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Bürgerenergie:

Geteilte Stromrechnung

Eine Nachbarschaft, die für sauberen Strom zusammenlegt – das klingt klein, könnte der Energiewende aber auf die Sprünge helfen. 

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© Robert Albrecht/BDEW

Wenn Frederik Penski auf sein Smartphone blickt, dann kann er genau sehen, wie es um das Kraftwerk steht, das er betreut. Er kann ablesen, wieviel Strom gerade produziert und ins Netz eingespeist wird – und ob gerade ein Überschuss erzeugt wird oder ob wegen eines Defizits anderswo Elektrizität zugekauft werden muss. Die Daten werden viertelstündlich aktualisiert. 
Allerdings ist es keine große Einheit mit Turbinen, Schornsteinen oder Solarzellen, für die der Mitarbeiter der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) die Verantwortung trägt. Das „Virtuelle Bürgerkraftwerk“ besteht aus dem, was seine 25 Mitglieder beitragen. 

Erfolgsfaktor der Energiewende 

Die Elektrizitätswerke der Schwarzwald-Gemeinde haben das Projekt im Jahr 2017 ins Leben gerufen. Sie fanden 25 Personen oder Institutionen in der Gegend, die entweder schon eigenen Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugten oder die Gelegenheit nutzten, um entsprechende Anlagen aufzubauen – und spannten diese zu einem Verbund zusammen. Digitale Messtechnik wurde installiert, so dass seitdem jedes Mitglied sehen kann, wie es um seine Strombilanz und die des gesamten Verbunds bestellt ist.

Das Bürgerkraftwerk ist damit ein Reallabor für das, was viele für einen wichtigen Baustein der Energiewende halten: Energy Sharing. Der Begriff beschreibt, dass Bürger sich zusammenschließen, um Elektrizität aus regenerativen Quellen zu produzieren und auch ihren eigenen Strombedarf oder Teile davon aus der Eigenproduktion zu decken. Das kann entweder – wie in Schönau – so organisiert sein, dass Mitglieder jeweils eigene Anlagen errichten lassen und zu einem Verbund koppeln. Oder so, dass sie eine Einlage leisten und im Gegenzug von günstigerem Strom aus der Produktion der Gemeinschaft profitieren.

„Das kann in Form einer Genossenschaft geschehen, eines Vereins oder einer GmbH & Co. KG“, beschreibt Viola Theesfeld vom Bündnis Bürgerenergie (BBEn) den Rahmen. Das Bündnis hat 2021 – also noch vor Beginn des Krieges in der Ukraine - eine Modellrechnung erstellt, nach der ein Haushalt mit 3.000 Kilowattstunden Verbrauch im Jahr auf diese Weise immerhin 117 Euro sparen könnte. Der Betrag errechnet sich aus Einsparungen bei Steuern, Umlagen, Netzentgelten und weiteren mit dem Stromtransport verbundenen Abgaben. 

Fast alle in Deutschland könnten dabei sein

Auf diese Weise ließe sich eine Menge privates Kapital für den Ausbau der Kapazitäten für die Erzeugung erneuerbarer Energie mobilisieren – das käme der ganzen Gesellschaft zugute. In einer Studie hat das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) errechnet, dass fast alle volljährigen Menschen in Deutschland Mitglied einer solchen Gemeinschaft werden könnten – denn in ihrer Nähe leben genug weitere Menschen und es wäre Platz da für neue Wind- oder Photovoltaikanlagen. Würde jedes dieser Mitglieder 100 Euro Einlage leisten, kämen rund 6,5 Milliarden Euro zusammen. Und damit wiederum ließen sich gut 40 Prozent der Ausbauziele finanzieren, die sich die Bundesregierung für das Jahr 2030 gesetzt hat. 

Außerdem, so hoffen die Befürworter, könnte so mehr Akzeptanz zum Beispiel für neue Windräder  entstehen. Und mithilfe von Energy Sharing würden sich Anreizsysteme schaffen lassen, die einiges an Infrastruktur überflüssig machen würden: Strom aus der eigenen Gemeinschaft könnte für die Mitglieder preiswerter sein als solcher, der von außerhalb zugekauft werden muss. So würde belohnt, wer sein E-Auto lädt oder die Waschmaschine laufen lässt, wenn gerade selbst produzierte Energie im Überfluss verfügbar ist. Das würde Stromspeicher sparen. Und durch die dezentrale Stromproduktion wäre weniger Leitungskapazität nötig. „Der Netzausbau ist ein Flaschenhals bei der Energiewende“, beschreibt Theesfeld. „Lokal verbrauchen hilft da.“

Bedingung: „Wir brauchen ein neues Strompreis-Design“

Allerdings hat die Sache aus heutiger Sicht noch einen Haken: Es fehlt der rechtliche Rahmen. Denn für „Energy Sharing“ nach Lesart von EWS, BBEn und IÖW müsste der von den Initiativen erzeugte Strom über das öffentliche Stromnetz von den lokalen Erzeugern zu den Mitgliedern transportiert werden, die gerade Bedarf haben. 

