig sind unter anderem die Schaffung eines ermöglichenden Rechtsrahmens und die Bildung von Industrieallianzen. Dies würde es erlauben, Rohstoffe im europäischen Wirtschaftsraum zu behalten sowie die Gesamtenergie- und Klimabilanz weiter zu verbessern. 

Die globale Photovoltaikindustrie hat in den letzten beiden Jahrzehnten, ursprünglich angefacht durch das deutsche EEG, einen Entwicklungs- und Konzentrationsprozess durchlaufen, bei dem es China durch konsequente produktionsseitige Förderung und Hochskalierung gelungen ist, den Photovoltaiksektor zu monopolisieren. Die deutsche und europäische Solarindustrie hat nur noch äußerst geringe Kapazitäten.

Die sinkenden Kosten der PV-Module sind zwar ein wichtiger Beschleuniger für die globale Energiewende und deren Kostendegression. Aufgrund der hohen Gefahr politischer Instrumentalisierung und der großen Bedeutung von Technologiekompetenz auf diesem Gebiet sollte aber dennoch das strategische Ziel einer solaren Wertschöpfungskette in Europa aufrechterhalten werden.  Angesichts der chinesischen Marktdominanz und protektionistischer Markteingriffe unter anderem in den USA und Indien sind eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten von Förderungen und deren klare, zweckgebundene Zieldefinition wichtig. Hier ist rasches Handeln angezeigt, um die noch verbleibende europäische Solarbranche sowie die technologische Spitzenkompetenz nicht vollständig zu verlieren.

Aktuell gibt es in der EU und ihren Mitgliedstaaten nicht ausreichend wirksame industriepolitische Maßnahmen oder etwa finanzielle Anreize, um die Produktionskapazität innerhalb der EU wieder aufzubauen und wettbewerbsfähig zu machen. Deshalb gibt es momentan wenig realistische Alternativen, als weiterhin zu einem überwiegenden Teil auf Photovoltaik-Module von chinesischen Anbietern zurückgreifen zu müssen. Wenn die Resilienzanforderungen aus dem NZIA als Präqualifikationskriterien umgesetzt werden, gibt es ein bedeutendes Risiko, dass die Ausschreibungen im PV-Bereich kurz- und mittelfristig nicht ausreichend Bieterinteresse hervorrufen werden. Die NZIA-Resilienzanforderungen setzen eine diversifiziertere Lieferkette voraus. Diese Voraussetzung ist in der derzeitigen Marktsituation jedoch nicht erfüllt.

Im Bereich der Onshore- und Offshore-Windenergie existieren umfangreiche europäische Produktionskapazitäten, die derzeit zum Teil substanziell ausgebaut werden. Die existierenden und sich im Aufbau befindlichen europäischen Kapazitäten für die Produktion von Hauptkomponenten, dazu zählen etwa Rotorblätter, Gondel oder Turm, werden den erwarteten europäischen Windenergieausbau bis ca. Anfang der 2030er Jahre vollständig abdecken können. Danach wird eine signifikante Lücke zwischen europäischem Angebot und wesentlich höherer europäischer Nachfrage erwartet. 

Aufgrund der hohen Wettbewerbsfähigkeit staatlich subventionierter chinesischer Hersteller, die enorme Überkapazitäten aufgebaut haben und relevante Kostenvorteile anbieten können, sowie der mittel- und langfristig sehr hohen Nachfrage nach Windenergieanlagen in Europa ist die wachsende Marktmacht Chinas im Bereich Windenergie in Europa ohne weitere Maßnahmen kaum zu verhindern. Für den Erhalt und den Ausbau der europäischen Herstellungskapazitäten sind kontinuierliche, planbare Ausbaupfade über einen mittelfristigen Zeitraum von mindestens fünf bis sieben Jahren unerlässlich. Zudem muss der Aufbau von Lieferketten für kritische Rohstoffe und Produktionslinien durch adäquate Anreiz- und Investitionssicherungsinstrumente staatlich unterstützt und zugleich expliziter Teil der Unternehmensstrategien einkaufender Unternehmen werden.

Im Bereich der Windenergie gibt es derzeit insbesondere eine ausgeprägte Abhängigkeit im Bereich der Permanentmagnete und der dafür notwendigen Seltenen Erden. Viele moderne Windturbinen, insbesondere solche mit Direktantrieb, verwenden Permanentmagnete, die seltene Erden wie Neodym und Dysprosium enthalten. China spielt eine dominierende Rolle in der Produktion und Verarbeitung Seltener Erden. Laut Daten der Weltbank bezieht die EU über 90 Prozent der Permanentmagnete aus China. Diese Konzentration birgt Risiken für die Preisstabilität und Versorgungssicherheit. 

Zudem können in den nächsten fünf bis zehn Jahren Abhängigkeiten bei weiteren Windkraftkomponenten entstehen:

  • Stahl: Bei Windenergieanlagen in Deutschland dominieren Hybridtürme und Stahlrohrtürme, für welche Stahlprodukte benötigt werden. Europa verfügt zwar über eine starke Stahlindustrie, jedoch ist hochqualitativer Stahl für Windanlagen teils knapp und teuer. Hier gibt es eine Notwendigkeit, Strategien zur Diversifizierung der Bezugsquellen und zur weiteren Stärkung der eigenen Stahl- und Turmproduktion zu entwickeln, Allianzen zu bilden, um Stahlverfügbarkeit sicherzustellen, und zugleich auf die Innovationskraft der heimischen Industrie hinsichtlich neuer Werkstoffe zu setzen.
     
