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Round Table:

Mobil auf neuen Wegen?

Wie sind wir in Zukunft mobil? Kerstin Andreae im Gespräch mit Stefan Gerwens, Mirko Goletz und Alexander Kaas Elias.

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© Robert Albrecht / BDEW

Seit Jahrzehnten wird in Europa versucht, den Individualverkehr zu reduzieren. Genau das Gegenteil passiert: Es wird mit immer größeren und stärkeren Autos immer mehr gefahren, Kreuzfahrten boomen, Fliegen ist oft billiger als Bahnfahren. Was läuft da schief und was müssen wir besser machen?
KERSTIN ANDREAE: Ich glaube, den Menschen muss klar sein, dass der Verkehrssektor in seiner ganzen Bandbreite erheblich zum Klimawandel beiträgt, erhebliche CO2-Emissionen ausstößt. Und deswegen ist natürlich das Überprüfen des eigenen Verhaltens und der Wahl des Verkehrsmittels wichtig.

Damit die Wahl des Verkehrsmittels aber auch klug vonstatten gehen kann, muss es schlicht vorhanden und attraktiv sein. Preislich attraktiv, aber eben auch in Bezug auf Reichweite und Verfügbarkeit. Im Hinblick auf den Individualverkehr ist die Umstellung auf die klimaneutrale Alternative Elektromobilität für uns der zentrale Hebel. Und auch hier sind Attraktivität und Bezahlbarkeit die entscheidenden Schlüssel.

STEFAN GERWENS: Mobilität und Individualverkehr sind ja in der Regel abgeleitete Nachfragen: Die Menschen wollen eigentlich beruflich und ihrer Freizeit aktiv sein, letzteres schließt auch Urlaube mit ein. Dementsprechend nutzen sie bei der Mobilität oft jahrzehntelange geübte Routinen, da fällt die Veränderung bekanntermaßen besonders schwer.

Stefan Gerwens

ist seit 2017 Leiter des Ressorts Verkehr im ADAC e. V. in München. Er ist außerdem Mitglied des Expertenbeirates Klimaschutz in der Mobilität (EKM) des BMDV und sitzt im Beirat der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur.

Wir reden also von über 80 Millionen Verbrauchern und vielen Unternehmen, die ihr Verhalten verändern müssen, damit wir den Klimaschutzerwartungen und Notwendigkeiten gerecht werden – und damit wir mit Ressourcen effizienter umgehen. Das geht nur mit attraktiven Alternativen, insbesondere einem attraktiven ÖPNV und guten Radwegen – und mehr genereller Flexibilität in der Verkehrsmittelnutzung.

MIRKO GOLETZ: Mobilität ist nun mal eine wichtige Voraussetzung, um Grundrechte wie soziale Teilhabe auszuüben. Das will, glaube ich, auch niemand abstreiten. Und das Auto ist weiterhin eine sehr bequeme und kostengünstige Alternative, gerade im ländlichen Raum, wo es schwierig ist, Alternativen zu schaffen. Und ich glaube, dass gerade dort das Zusammenwirken von verschiedenen Institutionen wichtig ist, um individuellen Nahverkehr zu reduzieren und öffentliche Verkehrsmittel zu stärken.

ALEXANDER KAAS ELIAS: Der Verkehr ist tatsächlich der Problembereich im Klimaschutz. Da sind wir bei den Emissionen im Vergleich zu 1990 nicht besser geworden. Und ja, es haben sich eben sehr viele Routinen eingespielt, die schwierig zu durchbrechen sind. In einem Punkt möchte ich Herrn Goletz aber widersprechen: Das Auto ist gar nicht so günstig, sondern die realen Gesamtkosten des Autos sind viel höher als selbst eine BahnCard 100. Diese Kosten sind den Menschen oft gar nicht so präsent, weil sie oft nur bewusst wahrnehmen, was sie an der Tankstelle bezahlen.

Außerdem sehen wir nach wie vor eine starke Förderung des Individualverkehrs, beispielsweise das Dienstwagen-Privileg. Und: Es wird seit Jahrzehnten immer davon geredet, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Doch erst der jetzige Bundeshaushalt ist der erste Haushalt, der insgesamt mehr in die Schiene investiert als in den Straßenverkehr. Da muss sich noch einiges bewegen, damit die Angebote da sind.

