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Markt und Staat:

Harmonie oder Dissonanz? 

Sozial-ökologische Marktwirtschaft oder Planwirtschaft: Welches Marktdesign bringt die Energiewende voran? 

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© Robert Albrecht/BDEW

Am Anfang war das Ei: So nannte der Volksmund die charakteristisch geformte Kuppel des atomaren Forschungsreaktors in Garching bei München, der am 31. Oktober 1957 in Betrieb genommen wurde. Nur zwei Jahre später verabschiedete der dritte deutsche Bundestag unter Konrad Adenauer das Atomgesetz, das die Rechtsgrundlage für den Bau und den Betrieb von Atomkraftwerken darstellt.

Weitere zwei Jahre später, 1961, speiste der erste deutsche Atommeiler im bayerischen Kahl bereits Strom ins Netz. Der Ausbau der Kernenergie in Westdeutschland erfolgte jedoch nicht marktgetrieben, der Staat musste die Elektrizitätsunternehmen bis zum Ende der 1960er Jahre geradezu bedrängen, in großem Stil in die Kernenergie einzusteigen. Die Branche war nicht nur wegen der immensen, finanziellen Investitionen zögerlich. Viele Unternehmen präferierten das gut erforschte und bis dato lukrative und anerkannte Erzeugungsmodell: Energie aus Kohle. 

Wenn der Staat Impulse gibt

Der staatlich getriebene Atomeinstieg ist ein Musterbeispiel für die These, dass der freie Markt nicht alles regeln kann. Erst recht dann, wenn es um aufwändige und kostspielige Infrastrukturtechnologien geht. Das gilt auch für das Internet, das auf dem eigentlich für militärische Kommunikationszwecke konzipierten ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network) basiert und ab 1968 im Auftrag der US-Air- Force entwickelt wurde. Die USA trieb im „kalten Krieg“ die Sorge um, dass die Sowjetunion ihre Nachrichtensysteme zerstören könnte – und suchten daher nach einer Möglichkeit, ihre Netzwerke dezentral aufzustellen – bis heute der technologische Grundpfeiler des Internets.

1990 wurde das aus dem ARPANET weiterentwickelte Internet nach einem Beschluss der amerikanischen National Science Foundation für kommerzielle Zwecke geöffnet, damit wurde auch der Weg für die Nutzung durch Privatpersonen frei. 
Auch die jüngste Geschichte ist nicht frei von Situationen, in denen staatliches Handeln am Anfang privatwirtschaftlicher Aktivitäten stand: Die Entwicklung von Impfstoffen binnen kürzester Zeit während der Corona-Pandemie wäre nicht möglich gewesen ohne immense staatliche Gelder. Und nur die Abnahmegarantien sorgten dafür, dass die anfallenden wirtschaftliche Risiken für die Pharmahersteller tragbar schienen. Jüngstes Beispiel für staatliche Impulse: Der für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich zügige Ausbau der LNG-Kapazitäten trägt klar die Handschrift des Staates. 

Doch, auch das zeigt die Geschichte: Der Staat hat nicht immer Recht. Zum Beispiel dann, wenn er sich zu früh aus Branchen zurückzieht. Ein prominentes Beispiel hierfür sind Aufstieg und Niedergang der Solarenergiebranche in Deutschland. Zunächst hatte die Photovoltaik (PV) etwa ab der Jahrtausendwende in Deutschland einen guten Start: Die mit PV erzeugte Energie stieg von 0,064 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2000 schrittweise auf 19 TWh (2011) - eine Steigerung um 3.000 Prozent binnen weniger Jahr also. Doch dann führten die EEG-Novelle 2011 mit ihrer starken PV-Kürzung sowie der frühzeitige Ausstieg des Staats aus der Förderung zu einem massiven Markteinbruch. Es folgte ein beispielloser Niedergang der deutschen PV-Branche – heute sind die Marktführer im Bereich Photovoltaik überwiegend in China angesiedelt: Allein die Top 6 der Photovoltaikhersteller sitzen dort

„Die Bahn kommt“. Wirklich?

