"Wir machen Anodenmaterial aus Apfeltrester"

Ein Gespräch über Alternativen zu Lithium-Ionen-Batterien mit Prof. Dr. Maximilian Fichtner vom Helmholtz-Institut Ulm

Was sind die zentralen Vor-und Nachteile von Lithium-­­Ionen-Batterien? 

PROF. DR. MAXIMILIAN FICHTNER: Nun, es gibt für die star­ke Verbreitung von Lithium-Ionen-Batterien schon gute Gründe: Das sind vornehmlich deren Leistungsfähigkeit und Energiedichte. Noch lässt sich kein anderes System mit einer solchen Energiemenge in einer vergleichbaren Zeit beladen. Nachteile sind zum einen ein immer noch recht hoher Preis, zum anderen gibt es eine gewisse Sicherheitsproblematik. Sie kennen es aus den Medien: Lithium-Ionen-Akkus können sich beispielsweise bei falscher Behandlung entzünden.

Welche weiteren Motive gibt es, nach Alternativen für Lithium-Ionen-Batterien zu forschen?

PROF. FICHTNER: Wünschenswert wären generell immer höhere Energiedichten und mehr Sicherheit, doch es geht vermehrt auch um das Thema Ressourcen: Lithium-Ionen-Batterien beinhalten Kobalt im Kathodenmaterial. Der Abbau dieses Stoffs ist ebenso aufwändig wie belastend für die Umwelt. Damit nicht genug: Die Automobilindustrie hat ausgerechnet, dass die bekannten Reserven von Kobalt überhaupt nicht für eine flächendeckende Einführung der Elektromobilität ausreichen. In spätestens zehn Jahren werden wir bei Kobalt ein Verfügbarkeitsproblem haben. Große Unternehmen suchen daher intensiv nach Möglichkeiten, Kobalt durch andere Stoffe zu ersetzen – und wir forschen genau an diesem Thema.

Welche alternativen Batterietypen sind derzeit aus Ihrer Sicht die vielversprechendsten und warum?

PROF. FICHTNER: Technologisch derzeit am weitesten fortgeschritten ist die Natrium-Ionen-Batterie. Sie kommt zwar noch nicht an die Energiedichte und Zyklenfestigkeit einer Lithium-­Ionen-Batterie heran, dafür ist Natrium jedoch in unbegrenzter Menge verfügbar, was sich positiv auf Nachhaltigkeit und Kosten auswirkt. Damit nicht genug: Hier am Institut haben wir inzwischen einen Weg gefunden, wie man aus Apfelresten, die man unter Luftabschluss verkokt, ein hochperformantes Anodenmaterial für die Natrium-­Ionen-Bat-
terie herstellen kann. Wir experimentieren aber auch mit Magnesium und Aluminium – bestens verfügbare Elemente, die ebenfalls sicherer als Lithium sind. Allerdings müssen wir bei diesen Stoffen noch eine ähnliche Performance erzielen wie bei Lithium.

Welchen Stellenwert sehen Sie für Batterien im sektorgekoppelten Energienetz der Zukunft?

PROF. FICHTNER: Einen ganz großen. Und das gar nicht nur in Form von Großspeicheranlagen. Alleine bei Heimspeichern sehen wir derzeit einen Zuwachs von 50 Prozent pro Jahr. Wenn Sie bei Ihrem Haus Photovoltaik mit einem Batterie­speicher koppeln, können Sie sich streckenwei­se selbst versorgen und bis zu einem Drittel Ihrer Stromkosten sparen. Die Kosten für Batteriezellen sinken weiter und weiter, wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem sich solche Konzepte amortisieren.

Sehen Sie grundsätzlich für Batterien in einer ferneren Zukunft auch das Potenzial, im Schwerlast-, Schiffs- und Luftverkehr als Energieträger zu fungieren? Oder sind dort die Fossilen oder neu designte Future Fuels weiterhin das Mittel der Wahl aufgrund der Energiedichte?