Herr Goletz, Sie haben bereits 2016 in einer Studie beispielhaft untersucht, wie sich Mobilität in Paris, Singapur, Santiago de Chile und Wien wandelt. Was haben Sie dort beobachtet?
MIRKO GOLETZ: In Santiago de Chile gab es einen für Lateinamerika frühen Fahrrad-Boom, der nach und nach auf andere Städte übergesprungen ist. Das hat uns gezeigt, dass sich das Fahrradfahren auch an Orten entwickeln kann, an denen es bisher eigentlich keine echte Fahrradkultur oder -infrastruktur gibt. Es braucht nur einen gesellschaftlichen Impuls, eine Abstimmung mit den Füßen gewissermaßen. Paris wiederum ist ein typisches Beispiel gewesen für eine Stadt, in deren Innenstadt der ÖPNV stark ist, aber die Verzahnung mit den Außenbezirken nicht gut funktioniert – in der Banlieue wird immer noch viel Auto gefahren.

Wien hat uns vor allem deshalb interessiert, weil die Stadt gezeigt hat, wie ein deutlich reduzierter ÖPNV-Preis – seinerzeit ein Euro pro Tag – und ein gut vernetztes Streckenangebot die Nutzung und Akzeptanz des ÖPNV massiv erhöhen können. Davon könnten wir hier in Deutschland viel lernen.

Mirko Goletz

ist Teamleiter ÖPNV und seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR).

Und Singapur geht wieder einen anderen Weg: Dort wird das Autofahren sehr teuer gemacht durch gedeckelte Vignetten, die man braucht, um ein Auto überhaupt anzumelden. Das reduziert den Verkehr, sorgt aber auf der anderen Seite dafür, dass das Auto zum Status-, ja zum Luxussymbol wird. Zusammenfassend lässt sich sagen: Preispolitik kann positive wie negative Effekte mit sich bringen, Mikromobilität und Radverkehr werden künftig noch wichtigere Rollen spielen – aber das eigene Auto ist für viele Menschen immer noch sehr attraktiv.

Mikromobilität und Radverkehr – das klingt zunächst nicht nach dem Kerngeschäft eines Automobilclubs. Wie haben sich die Anforderungen und Bedürfnisse der Mitglieder an den ADAC und VCD in den letzten 30 Jahren gewandelt?
STEFAN GERWENS: Klima- und Umweltschutz sind wichtiger geworden, am Ende jedoch wollen die meisten Menschen wie vor 30 Jahren bezahlbar, verlässlich und sicher unterwegs sein. Vom ADAC erwarten die Menschen hauptsächlich weiterhin Rat, Hilfe, Schutz: Das reicht von der Pannenhilfe über die Luftrettung bis hin zur Absicherung bei Auslandreisen.

Etwas vielfältiger ist das Mobilitätsverhalten geworden: Rund 60 Prozent der Mitglieder nutzen regelmäßig das Rad, 40 Prozent Busse und Bahnen. Daher haben wir uns multimodaler aufgestellt: Seit letztem Jahr haben wir eine Fahrrad-Pannenhilfe, wir verkaufen jetzt das Deutschlandticket oder haben auch soeben das ADAC-Pendlernetz gestartet, mit dem wir für das Mitfahren per App werben.

ALEXANDER KAAS ELIAS: Der VCD hat sich 1986 als eine Art Gegengewicht zur Autolobby gegründet. Wir wollten allen eine Heimat bieten, denen nachhaltige Mobilität wichtig ist, auch den umweltbewussten Autofahrenden. Unser Slogan war damals „Eine ökologische Alternative zum ADAC“. Entsprechend wurden am Anfang Serviceleistungen wie Pannenhilfe und Schutzbriefe angeboten. Dabei stand aber auch die gesamte Mobilität im Mittelpunkt.

