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Serie zur Wärmewende, Teil 2:

Flexible Erneuerbare für die Fernwärme

Umbruch auf dem Wärmemarkt: Wie kommen Erneuerbare in Fernwärmenetze – und was hat eine sieben Meter tiefe Grube damit zu tun?

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© Robert Albrecht/BDEW

Der Anteil der fossilen Energien am deutschen Wärmemarkt muss sinken. In unserer dreiteiligen Serie stellen wir im Rahmen einer kleinen Deutschlandreise Innovationen im Bereich klimaschonende Wärmeversorgung vor. Hier Teil 2: über Fernwärme, eine gigantische „Thermoskanne“ – und eine sieben Meter tiefe Grube mit großem Potenzial. 

45 Meter hoch, 43 Meter Durchmesser: Wer sich Berlin aus dem Nordwesten nähert, sieht den größten Wärmespeicher Deutschlands schon von weitem. Am Standort Reuter West soll er im April 2023 in den kommerziellen Betrieb gehen und wie eine überdimensionierte Thermoskanne mit 56 Millionen Litern Fassungsvermögen Wärme für die Stadt bereithalten. Warum das Ganze? Die Fernwärmeversorgung für die Metropole wird so zunehmend flexibler – und das auf Grundlage Erneuerbarer Energien. Schließlich steht am selben Standort seit 2019 die europaweit größte Power-to-Heat-Anlage, oft als „riesiger Tauchsieder“ beschrieben. Selbst an kalten Wintertagen kann sie mehr als 36.000 Haushalte mit erneuerbarer Wärme versorgen. 

Klares Ziel: die Wärmenetze dekarbonisieren 

Jeder Hebel zählt, um die Klimaschutzziele und damit die vollständige Treibhausgasneutralität bis 2045 auch im Wärmemarkt zu erreichen. Immerhin wird mehr als jede zweite Kilowattstunde Energie in Deutschland für Raum- und Prozesswärme oder Warmwasser aufgewendet, fast 40 Prozent aller CO2-Emissionen entstehen im Wärmesektor. Während der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch im ersten Halbjahr 2022 bei 49 Prozent lag, betrug ihr Anteil am Endenergieverbrauch für Wärme und Kälte 2021 nur 16,5 Prozent, auch bei der Fernwärme ist der Anteil nicht wesentlich höher. Nicht erst angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine wird deutlich, dass hier etwas passieren muss. Was tut sich also in der Praxis? 

Bei Vattenfall am Standort Berlin ist die Route klar: „Der Weg zur Klimaneutralität im Wärmebereich führt vor allem auch über die Dekarbonisierung zentraler Stadtwärmenetze“, sagt Christian Feuerherd, CEO der Vattenfall Wärme Berlin. Die Investitionskosten für das Speicherprojekt liegen bei rund 50 Millionen Euro. Um in allen Heizkraftwerken der Stadt bis 2030 ganz auf Kohle zu verzichten, plant der Konzern sogar mehr als 1,5 Milliarden Euro ein. Dabei ist der Kohleausstieg nur ein Zwischenschritt: Bis 2040 soll die Fernwärmeversorgung in Berlin komplett klimaneutral werden.


©Vattenfall


Neben Power-to-Heat und der Wärmespeicherung spielt im künftigen Wärmemix die Abwärme aus der thermischen Abfallverwertung eine Rolle, außerdem Biomasse von sogenannten Kurzumtriebsplantagen im Umland, auf denen schnell nachwachsendes Holz als kostengünstiger und CO2-neutraler Brennstoff angebaut wird. Wichtig ist zudem ein weiteres Investitionsprojekt, ebenfalls am Standort Reuter West: In rund drei Jahren soll dort in unmittelbarer Nähe eines Klärwerks die größte Abwasserwärmepumpe Deutschlands mit 75 Megawatt Leistung in Betrieb gehen. Damit wird eine weitere klimafreundliche Wärmequelle für die städtische Fernwärme erschlossen.