Doch auch die Mechanismen der freien Marktwirtschaft sind nicht alleinige Heilsbringer, wie die Privatisierung der Bahn ab 1994 demonstriert. Wie so oft, wenn Unternehmen für einen späteren Börsengang „hübsch gemacht“ werden sollen, erhalten kurzfristige Effizienzgewinne und Einsparungen Priorität – worunter langfristige Investitionen in die notwendigen Infrastrukturen leiden: Ausweichgleise und Knotendurchlässe wurden zurückgebaut, Güteranschlussgleise sowie schwach ausgelastete Güterverkehrsstrecken vom Netz abgeklemmt.

Das blieb nicht ohne Folgen: Vor der Privatisierung galt die Bahn zwar als altmodisch, aber immerhin pünktlich und zuverlässig, sie warb sogar selbstbewusst mit der Robustheit ihrer Züge. Während Befürworter der DB-Privatisierung auf modernere Züge und eine bessere Ausstattung der Bahnhöfe verweisen, stellen Kritiker fest, dass die ursprünglichen Ziele – mehr Verkehr auf die Schiene und eine Entlastung des Bundeshaushalts – verfehlt wurden. So stieg im Nahverkehr der Marktanteil in den folgenden 20 Jahren lediglich um ein Prozent, der Schienengüterverkehr stagnierte – und der Fernverkehr entwickelte sich gegenüber PKW- und Luftverkehr sogar rückläufig.



Ähnlich der Blick auf die Finanzen: Dank des der Finanzkrise 2008 geschuldeten, erst verschobenen, später abgesagten Börsengangs bringen deutsche Steuerzahler weiterhin Jahr für Jahr Milliarden für den Ausbau und Instandhaltung des Schienennetzes auf. Trotzdem sind die Pünktlichkeitsquoten der Bahn im freien Fall: von 79,1 Prozent im Fernverkehr (2012) auf 65,2 Prozent (2022), während die Preise für Tickets und Zeitkarten laufend steigen. 

Langfristige Planbarkeit erforderlich

Schwierig wird es offenbar immer dann, wenn freie Marktwirtschaft und staatliche Korrektureingriffe schlecht orchestriert sind. Entscheidend, so sagt es Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen (Lehrstuhl für Management erneuerbarer Energien an der Universität St. Gallen), sei bei staatlichen Interventionen in einem freien Markt eine langfristige Perspektive: „Klare Regeln wirken komplexitätsreduzierend. Unternehmen müssen auf Jahre hinaus investieren. Da ist es hilfreich, wenn man weiss, wohin die Reise geht. Ob Automobilhersteller oder Heizungsbranche – irgendwann muss man sich festlegen, auf welche Technologie man setzt. Dass klare Leitplanken wirken, hat man schon in den 1980er Jahren bei der Einführung des Katalysators gesehen. Und das in der EU beschlossene weitgehende Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 könnte ein weiterer solcher Meilenstein sein, der Klarheit für alle Akteure schafft.“

Zumindest was die Atomenergie angeht, hat der Staat beispiellose Klarheit für alle Akteure geschaffen. Bereits 2000 nahm die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) erstmals den Atomausstieg auf die Agenda. Nach dem Regierungswechsel 2010 änderten sich jedoch hierzu die politischen Mehrheiten; erst die Reaktorkatastrophe von Fukushima sorgte letztendlich für einen Konsens, denn im Mai 2011 einigte sich die schwarz-gelbe Koalition auf einen Atomausstieg bis 2022. Damit schloss sich ein Kreis, denn der Staat hatte sowohl den Atomeinstieg wie den Ausstieg „verordnet“.

Und das „Ei von Garching“ steht heute unter Denkmalschutz. 

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