Vom Zufußgehen über Radfahren und den ÖPNV bis hin zur nachhaltigen Automobilität. Und der VCD war vielerorts auch Wegbegleiter von Carsharing-Initiativen und hat selber Carsharing initiiert. Wir haben uns erfolgreich für den Erhalt der BahnCard eingesetzt und fordern nach wie vor, mehr Güter auf die Bahn zu verlegen. Den Wandel kann man am besten vielleicht so beschreiben, dass mehr und mehr die Bedürfnisse des Menschen im Vordergrund stehen.

Alexander Kaas Elias

ist seit Mai 2023 Sprecher für Bahn, ÖPNV und Multimodalität beim Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Es geht mehr um Mobilität vor Ort. Wie kann man die Verkehrssituation verbessern, nicht nur durch mehr Straßen und Parkplätze, sondern durch eine gerechte Aufteilung des Straßenraums, eine bessere Radinfrastruktur, höhere Verkehrssicherheit und mehr Lebensqualität? Leider wird diese Debatte zunehmend verbittert geführt, wir beobachten schon eine deutliche Polarisierung in der Gesellschaft.

Und wie zeigt sich der Wandel der Mobilität bei den Mitgliedsunternehmen des BDEW?
KERSTIN ANDREAE: Da dreht es sich natürlich in erster Linie um das große Thema der Elektromobilität. Unsere Mitgliedsunternehmen bauen die Netz- und Ladeinfrastruktur auf und sie erzeugen grünen Strom. Denn: Es hilft das schönste Elektroauto nichts, wenn es mit Kohlestrom fährt. Es hilft aber auch die beste Ladesäule nichts, wenn sie von einem Verbrenner-Auto blockiert wird.

Am Ende müssen unsere Unternehmen mit der Ladeinfrastruktur natürlich Geld verdienen, das kann kein Unternehmen aus Altruismus machen. Wir brauchen also genügend Kunden, genügend Autos, genügend Netzanschlüsse. Das wiederum ist eine Frage der Manpower, der Standardisierung, der Vereinfachung. Es gibt also eine ganze Reihe von Themen, die uns aktuell beschäftigen.

Herr Kaas Elias, Sie sprachen gerade die zunehmend schärfere Debattenführung an. Hat die Mobilitätswende ein Kommunikationsproblem?
ALEXANDER KAAS ELIAS: Wir sehen eine enorme Zuspitzung in den sozialen Medien und im Wahlkampf. Ich glaube, wir sollten den Blick weiter fassen und uns wirklich mit der Frage beschäftigen, wie könnten unsere Städte der Zukunft aussehen? Es will keine Partei wirklich das Auto verbieten, so wie es manchmal öffentlich diskutiert wird.

Im ländlichen Raum sagen selbst wir als VCD, dass der Erstwagen schwer verzichtbar ist. Aber wir fordern auch, dass das ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum so gut wird, dass es eine sichere und zuverlässige Alternative zum Privatauto darstellt. Konkret fordern wir eine Mobilitätsgarantie: Es sollte von jedem Ort ab 200 Einwohnern zumindest einmal stündlich möglich sein, Wege per ÖPNV zurückzulegen.

KERSTIN ANDREAE: Ich sehe bei der Kommunikation zwei wichtige Punkte: Erstens müssen wir schon den ökonomischen Faktor der Automobilindustrie im internationalen Wettbewerb auf dem Schirm haben. Wir sehen als Energieverband, dass die Frage des Massenmarkts der bezahlbaren Fahrzeuge nicht unbedingt von deutschen Anbietern beantwortet wird, sondern viel von ausländischen Anbietern.

Kerstin Andreae

ist seit November 2019 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW. Zuvor war sie wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Initiatorin sowie Koordinatorin des Wirtschaftsbeirates der Fraktion.