  • Rotorblätter: Für den Bau von Rotorblättern werden verschiedene Materialien benötigt, darunter insbesondere Epoxid- oder Polyesterharze sowie Glasfasern (GFK) oder Kohlenstofffasern (CFK). Typische Herkunftsländer für Epoxid- oder Polyesterharze sind China, Indien und die USA. Ein großer Anteil der Kohlenstofffasern wird aus Japan, Südkorea und den USA importiert. Auch hier ist eine vorausschauende Diversifizierung und proaktives Risikomanagement mit Blick auf Lieferbeziehungen durch die Unternehmen erforderlich.

Neben Kapital und Fachkräften braucht es zum Erhalt und Ausbau der Stromnetzinfrastruktur große Mengen an Material: Allein im Verteilnetz entspricht der geplante Zubau zwischen 50 und 80 Prozent der aktuell verbauten Betriebsmittel. Bereits heute machen die Netzbetreiber auf bestehende und sich verschärfende Lieferengpässe aufmerksam. Die Hersteller sind weltweit tätig und mit einer stark gestiegenen Nachfrage konfrontiert.

Die Produktionskapazitäten in Europa müssen ausgebaut werden, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Bei den Investitionsentscheidungen der Hersteller spielt Planungssicherheit eine herausragende Rolle. Die Investitionen erfolgen nur in einem verlässlichen regulatorisch-politischen Rahmen und im Vertrauen auf grundlegende Weichenstellungen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Neben dem Ausbau und Erhalt von Fertigungskapazitäten in Europa trägt auch die Sicherung der notwendigen Lieferketten zur Resilienz bei. Neben der Förderung von Herstellungskapazitäten in Europa sind auch Anreize für eine stärkere Bedienung des europäischen Marktes durch die Hersteller wichtig.

Neben der Windindustrie ist die Produktion vieler anderer sauberer Technologien – darunter Batterien, PV-Module, Brennstoffzellen und Elektrolyseure – von mineralischen Rohstoffen abhängig, die aufgrund ihrer hohen strategischen Bedeutung, seltenen Vorkommens sowie zum Teil extrem hoher Konzentration ihrer Gewinnung und Verarbeitung in einzelnen Ländern von der EU als kritisch eingestuft wurden. Dazu gehören, um nur einige Beispiele zu nennen, Lithium, Nickel, Kobalt, Iridium oder Seltene Erden. 

Andere wichtige mineralische Rohstoffe, wie etwa Kupfer, sind von der EU als potenziell kritisch eingestuft. Mit dem Wachstum des Cleantech-Sektors wird die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen perspektivisch weiter steigen, während der Diversifizierungsgrad der entsprechenden globalen Lieferketten mit Blick sowohl auf die Gewinnung als auch Verarbeitung aktuell stagniert bzw. laut einigen Analysen sogar abnimmt.

Für Seltene Erden liegen derzeit 91 Prozent der globalen Weiterverarbeitungskapazitäten in China, für Graphit beträgt dieser Anteil 95 Prozent, für Kobalt 78 Prozent und für Lithium 70 Prozent. Gleichzeitig steigt die Zahl der weltweiten Exportbeschränkungen für kritische Rohstoffe. Beispiele sind chinesische Exportrestriktionen für Gallium, Germanium und Antimon im Dezember 2024 und weitere Beschränkungen im ersten Halbjahr 2025 für unter anderem Seltene Erden und Kobalt. Dies schafft eine Marktsituation, die von hohen Risiken von Angebotsschocks und Lieferkettenunterbrechungen geprägt ist, was mit Risiken für Preisstabilität, Wettbewerbsfähigkeit von Industrien, Versorgungssicherheit mit sauberen Technologien und damit für den Erfolg und die Geschwindigkeit der Energiewende einhergeht.

Um diese Situation zu adressieren, ist ein Dreiklang aus dem Ausbau der europäischen Förder- und Weiterverarbeitungskapazitäten, der Diversifizierung von Lieferketten, einschließlich Erweiterung von internationalen Rohstoffkooperationen auf Augenhöhe, sowie der Stärkung des Recyclings erforderlich. Wichtig ist zudem das Vorantreiben von Forschung und Entwicklung zu alternativen Produktionsmethoden von sauberen Technologien, die weniger auf kritische Rohstoffe angewiesen sind.

Mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) hat die EU begonnen, diese Aufgabenfelder zu adressieren. Positiv ist die kürzlich erfolgte Identifizierung von 47 strategischen Projekten unter dem CRMA sowie die Ankündigung im Clean Industrial Deal, ein EU-Zentrum für kritische Rohstoffe für gemeinsame Käufe und die Verwaltung strategischer Vorräte einzurichten. Begrüßenswert ist das Vorhaben der EU-Kommission (EU-KOM), mit der EU Stockpiling Strategy die europäische Kooperation bei der strategischen Bevorratung zu stärken. Wichtig sind auch finanzielle Unterstützungsmechanismen. Der nationale Rohstofffonds muss mit weiteren Mitteln ausgestattet werden. Im Bereich der Kreislauffähigkeit und des Recyclings von kritischen Rohstoffen gilt es, schnell konkrete Fortschritte zu erzielen: Aktuell befinden sich laut Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) rund zwei Drittel der globalen Batterierecycling-Kapazitäten in China.

 

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