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Energiewende:

„Ist der Kapitalismus noch zu retten?“

Staatliche Eingriffe oder freies Spiel der Marktkräfte? Kerstin Andreae im Gespräch mit Ulrike Herrmann, Lion Hirth und Klaus Müller.

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© Robert Albrecht/BDEW

Das Verhältnis zwischen Markt und Staat scheint sich in den letzten Jahren verändert zu haben, alte Gewissheiten sind ins Wanken geraten. Wenn Sie an Ihre Jugend zurückdenken: Was hätten Sie da eigentlich für ein Wirtschaftsmodell präferiert - und warum? 
KERSTIN ANDREAE
: Als Tochter eines Vaters, der beruflich selbständig war, bin ich immer von der Idee der sozialen Marktwirtschaft überzeugt gewesen – allerdings hat mir dabei ein Stück weit die ökologische „harte Kante“ gefehlt. Daher hätte ich mir seinerzeit prinzipiell eine soziale Marktwirtschaft gewünscht, die jedoch ordnungspolitisch deutlich von ökologisch orientierten Vorgaben eingerahmt wird. 

ULRIKE HERRMANN: Mich hat 1982 das Waldsterben politisiert. Es war für mich ein großer Schock, dass ein so bedeutendes und so großes Ökosystem wie der Wald existenziell gefährdet war. Zwar hat man das damals durch die Entschwefelungsanlagen bei den Kraftwerken, die größte Umweltmaßnahme der Bundesrepublik, in den Griff bekommen. Aber eigentlich war ich schon damals davon überzeugt, dass es auf Dauer nicht gutgeht, wenn wir immer weiter wachsen und die Grenzen des Planeten überschreiten. Das bestätigt sich ja leider jetzt durch die Klimakrise, die wir erleben.

LION HIRTH: Tatsächlich habe auch ich mir damals mehr Gedanken gemacht über die Umwelt als über die konkrete Frage, wie ein ideales Wirtschaftssystem aussieht. Trotzdem haben mich zwei Themen immer begleitet und bis heute geprägt. Erstens: Regeln, Gesetze und Steuermodelle müssen verständlich sein – was leider bis heute nicht der Fall ist. Zweitens: Anstrengung und Arbeit müssen sich lohnen. Gleichmacherei habe ich immer als ungerecht empfunden. 

KLAUS MÜLLER: Mich haben schon als Jugendlicher und junger Erwachsener Verbote nie besonders motiviert, das zu tun, was Eltern, Lehrer oder andere Verbotsfreunde von mir wollten. Anreize fand ich dagegen immer cool. Das hat mich letztendlich in ein Studium der Volkswirtschaftslehre getrieben. Und in der Tat kamen auch an meinem Kieler Lehrstuhl ökologische Themen nur marginal vor. Ökologische Bepreisung galt damals noch als ein Wunderding. 

Herr Müller, Sie haben im Interview mit dem Bonner Generalanzeiger gesagt, dass die Zeit der billigen Energie vorbei ist. Das kann Sie ja als vormaligen Verbraucherschützer nicht völlig kalt lassen. Welche staatlichen Instrumente halten Sie für sinnvoll, um Preise auch künftig für die Verbraucher und Verbraucherinnen bezahlbar zu halten?
KLAUS MÜLLER
: An erster Stelle steht für mich ein möglichst effizientes und klimaneutrales Angebot von Energie. Je schneller es uns gelingt, möglichst viel Strom aus Sonne, Wind und Biomasse zu erzeugen und im Netz verfügbar zu machen, desto weniger müssen wir über zu hohe Energiepreise reden. Andererseits sind Preise ja auch ein ganz ehrliches Knappheitssignal. Es ist nie verkehrt, sparsam mit knappen Gütern umzugehen. Das ist aber natürlich momentan in der öffentlichen Kommunikation nicht leicht zu vermitteln. Weil es eben einen Unterschied zwischen angemessenen und zu hohen Preisen gibt. Da gibt es eine Schmerzgrenze. Aber meine Antwort auf Ihre Frage ist: Lassen Sie uns die Energiewende voranbringen, dann wird die Diskussion sicherlich entspannter. 