Das macht mir eine gewisse Sorge, weil ich glaube, dass das Thema des Massenmarktes mit bezahlbaren Autos schon ein entscheidender Schlüssel für den Hochlauf der Elektromobilität ist. Und: Unsere letzte Nutzerumfrage zeigt, dass sich 98 Prozent derer, die sich ein Elektroauto gekauft haben, wieder ein Elektroauto kaufen würden. Eigentlich bräuchten wir doch eine massive Kommunikation, die lautet: "Das macht Spaß, das ist leise, das ist sauber, das ist sicher und außerdem klappt's.“

STEFAN GERWENS: Auch wir sehen, dass ein hoher Teil der Nutzer, die bereits Elektromobilität nutzen, sehr zufrieden ist. Man muss allerdings bei solchen Umfragen auch berücksichtigen, dass viele Elektroautobesitzer ohnehin positiv eingestellte, experimentierfreudige First Mover sind - oder aber diejenigen, die von günstigen Rahmenbedingungen wie einem Zugang zu Ladeinfrastruktur profitieren. Sei es, dass sie eine Wallbox zuhause haben, sei es, dass sie den Dienstwagen am Arbeitsplatz laden können.

So gesehen geht es in der Kommunikation jetzt vor allem darum, diejenigen Menschen mitzunehmen und zu überzeugen, die an Elektromobilität interessiert, aber noch zögerlich sind – und nicht die rund 40 Prozent der Autofahrer, die noch eine emotional stark am Verbrennungsmotor hängen. Wir unterstützen ganz klar das Ziel der 15 Millionen Elektroautos bis 2030, sehen Elektromobilität aber vor allem im Bereich der Neuwagen und Flottenmodernisierung. Bei den Bestandsfahrzeugen mit Verbrennermotor kommen wir auch im nächsten Jahrzehnt an alternativen Kraftstoffen nicht vorbei.

Verbrenner- versus Elektroauto. Ist das überhaupt die richtige Diskussion?
MIRKO GOLETZ: Bei aktuell 59 Millionen zugelassenen Kraftfahrzeugen in Deutschland ist das schon eine sehr wichtige Diskussion, weil die Umstellung der Antriebe perspektivisch unverzichtbar ist. Autos bleiben ja buchstäblich lange im Verkehr: Wenn ich heute ein Auto kaufe, dann kann ich damit rechnen, dass es 15 und mehr Jahre lang fahren wird. Alle Fahrzeuge, die wir jetzt nicht mit einer alternativen, guten Antriebstechnologie ausstatten, werden uns also noch sehr lange begleiten.

Allerdings ist es auch auffällig, dass die E-Autos genauso schnell wachsen wie die Verbrenner. Sie werden größer und schwerer. Damit benötigen sie mehr Energie und eine größere Batterie und damit werden sie immer teurer. Es lohnt sich nachzudenken, ob es nicht besser wäre, diese Entwicklung – insbesondere hin zu den SUV - zurückzudrehen. Das würde das Platzproblem in Städten entspannen und bei der Reichweite auf der Langstrecke helfen.

Herr Kaas Elias fordert eine Mobilitätsgarantie für alle Orte mit mehr als 200 Einwohnern. Wie sollen das die Kommunen, Stadtwerke, ÖPNV-Betreiber überhaupt schaffen?
KERSTIN ANDREAE: Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, da gab es auch nur einen sehr begrenzten ÖPNV. Da gab es einen Bus pro Stunde und damit musste und konnte man sich arrangieren. Aber das war natürlich schon die Minimallösung. Ganz am Ende ist das – wieder einmal - eine Geldfrage. Da geht es um Kapazitäten, Fahrzeuge, Personal. Selbst wenn es jetzt so eine politische Vorgabe gäbe, müsste das ja irgendwie finanziert werden.

Und manche Angebote wirken auf den ersten Blick attraktiv, lösen das Grundproblem aber nicht. Nehmen Sie das 49-Euro-Ticket: Das ist eine ganz tolle Idee, unbestritten. Aber die Zahlen, die ich gelesen habe, zeigen nicht an, dass der Individualverkehr per Auto dadurch automatisch absinkt. Das 49-Euro-Ticket wird eher als praktische Zusatzoption angesehen.

ALEXANDER KAAS ELIAS: Ich gebe Ihnen Recht bei der Kapazitätsfrage, aber ich glaube, man kann auch an der Effizienz noch arbeiten. In Nord-Ost-Brandenburg hat es beispielsweise ein Verkehrsbetrieb durch eine neue, geschickte Taktung der Busse, mit der der Anschluss zeitnah zu erreichen ist, eine Fahrgaststeigerung von 17 Prozent hinbekommen. Ich denke, es gibt eine ganze Reihe von Low Hanging Fruits, die man hier noch ernten kann.