Erdbeckenspeicher: neue Dimensionen

Doch müssen Speicher nicht immer überirdisch sein, wie ein Blick ins holsteinische Meldorf rund 430 Kilometer weiter nordwestlich zeigt: Hier entsteht mit Förderung des Projektträgers Jülich Deutschlands erster Erdbeckenspeicher, der mit rund 45 Millionen Liter Wasser ein ähnliches Volumen haben wird wie die Berliner „Thermoskanne“. Die 75 Meter lange und sieben Meter tiefe Grube ist mit einer Spezialfolie ausgekleidet und mit einer High-Tech-Kunststoffdecke versiegelt. Gerade diese „Abdeckung“ gilt als eine der Herausforderungen beim Bau, schließlich soll sie nicht verrutschen und selbst Starkregen abhalten. Mit der Abwärme einer Großdruckerei und durch ein Biogas-Blockheizkraftwerk wird das Wasser darunter auf 70 Grad aufgeheizt.


©Firma Hansen


Die Stadt investiert zusätzlich in ein Fernwärmenetz, kann darüber unter anderem Schulen, Sporthallen, ein Hallenbad sowie Haushalte klimafreundlich versorgen. In einer Ausbaustufe soll nebenan eine Solarthermieanlage entstehen, so Ole Nienaber, verantwortlicher Ingenieur des Projektpartners Ramboll. Auch Wärmepumpen, Biogasanlagen oder Power-to-Heat seien Optionen. Damit ist eine Vielzahl bekannter und bewährter regenerativer Technologien anschlussfähig – und zunehmend flexibel nutzbar. 

Für Erdbeckenspeicher sieht Ole Nienaber daher auch anderswo Potenzial: „Im Grunde ist ganz Deutschland voller Meldorfs. Damit meine ich kleine und mittlere Städte und Kommunen in mehr oder minder ländlichen Räumen. Und bei mindestens 80 Prozent davon lohnt es, sich Gedanken über eine kommunale Wärmeplanung zu machen.“ Seit kurzem wird diese kommunale Wärmeplanung unter verbesserten Konditionen bezuschusst. Dann könnten auch anderswo Erdbeckenspeicher ausgehoben werden: Zwar ist der Platzbedarf groß und die Investitionskosten sind hoch – Meldorf etwa hat einen Finanzierungsplan über 5,7 Millionen Euro aufgestellt; mehr als die Hälfte davon wird über Fördergelder bestritten.



Bei steigenden Preisen für fossile Brennstoffe wird die Wärmeenergie aus Erdbeckenspeichern mittelfristig aber günstiger werden. Und die Erdbeckenspeicher sind durchaus praxiserprobt: In Dänemark, wo es bereits seit den 1970er Jahren ein Gesetz für die kommunale Wärmeplanung gibt, konnten sie sich in den letzten Jahrzehnten als Baustein der Fernwärmeversorgung etablieren. Schließlich lassen sich darüber Wärmepotenziale erschließen, die sonst verpuffen – wie eben die industrielle Abwärme aus der Druckerei in Meldorf. Und regenerative Energien werden so saisonal speicherbar und selbst in dicht besiedelten Gebieten flexibel nutzbar, hier vor allem die Solarthermie.

Die größte Solarthermieanlage Deutschlands

In Zukunft werden daher wohl noch mehr Menschen die Fortschritte beim Erdbeckenspeicher im hohen Norden im Blick behalten: Laut Bundesverband Solarwirtschaft e.V. erwarte die Branche „einen verstärkten Auftragseingang für die Errichtung solarer Heizkraftwerke im Megawattmaßstab zur Einspeisung in Nah- und Fernwärmenetze“.


©Bildmaterial Stadtwerke Greifswald 2022


Das bisher größte davon in Greifswald, rund vier Autostunden östlich von Meldorf, ging im September 2022 in den Dauerbetrieb. Von Ostern bis Oktober soll die Anlage für eine 100 Prozent CO2-neutrale Fernwärmeversorgung in der Hansestadt sorgen. Auch hier setzt die Wärmewende schon von Weitem ein deutliches Zeichen: Die dafür installierten 19.000 Quadratmeter dunkler Kollektorfläche heben sich vor dem Heizkraftwerk Helmshäger Berg gut sichtbar von der Umgebung ab, nur wenige Kilometer vom Standort entfernt, wo früher russisches Erdgas durch die Ostseepipelines ins Land strömte.

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