Herr Hirth, Sie schrieben kürzlich auf Twitter, dass aus ökonomischer Sicht ein Kapitalismus ohne CO2-Preis keinen Sinn ergibt. Warum?
LION HIRTH
: Herr Müller hat es gerade gewissermaßen schon gesagt: Preise sind wunderbare Knappheitssignale. Sie geben Auskunft, mit welcher Anstrengung und mit welchen Ressourcen Güter und Dienstleistungen produziert wurden. Solche Preise ergeben natürlich nur dann einen Sinn, wenn sie auch die wahren Kosten berücksichtigen. Und zu den wahren Kosten gehören eben auch die Kosten des Klimawandels, also die Schäden an heutigen und zukünftigen Generationen, die das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl verursacht. Wenn diese Schäden nicht in den Preisen erhalten sind, dann sind diese Preise eben Fantasiepreise, die nicht die Wirklichkeit widerspiegeln. Nur mit einem CO2-Preis bilden sie die Realität ab.

Frau Herrmann, Sie vertreten die These, dass Preisdiskussionen uns nicht helfen – Sie haben den Begriff des grünen Schrumpfens geprägt. Was meinen Sie damit?
ULRIKE HERRMANN
: Bevor ich aufs Schrumpfen komme, muss man zunächst einmal feststellen, dass im Kapitalismus ein Wachstumszwang verankert ist. Es gibt natürlich zwischendurch Krisen, ob die Coronakrise, Ukrainekrise oder die Finanzkrise. Aber diese Krisen lassen sich nur überwinden, wenn es wieder Aussicht auf Wachstum gibt. Daher wird jetzt grünes Wachstum propagiert - und das soll unter anderem durch einen CO2-Preis stimuliert werden.

Ulrike Herrmann

ist eine deutsche Journalistin und Publizistin. Seit dem Jahr 2000 arbeitet sie als Redakteurin bei der taz, dort ist sie seit 2006 Wirtschaftskorrespondentin. Sie hat mehrere Bücher publiziert, zuletzt „Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden.“

Aus meiner Sicht ist es jedoch eine Illusion, dass es grünes Wachstum geben könnte. Denn die Ökoenergie wird nicht reichen. Problem 1: Wir sind erst am Anfang der Energiewende. Momentan deckt die Windkraft nur 5,3 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs ab, die Solarpaneele tragen sogar nur 2,8 Prozent bei. Wir müssen also noch sehr viele Windräder und Solarpaneele installieren. Problem 2: Wir müssen sehr viel Energie zwischenspeichern, um für Dunkelheit und Flauten vorzusorgen. Das geht nur mit Batterien oder – perspektivisch – grünem Wasserstoff. Beide Technologien sind nicht billig. Problem 3: Importe von Öko-Energie wären ebenfalls sehr teuer. Wenn man also feststellt, dass Ökoenergie knapp und teuer bleiben wird, dann ist es aus meiner Sicht eine logische Schlussfolgerung, dass es um „grünes Schrumpfen“ geht.

KERSTIN ANDREAE: Gehen wir doch nochmal zur Eingangsfrage nach dem Wirtschaftsmodell zurück. Wir wissen, dass ein komplett freier Markt auf dem sozialen und ökologischen Auge blind ist. Deswegen hat man mit der Einführung der „sozialen Marktwirtschaft“ soziale Leitplanken eingeschlagen. Selbiges geschieht – wenn auch oft zaghaft – auch mit ökologischen Leitplanken und Regeln. So ist mit dem Einführen eines CO2-Preises eine Lenkungswirkung beabsichtigt. Das ist erst mal ein sinnvolles Prinzip. Und der zweite Punkt ist: Wenn wir uns fragen, wie Energie günstiger gemacht werden kann, ist klar, dass wir natürlich den Ausbau der Erneuerbaren voranbringen müssen. Je mehr und je öfter die Erneuerbaren komplett die Versorgung gewährleisten, umso mehr werden die Energiepreise sinken.

Kerstin Andreae

ist seit November 2019 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW. Zuvor war sie wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Initiatorin sowie Koordinatorin des Wirtschaftsbeirates der Fraktion.

