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Gastbeitrag:

Rote Roben und schwarze Nullen

Warum wir unser allgemein akzeptiertes Verständnis von Schulden hinterfragen müssen. Ein Gastbeitrag von Johannes Müller-Salo.

Portrait Johannes Müller-Salo

© Robert Albrecht / BDEW

Rot und schwarz gelten als klassische Farben der Finanzpolitik. Unternehmen wie Staaten können schwarze Zahlen schreiben oder tief in die roten Zahlen rutschen. Finanzminister streben seit langem nach der schwarzen Null. Was an dieser Null eigentlich schwarz sein sollte, ist nicht immer ganz klar. Angemessener wäre es, für den ausgeglichenen Haushalt eine eigene Farbe zu finden, etwa die grüne Null, wie das französische Roulette sie kennt. Von der grünen Null sind wir indes noch meilenweit entfernt.

Der finanzpolitischen Farbenlehre fügten die Karlsruher Richterinnen und Richter im letzten November 2023 eine bemerkenswerte neue Nuance hinzu. In ihren roten Roben fällten sie über die Finanzpolitik der Bundesregierung ein Urteil, das manche schnell zur erneuten Verteidigung der schwarzen Null inspirierte. Gleich drei „jeweils für sich tragfähige Gründe“ fand das Bundesverfassungsgericht, um der Idee, Schulden als Sondervermögen in Nebenhaushalten zu parken, einen Riegel vorzuschieben. Die Ampelregierung scheiterte mit ihrem Versuch der Quadratur des Kreises: der großzügigen Aufnahme von Schulden in Sondervermögen bei gleichzeitiger formaler Einhaltung der Schuldenbremse.

Das zweite Karlsruher Urteil

Direkt nach der Urteilsverkündung setzte eine hitzige Debatte um die Zukunft der Schuldenbremse ein. Dabei wurde oft nicht hinreichend zwischen verfassungspolitischen Möglichkeiten und parteipolitischen Zwängen unterschieden. Denn es ist nicht so, dass der deutschen Politik nach dem Urteil keine Möglichkeiten mehr zur Verfügung stünden für die Gestaltung einer umfassenden Transformationspolitik. Vielmehr gilt: Was grundsätzlich möglich ist, wird entweder von einer der Regierungsparteien oder von der Opposition der Unionsparteien nicht gewollt.

Die verfahrene Lage ist Grund genug, neu über unser gesellschaftlich geteiltes Verständnis von Schulden nachzudenken. Auch dafür lohnt ein Blick nach Karlsruhe. Denn bei aller Aufregung über das Schuldenurteil sollte der nur zwei Jahre ältere Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht vergessen werden. Karlsruhe forderte 2021 eine „intertemporale Freiheitssicherung“ ein und übte scharfe Kritik an der ständigen Verschiebung klimapolitischer Herausforderungen in die Zukunft.

Beide Entscheidungen zusammen ergeben ein klares Bild: Der Gestaltung der nachhaltigen Transformation über den Weg von Sondervermögen und Nebenhaushalten sind enge Grenzen gesetzt. Dennoch muss sie gelingen, sonst ist die Freiheit der Kinder und Künftigen in Gefahr. Wer in Verteidigung der schwarzen Null den Klimaschutz vergisst, hat in Sachen Generationengerechtigkeit großen Nachholbedarf.

Schulden haben viele Formen

In der Debatte um die Finanzierung des Klimaschutzes zeigt sich, dass Schulden viele Formen haben. Man kann sich verschulden, indem man Kredite aufnimmt, aber auch, indem man notwendige Investitionen verschleppt und so den nächsten Generationen aufbürdet. Ein ausgeglichener Haushalt als Ziel allein ist wenig wert, wenn dafür die Dächer in den Schulen leck schlagen und das Schienennetz verfällt. Wer diesen Preis für eine schwarze Null bezahlt, überreicht der nächsten Generation nur Schulden in anderer Gestalt.

Noch tückischer sind die Schulden, die in Form von Externalisierungen in die Umwelt und das Klimasystem outgesourct werden. Wer CO2 behandelt, als wäre es für lau zu haben, wirtschaftet nicht solide. Um im Bild zu bleiben: Wo das Emissionskonto überzogen wird, werden schon bald saftige Dispozinsen in Form von Schäden durch ein verändertes Klimasystem und dadurch notwendig gewordene Anpassungen fällig. Die schwarze Null ist für die Nachkommen, die solche Umweltschulden zu bewältigen haben, wohl kaum ein Trost.

Schulden vernetzt denken

Das alles zeigt: Wir müssen einseitige Perspektiven überwinden und dringend lernen, Schulden vernetzt zu denken. Bei Schulden kann es sich um abzubezahlende Kredite handeln, aber auch um unterlassene Investitionen oder folgenschwere Umweltbelastungen. Angesichts dieser Situation nimmt auch die Idee des soliden Wirtschaftens eine neue Gestalt an: Es geht nicht darum, auf Gedeih und Verderb eine Art von Schulden zu vermeiden. Sondern es geht darum, zwischen hinterlassenen Leistungen und hinterlassenen Lasten eine faire Balance herzustellen.



Daraus folgt nicht, dass die Gegenwart beliebig Kredite zulasten der Zukunft aufnehmen und die so gewonnenen Spielräume nach Gutdünken nutzen kann. Es geht vielmehr darum, die Zukunft fair an den Kosten zu beteiligen, die für Jahrhundertaufgaben wie die Gestaltung der klimaneutralen Gesellschaft zu stemmen sind. Wann genau es dabei gerecht zugeht, wird immer politisch umstritten bleiben.

Helfen kann die folgende Frage: Würden unsere Kinder und ungeborenen Enkel, könnten sie heute mitreden, die von uns gewählte Politik gutheißen? Wo solide Politik mit der schwarzen Null verwechselt wird und unterlassene Investitionen ebenso unberücksichtigt bleiben wie externalisierte Umwelt- und Klimakosten, lautet die Antwort klarerweise: nein.

Johannes Müller-Salo

ist seit 2019 als Post-Doc wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover. Er forscht vor allem zu Problemen der politischen Philosophie und Ethik. Seine Schwerpunktthemen sind Klima und Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Stadt und städtisches Leben, Digitalisierung und Alltag.

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