Wer dort seinen Strom einspeist, hat nach heutigen Gesetzen allerdings keine Möglichkeit, Gemeinschaftsmitglieder für den Bezug von selbst erzeugtem Strom zu belohnen. So generiert das virtuelle Bürgerkraftwerk in Schönau seine Einnahmen derzeit dadurch, dass es den von den Mitgliedern erzeugten Strom buchhalterisch schlicht nach draußen verkauft. Das geschieht nach den Regeln des Erneuerbare-Energien-Gesetzes oder im Rahmen der „sonstigen Direktvermarktung“. Ein gruppeninternes Abrechnungssystem, in dem das Geben und Nehmen gegeneinander aufgerechnet wird, lässt sich so nicht wirtschaftlich sinnvoll etablieren. „Wir hatten zeitweise trotzdem einen variablen Stromtarif“, beschreibt EWS-Mann Penski. „Aber wir hängen am klassischen Netz- und Umlagesystem. Wir haben draufgezahlt.“

Dabei ist klar, dass die Mitglieder der Zusammenschlüsse für Energy Sharing und sinnvolles Nutzerverhalten belohnt werden müssen, wenn das Konzept ein Erfolg werden soll. „Wir brauchen ein neues Strompreis-Design“, so Viola Theesfeld. „Prämien, Umlagen und Netzentgelte müssen neu organisiert werden.“ Dann könnte der Verbrauch von Energy-Sharing-Strom aus Produktion der Gemeinschaft zum Beispiel, wie in anderen europäischen Ländern, durch Ermäßigungen bei Steuern oder Netzentgelten belohnt werden, so dass die Kilowattstunde günstiger würde. Auch eine direkte Förderung wäre denkbar.

Die EU hat schon 2018 sogenannten „Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften“ das Recht zugebilligt, selbst produzierte Erneuerbare Energie gemeinsam zu nutzen. Ungerechtfertigte rechtliche und verwaltungstechnische Hindernisse seien zu beseitigen. Schon bis 2021 sollte das in nationales Recht umgesetzt werden. Im Koalitionsvertrag der aktuellen deutschen Regierung heißt es auf Seite 45 zum Thema: „Im Rahmen des europarechtlich Möglichen werden wir die Rahmenbedingungen für die Bürger-Energie verbessern (Energy Sharing, Prüfung eines Fonds, der die Risiken absichert) und insgesamt die De-minimis-Regelungen als Beitrag zum Bürokratieabbau ausschöpfen.“

Das Problem von EU-Verordnung und Koalitionsvertrag ist allerdings, dass sie ziemlich allgemein gehalten sind. Vor allem regeln sie die Rahmenbedingungen der Abrechnung nicht – und die behindern eben hierzulande die Schaffung von attraktiven Shared-Energy-Konzepten. 

Hoffnung trotz Grenzen

So teilte das Bundeswirtschaftsministerium zum Thema mit: „Das EU-Recht sieht insofern keine Privilegierung von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften vor, sondern dass diese ,hinsichtlich ihrer Tätigkeiten, Rechte und Pflichten als Endkunden, Produzenten, Versorger, Verteilernetzbetreiber oder als sonstige Marktteilnehmer diskriminierungsfrei behandelt werden‘. Dies ist in Deutschland bereits heute der Fall.“ Die Möglichkeiten, Energy-Sharing-Gemeinschaften als Stromlieferanten zu bevorzugen, seien beschränkt – vor allem durch die von der EU auferlegten Regeln zum Verbraucherschutz.



Ist Energy Sharing damit eine Totgeburt? Besonders ermutigend klingt die Reaktion des Ministeriums  nicht. Trotzdem hat Dr. Astrid Aretz, die das IÖW-Papier mitverfasst hat, Hoffnung: „Es gab viel Resonanz aus der Politik auf die Studie. Und ich weiß, dass die EU Druck ausübt. Man muss die offenen Fragen jetzt diskutieren.“ Und Frederik Penski von Virtuellen Bürgerkraftwerk in Schönau kommentiert: „Es ist wichtig, dass wir bei dem Thema vorankommen. Dies ist für den dezentralen Ausbau der Erneuerbaren Energien ein Super-Modell. Auch, um die Bürger weiter zu ermächtigen, so dass diese noch aktiver am Energieversorgungssystem mitwirken.“

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