STEFAN GERWENS: Nicht zu vergessen die langfristige Planbarkeit. Wenn wir wollen, dass Menschen auf dem Land einen Zweitwagen im Haushalt abschaffen, müssen wir ihnen die Gewissheit bieten, dass sie Angebote wie eine gute Taktung oder ein attraktives Ticket wie das 49-Euro-Ticket auch in fünf oder sieben Jahren haben.

Und was die Kosten im ÖPNV angeht, blicke ich mal in Richtung von Herrn Goletz als Vertreter der Forschung: Wir sind leider mit dem autonomen Fahren, Stichwort Bus-Shuttles, bisher nicht weit gekommen. Das ist ja technisch auch ein sehr komplexes Thema. Trotzdem wäre so etwas meine Hoffnung für die Zukunft.

MIRKO GOLETZ: Da kann ich nur zustimmen. Gerade im ländlichen Raum ist es eine attraktive Vorstellung, dass autonome Fahrzeuge mit bedarfsorientierter Streckenführung irgendwann kostengünstiger werden als sie es jetzt mit Fahrern sind - und wir damit ein besseres Angebot erreichen. Wir haben ja im ländlichen Raum im Wesentlichen die Herausforderung, dass die Dichte der Nachfrage einfach durch die nicht so dichte Besiedlung nicht so hoch ist. Meine Hoffnung ist, dass wir innerhalb dieses Jahrzehnts dahin kommen werden, dass es solche bedarfsorientierten Angebote flächendeckend gibt.

Die Covid-Pandemie hat gezeigt, dass angesichts einer großen Krise Verhaltensänderungen möglich sind, auch und gerade in Bezug auf Mobilität, beispielsweise bei Dienstreisen. Warum schaffen wir das in einer Pandemie und warum fällt uns das angesichts der Klimawandels so schwer?
MIRKO GOLETZ: Zum einen gab es bei diesen erzwungenen Verhaltensänderungen auch eine persönliche Motivation dahinter, nämlich die eigene Exposition zu verringern und sich nicht anzustecken. Der Klimawandel hingegen ist ein globales Problem. Da denken die Menschen eher, dass es eben auch global gelöst werden muss - und dass das individuelle Verhalten gar nicht so darauf einzahlt. Und: Interessanterweise gab es ja auch den Effekt, dass die Menschen durch die oktroyierten Verhaltensänderungen – Stichwort Home Office – neue Vorzüge erlebt haben.

STEFAN GERWENS: Genau. Ich glaube, dass wir bei Homeoffice, genauso auch beim Ersatz von Dienstreisen, durch virtuelle Meetings keine wesentlichen Einschränkungen erleben, vielleicht sogar einen Vorteil. Wenn Sie aber touristisch reisen, dann ist das natürlich etwas anderes. Da können Sie das Erlebnis nicht 1:1 durch eine virtuelle Tour am Bildschirm ersetzen.

In diesen Tagen erleben wir wieder einmal große Protestaktion der „Letzten Generation“. Wir sehen auch, dass viele junge Menschen sich gar nicht so sehr für den Führerschein und das eigene Auto interessieren. Wird die Generation Z uns dabei helfen, die Klimaziele schneller zu erreichen?
ALEXANDER KAAS ELIAS: Tatsächlich zeigen die letzten Shell-Studien, dass jungen Menschen mittlerweile das eigene Smartphone wichtiger ist als das eigene Auto. Das ist schon ein Trend. Aber das alleine wird nicht reichen; wir dürfen das Thema Mobilität auch nicht am Führerschein allein aufhängen.

Es gibt ja mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland, die keinen Führerschein haben: Weil sie noch nicht 18 sind, weil sie kein Auto fahren dürfen, können oder nicht fahren wollen. Ich denke da beispielsweise an Menschen mit Sehbehinderung und ähnliches. Die Bahnen und Busse sind insgesamt noch weit von Barrierefreiheit entfernt. Diese Hausaufgaben müssen wir erst einmal machen, um für manche Bevölkerungsgruppen überhaupt eine realistische Alternative zum eigenen Auto bieten zu können.