Wir wissen aber auch, und da hat Frau Herrmann aus meiner Sicht einen Punkt, dass wir natürlich sehr viel Geld an allen möglichen Stellen investieren müssen: in gesicherte Leistungen, Speicher, Netze und Infrastrukturen. Sicherlich müssen wir uns darauf einstellen, dass Energie ein Gut ist, mit dem wir effizient umgehen müssen. Damit wäre aus meiner Sicht aber nicht zwingend eine Wachstumskritik verbunden.

Schrumpfen ist ja auch grundsätzlich in der Bevölkerung schwerer vermittelbar als Wachstum. 
ULRIKE HERRMANN
: Absolut. Die These eines grünen Schrumpfens ist gewiss nicht mehrheitsfähig. Die allermeisten Wähler möchten gerne an ein grünes Wachstum glauben. Nur dummerweise ist es ja nicht so, dass grünes Wachstum dadurch wahrscheinlicher wird, dass alle es haben wollen. Allerdings darf man sich „grünes Schrumpfen“ nicht einfach vorstellen. Denn im heutigen Kapitalismus gibt es mindestens drei Wachstumszwänge, die ich mal kurz anführen will.

Das erste ist: Wachstum gibt es nur, wenn man Kredite aufnimmt und gleichzeitig kann man diese Kredite nur zurückzahlen, wenn es auch das erhoffte Wachstum der Volkswirtschaft gibt. Zweitens: Unternehmen investieren im großen Stil nur, wenn sie zusätzliche Gewinne erwarten. Gewinne auf der volkswirtschaftlichen Ebene sind aber das gleiche wie Wachstum. Ohne Wachstum keine flächendeckenden Gewinne bei den Unternehmen. In Folge gehen die Investitionen zurück, es folgt eine Wirtschaftskrise.

Drittens: Auch Vollbeschäftigung ist nur bei Wachstum möglich. Da aber die Unternehmen immer mehr in Effizienz investieren, bedeutet das, dass man die gleiche Menge von Gütern mit immer weniger Leuten herstellen kann. Damit keine Arbeitslosigkeit entsteht, braucht es Wachstum, beispielsweise durch neue Branchen. Ich sehe nicht, wie das mit grüner Energie funktionieren soll. 

LION HIRTH: Diese Kernaussagen teile ich so nicht: Erstens braucht eine Marktwirtschaft kein Wachstum, zweitens braucht ein CO2-Preis keinen wachsenden Energieverbrauch und drittens wäre noch die Frage, was Wachstum eigentlich heißt. Aus meiner Sicht reden wir von einem Wachstum der Volkswirtschaften, zum Beispiel gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Und natürlich kann ein Bruttoinlandsprodukt weiter wachsen bei sinkendem Energieverbrauch - oder auch bei steigendem Energieverbrauch, der ausschließlich aus CO2-armen Quellen kommt.

Herr Müller, Bepreisungen haben Lenkungswirkung, ebenso auch Subventionen. Was halten Sie von Robert Habecks Vorstoß, einen subventionierten Strompreis Cent für die Industrie anzubieten? 
KLAUS MÜLLER:
Aufgabe einer Regulierungsbehörde ist es, dafür zu sorgen, dass klimagerechte Energie so kostengünstig und effizient wie irgend möglich bei Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch bei dem Mittelstand und der Industrie ankommt. Was Sie ansprechen, ist eine klassische, politische Frage, bei der wir als Regulierungsbehörde erst einmal abwarten wollen, wie sich die politische Diskussion entwickelt.

Klaus Müller

ist ehemaliger deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) und seit dem 1. März 2022 Präsident der Bundesnetzagentur. Von 2000 bis 2005 war er Umwelt- und Landwirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein, von 2014 – 2022 Vorstand und Repräsentant des Verbraucherzentrale Bundesverbandes.

Bekanntermaßen sind Fragen der Gleichbehandlung und Wettbewerbsgerechtigkeit komplex und schwierig zu beantworten. Gleichwohl kommen natürlich auch bei der Bundesnetzagentur regelmäßig die Hinweise an, wie schwer es für energieintensive Unternehmen aktuell ist, mit Nordamerika oder auch anderen Ländern in Europa im Wettbewerb zu stehen. Darum kann ich die Diskussion gut nachvollziehen. Unser Beitrag wird es sein, und daran arbeiten wir schon eine ganze Weile: Wir wollen alles dafür zu tun, dass wir bei der Ausschreibung, beim Bau von Windkrafträdern, bei der Entbürokratisierung von Solaranlagen vorankommen. Dass wir die gigantischen Redispatch-Kosten senken, indem der Netzausbau beschleunigt wird. Dass wir intelligente, digitale Netze bekommen, überregional ebenso wie bis in die Verteilnetze hinein.

LION HIRTH: Die Grundsatzfrage lautet doch: Wozu ist der Strommarkt da? Ich denke, er dient dazu, Kraftwerke, Speicher und Stromverbraucher sinnvoll zu betreiben. Und zu richtigen Investitionen zu führen – hinsichtlich Technologie, Menge, Standort und Zeitpunkt. Wir können nicht vom Strommarkt erwarten, dass er sozial- und industriepolitische Aufgaben übernimmt. Das wird er realistischerweise nicht leisten können.

Lion Hirth

ist Professor für Energiepolitik an der Hertie School in Berlin und Geschäftsführer der Beratungsfirma Neon. Er arbeitet mit am Strommarkt der Zukunft und twittert über Energiepolitik.

Er sollte vielmehr die Kosten und Knappheiten der Stromproduktion realistisch und wahrheitsgetreu widerspiegeln: also die Kosten für Arbeit, Kapital, Technologie und Umweltauswirkungen. Daher sehe ich erst mal ganz grundsätzlich die Idee von einem subventionierten Strompreis für bestimmte Verbraucher schon kritisch.

KERSTIN ANDREAE: Bei unseren Mitgliedsunternehmen wird das Thema Industriestrompreis sehr kontrovers diskutiert. Natürlich sehen wir als Energiebranche die Sorgen rund um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Problematiken unterschiedlicher Rahmenbedingungen in anderen Regionen. Eine davon betrifft die Kosten für die produktionsnotwendigen Energien. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass wir über das Thema Strompreis und Wettbewerbsfähigkeit reden.

Tatsächlich glaube ich aber, und da bin ich nahe bei Lion Hirth, dass ein solcher Industriestrompreis falsch ansetzt – jedenfalls dann, wenn er Preissignale beeinträchtigt. Denn zum einen brauchen wir auch Preissignale aus dem Markt heraus für Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare sowie für Transformationsprozesse bei der Industrie. Zum anderen beobachten wir, dass solche Markteingriffe negative Auswirkungen auf innovative andere Finanzierungsinstrumente wie Power Purchase Agreements  haben. Wir plädieren daher eher für nachmarktliche Instrumente: Investitionsförderung, Entlastungen bei Steuern und Abgaben oder eventuell eine Ausweitung der Strompreiskompensation.

LION HIRTH: Es geht ja auch nicht nur um das Ob, sondern auch um das Wie. In den letzten 100 Jahren hat die energieintensive Industrie sich dahingehend optimiert, ihre Anlagen möglichst hoch auszulasten, idealerweise 24/7. Diese Fahrweise ergibt in Zukunft immer weniger Sinn. Auch Industriebetriebe sollten sich ein Stück weit an der Verfügbarkeit von Wind und Sonne orientieren – einfach, weil sie dann vom günstigen Strom profitieren.

Wenn wir mit einem Industriestrompreis vorgaukeln, dass Anlagen das ganze Jahr durch gleichmäßig betrieben werden sollten, dann wird der Transformationsprozess dadurch verschleppt. Damit verringern wir langfristig die Chancen einer wettbewerbsfähigen deutschen Grundstoffindustrie.