KERSTIN ANDREAE: Ich glaube schon, dass die Generation Z dem Klimaschutz nochmal eine ganz neue Nachdrücklichkeit verleiht. Aber Führerschein hin oder her: Es geht um deutlich mehr. Wenn ich mir hier in Berlin oder in einer anderen Großstadt ansehe, welche Dominanz das Auto in der Innenstadt hat, wie viele schöne Flächen wir mit Autos zustellen, dann ist das für mich ein Irrweg.

Es gibt ja inzwischen in Europa – siehe Skandinavien, siehe die Niederlande - genügend Beispiele dafür, wie lebenswerte Städte aussehen können, bei denen das Auto nicht das mit Abstand wichtigste Verkehrsmittel ist.

STEFAN GERWENS: Es ist richtig, dass junge Menschen in Städten seltener oder später einen Führerschein machen. Spätestens bei der Familiengründung oder Berufstätigkeit kommt das Thema dann aber doch auf – und auf dem Land sowieso. Im Alter von 25 besitzen heute immer noch 84 Prozent der Menschen einen Führerschein.

Und: Es gibt auch bei den jungen Menschen eine gewisse Polarisierung. Denn es engagieren sich längst nicht alle beim Klimaschutz, sondern es gibt auch Teile der Jugend, die sehr auf ihre Freiheit und ihre individuelle Mobilität schauen. Kurz: Eine Veränderung der Einstellung zum Auto durch die nächste Generation allein wird das Erreichen der Klimaschutzziele nicht sichern.

Was wäre Ihr größter Wunsch in Bezug auf die Mobilitätswende? Was sollten wir bis 2050 auf jeden Fall erreicht haben?
MIRKO GOLETZ: Ich würde mir wünschen, dass wir es zum einen schaffen, die Mobilität überall sicherzustellen - in der Stadt und auf dem Land. Mit einem gut ausgebauten und vernetzten ÖPNV auch in der Fläche, den sich jeder leisten kann. Aber auch mit modernen, kleineren emissionsarmen Fahrzeugen für den Individualverkehr. Ich sage bewusst nicht „emissionsfrei“, denn auch bei der Herstellung von Autos oder Komponenten fallen ja CO2-Emissionen an.

ALEXANDER KAAS ELIAS: Wir sollten bis 2050 klimaneutral unterwegs sein, mit einem multimodalen Verkehrsmodell, bei dem Bahn, Bus, Radfahren, zu Fuß gehen, aber auch Sharingmodelle und On-Demand-Shuttles gut miteinander verzahnt sind. Insbesondere sollte das Bahnnetz so gut sein, dass wir auf der Kurzstrecke gar nicht mehr fliegen müssen.



STEFAN GERWENS: In meiner Wunschvorstellung werden wir 2050 Klimaneutralität im Verkehr erreicht haben. Die Menschen können wählen zwischen verschiedenen Optionen, die alle klimaneutral sind. Wir haben 2050 aber auch bei der Verkehrssicherheit einen großen Sprung nach vorne gemacht und sind der Vision Zero – keine Verletzten und Getöteten im Straßenverkehr - deutlich näher gekommen. Zu guter Letzt darf Mobilität nicht zur sozialen Frage geworden sein: Sie muss weiterhin für alle Bürger bezahlbar sein.

KERSTIN ANDREAE: Ich möchte meinen Vorrednern beipflichten, aber ganz gerne einen weiteren Punkt anfügen, der mir persönlich wichtig ist: Ich hoffe, dass es uns gelungen ist, den gesamtgesellschaftlichen Konsens für das Erreichen der Klimaziele beizubehalten. Ich sehe aktuell von ziemlich vielen Seiten Angriffe auf dieses Ziel.

Deswegen muss es uns so schnell wie möglich gelingen, die Attraktivität des Wechsels sozial gerecht, aber eben auch so zu gestalten, dass die Leute sich nicht angegriffen fühlen, nicht bevormundet fühlen, in welcher Form auch immer. Wir müssen unsere Visionen so formulieren, dass die Menschen keine Angst vor den Veränderungen haben, sondern dass sie sie ohne Scheu und aktiv mitgehen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

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