Herr Hirth, die Wärmepumpe kommt. Richtige Entscheidung? Oder graben wir damit anderen wichtigen Technologien, beispielsweise Wasserstoff, das Wasser ab? 
LION HIRTH
: Ich bin aus tiefer Überzeugung heraus ein Freund von Technologieoffenheit, aber gleichzeitig müssen wir uns auch der physikalischen Realität stellen. Grünen Wasserstoff in einer Gastherme zu verbrennen, verbraucht etwa sechs Mal so viel Strom wie eine Wärmepumpe. Es mag Nischen geben in bestimmten Altbaukonstellationen und Gebäuden unter Denkmalschutz, aber in der großen Breite der Wohn- und Bürogebäuden teile ich die Einschätzung fast aller Experten, dass Wärmepumpen die sinnvollste Heiztechnologie sind.

KERSTIN ANDREAE: Es ist richtig, dass Wärmepumpen und Fernwärme im Zentrum der Wärmewende stehen. Wir brauchen aber künftig bezahlbare praxistaugliche Lösungen und dazu zählen zum Beispiel auch gasbasierte Hybrid-Systeme – betrieben beispielsweise mit erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen, wie Wasserstoff und Biogas. Zentral ist, dass keine Technologie von vornherein ausgeschlossen wird, die künftig klimaneutral Wärme in die Wohnungen bringen kann.

Carrier Global kauft die Wärmepumpensparte von Viessmann, Rheinmetall und Bosch haben angekündigt, massiv in das Thema einzusteigen. Ist das nicht ein Zeichen, dass Kapitalismus doch funktioniert, solange die richtigen Ziele verfolgt werden? 
ULRIKE HERRMANN
: Herr Hirth hat es bereits gesagt: Die Wärmepumpe ist tatsächlich sehr effizient. Und deswegen ist es auch sehr richtig, mit der Wärmepumpe anzufangen. Eigentlich hätte es dagegen gar keine politischen Widerstände geben dürfen, eben weil die Wärmepumpe so effizient ist.

Da ist in der Kommunikation seitens der Politik sehr viel schief gelaufen. Warum hat man den Menschen nicht viel klarer und auch viel früher erklärt, wie toll das Prinzip der Wärmepumpe eigentlich ist? Sie ist ein gutes Geschäft, was die Investoren natürlich auch erkennen. Leider ist die Wärmepumpe aber der einzige Fall, wo erneuerbare Energie deutlich effizienter ist als die fossile Variante.

Selbst das E-Auto ist volkswirtschaftlich ineffizient, weil Autos auf das Prinzip Verschwendung setzen: Es werden bis zu zwei Tonnen Material bewegt, um im Durchschnitt 1,3 Personen zu transportieren. Dafür wird die Ökoenergie einfach nicht ausreichen. Und es bringt ja nichts, ein E-Auto zu haben, wenn der Strom dann aus fossilen Quellen kommt.

Es ist, das hat Frau Herrmann gerade noch einmal verdeutlicht, offenbar nicht so einfach mit der Energiewende. Was sind denn jetzt aus Perspektive des BDEW und der Bundesnetzagentur die nächsten großen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt? 
KERSTIN ANDREAE
: Für uns als Energiebranche geht es vor allem darum, dass möglichst viele Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden. Das ist ein weites und komplexes Feld. Es beginnt mit Fragen der Finanzierung, geht weiter mit den Flächenverfügbarkeiten für die Erneuerbaren Energien und Hemmnissen bei Netzausbau und Infrastrukturen.

Nicht zuletzt geht es aber auch um Ressourcen. Materialien auf der einen Seite, aber eben auch „Human Ressources“, also die vielzitierten Fachkräfte, die an jeder Ecke fehlen. Wenn es gelingt, diese Hemmnisse aus dem Weg zu räumen, hege ich große Zuversicht in Bezug auf die Innovationskraft des Unternehmertums aus unseren Reihen, aber auch auf wirtschaftliche Kräfte aus dem Markt heraus.

KLAUS MÜLLER: Über einen Mangel an Komplexität kann sich auch die Bundesnetzagentur nicht beklagen. Es ist ja bekannt, dass die bisherige Zuordnung der Anreizregulierung mit dem Europarecht nicht vereinbar war. Das hat der Europäische Gerichtshof vor knapp anderthalb Jahren auch so festgehalten. Und die Bundesregierung ist ja gerade dabei, das neu zu regeln. Wie es ausschaut, werden eine ganze Reihe von Regulierungsentscheidungen – Preise, Kosten, Anreize - jetzt auf eine unabhängige Regulierungsbehörde, sprich: die Bundesnetzagentur, übergehen.

Und damit sind wir genau bei der Frage: Wie viel langfristige Planungssicherheit braucht man und wieviel kurzfristige Flexibilität will man haben, um auf ökonomische Marktentwicklungen zu reagieren? Wie viele finanzielle Anreize für Investitionen möchte man, in einem inflationären Umfeld aber um vielleicht auch unnötige Kosten einzusparen?

Damit nicht genug: Wir werden auch noch mal eine Diskussion zwischen Molekülen und Elektronen haben, die auch nicht immer leicht in Einklang zu bringen sind. Und über die Frage von flexiblen Lasten und digitalisierten Netzen habe ich noch gar nicht gesprochen. Die Herausforderung ist also: Wie setzt man ein System in Gang, das die richtigen Anreize setzt, sodass die Regionen und Netzgebiete, die sich besonders im Sinne der Energiewende einbringen, auch angemessen entlohnt dafür werden? Es gibt wahrscheinlich kaum ein Politikfeld, das zurzeit so spannend ist wie die Energiepolitik – was sich aber immer häufiger auch als Operation am offenen Herzen zeigt. 

Schauen wir mal in das Jahr 2050: Was werden wir bis dahin erreicht haben?
KLAUS MÜLLER: Ich hoffe, dass wir ganz gravierende Verbesserungen schon lange vor 2050 erreicht haben. Bis 2050 werden Energienetz und -markt durchdigitalisiert sein. Das wird uns Kosten sparen, er wird uns Stabilität, ein deutliches Mehr an Komfort und Bequemlichkeit geben in einem klimaneutralen Stromdesign. Denn am Ende muss das Energiesystem für die Menschen da sein und nicht umgekehrt. 

KERSTIN ANDREAE: Das unterstütze ich voll. Bis 2050 werden wir hoffentlich aber auch die Frage der Energiespeicher gelöst haben, denn sie sind zentraler Pfeiler für Effizienz im System. Doch neben den technischen Dingen muss es uns vor allem gelingen, Klimaneutralität und Lebensfreude miteinander zu verbinden. Im Moment haben wir einen Diskurs, der keine Freude macht. Wir brauchen wieder mehr Optimismus.



Frei nach dem Sprichwort „Wer ein gutes Boot bauen will, der lehrt die Sehnsucht nach dem Meer“. Es muss uns gelingen, diese Sehnsucht nach der klimaneutralen Gesellschaft und dem klimaneutralen Leben mehr in den Vordergrund zu stellen. Im Moment ist alles beschwerlich und dramatisch und schlimm. Und Klaus Müller hat am Anfang ja gesagt, es hat mehr Spaß gemacht, mit Anreizen irgendwas umzusetzen, als mit Verboten. Das ist ja auch im Prinzip dieser Grundgedanke. Es muss auch Spaß machen, diesen Weg zu gehen. Und das muss uns allen gemeinsam gelingen.

ULRIKE HERRMANN: Ich glaube, dass die Bevölkerung ahnt, dass Klimaschutz nur möglich ist, wenn wir unsere Wirtschafsleistung reduzieren. Genau deswegen beginnen jetzt diese ganzen Verteilungsdebatten am falschen Objekt, wie beispielsweise der Wärmepumpe. Natürlich ist es keine frohe Botschaft, dass Verzicht nötig ist, wenn wir tatsächlich klimaneutral leben wollen. Es geht ums Überleben – und da bleibt nur „grünes Schrumpfen“. 

LION HIRTH: Wenn ich an 2050 denke, dann hoffe ich auf ein intelligentes Energiesystem, das im Wesentlichen Wind- und Sonnenenergie optimal verteilt, speichert und nutzt, aber gleichzeitig als System möglichst unsichtbar ist: Ein System, in dem eher Algorithmen als Menschen sich um Optimierung und Systembetrieb kümmern. Mit anderen Worten: eine Energiewelt, in der Energie jetzt für Runden wie diese und die Politik gar nicht mehr so ein Riesenthema ist wie heute.

Vielen Dank für das Gespräch.

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