PROF. FICHTNER: Bei dieser Frage muss ich schmunzeln: Ich halte nämlich auch eine Blockvorlesung zur Wasserstofftechnologie. Kürzlich habe ich alte Präsentationsfolien von Autoherstellern aus dem Jahr 2010 überarbeitet, auf denen es noch hieß: „Batterien werden Verbreitung finden in Kleinst- und Klein-Pkw.“ Heute können Sie mit Batterien Fahrzeuge der Mittelklasse und Oberklasse, ja, sogar SUVs fahren. Sämtliche Prognosen von damals in Bezug auf Marktanteile und Leistungsfähigkeit von Batterien waren wesentlich konservativer als das, was inzwischen eingetreten ist. Wir sehen jetzt schon Batterien in Flottenbussen. Oder in der Schweiz, im Thurgau: Da wurde jüngst ein Muldenkipper in Betrieb genommen, der von einer 700-Kilowattstunden-Batterie gespeist wird. Wenn der mit 65 Tonnen Nutzlast beladen in die Grube abwärtsfährt, erzeugt er dabei mehr Strom, als er leer für das Zurückfahren braucht. Im Batteriebereich bewegt sich derzeit unglaublich viel. Ein Einsatz in Schiffen oder Flugzeugen erscheint mir daher heute nicht mehr so abwegig wie noch vor zehn Jahren.

Können Sie aus Ihrer Forschungsarbeit Ergebnisse oder Erlebnisse berichten, die für Sie besonders überraschend oder wegweisend waren?

PROF. FICHTNER: Wir haben herausgefunden, dass man ein Molekül aus der Natur, ein sogenanntes Porphyrin, nur leicht chemisch verändern muss – und dann ein Material erhält, das so viel wie eine mittelprächtige Batterie speichert. Aber: Sie können eine solche Batterie in nur einer Minute voll aufladen, das ist eine immens kur­ze Zeit. Wir haben 100 Gramm dieses Stoffs hergestellt und einem Industriepartner zur weiteren Forschung übergeben. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse. Ansonsten die bereits erwähnte Anode aus Apfelresten. Wenn Natur Technik schlägt, dann ist das ein toller Forschungsmoment. Und eine Win-win-Situation: Die Getränkeindustrie hat nämlich riesige Probleme, ihren Apfeltrester zu entsorgen. 

Glauben Sie, dass die bisherige Energiepolitik die richtigen Weichen gestellt hat? Was wären Ihre Wünsche an die neue Regie­­rungskoalition?

PROF. FICHTNER: Grundsätzlich wird die Batterieforschung in Deutschland inzwischen gut unterstützt. Die Regierung war bisher sehr aktiv und hat es von 2008 bis heute geschafft, Deutschland von einem weißen Fleck auf der Batterielandkarte bis zum Weltstandard zu befördern. Was die Energiewende als übergeordnetes Projekt angeht, hat indes die Regierung meines Erachtens zu sehr auf die Bremse getreten und viele Hürden für den Ausbau von Wind- und Solarenergie errichtet. Wir müssen jetzt Erleichterungen für die Verteilung und Speicherung von Energie schaffen. Es hilft nichts, auf dem Papier 100 Prozent grüne Energie zu generieren, wenn hinterher nur 28 Prozent davon im Netz verfügbar sind.

Wir brauchen lokale Speicher und Großspeicher – und zwar für alle Sektoren. Eines möchte ich noch anfügen, denn die Politik allein kann nicht immer den schwarzen Peter bekommen: Ich fürchte, dass wir hierzulande auch einen Systemfehler haben. Die Vorstandsvorsitzenden großer Firmen sind gezwungen, auf ihre Aktienkurse zu achten und scheuen mittelfristig defizitäre Projekte wie den Aufbau einer teuren Zellfertigung beispielsweise, wo sie jahrelang investieren müssen. Das Problem finden Sie überall. Firmen, die anders strukturiert sind, planen und handeln anders, zum Beispiel fami­lien- oder personengeführte Unternehmen wie LG, Samsung oder Tesla. Da wird entschieden: „Wir machen das jetzt und wollen in zehn Jahren Marktführer sein.“ Diesen Geist, etwas mit Selbstvertrauen auf eine Karte zu setzen, haben Sie bei börsennotierten Unternehmen oft nicht. Da haben viele Leute Angst, sich die Finger zu verbrennen, wenn der Aktienkurs mal eine Weile nicht steigt. Das führt langfristig ins Hintertreffen, wie man am Beispiel der Batterietechnologie sieht. Ich würde mir wünschen, dass das anders wird. Nicht zu handeln, hat ebenfalls Konsequenzen und führt in diesem Fall zu Abhängigkeiten, die wir uns nicht wünschen können.

Interview: Jochen Reinecke

Prof. Dr. Maximilian Fichtner
ist Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm (HIU). Dort leitet er auch den Bereich Festkörperchemie. Die interdisziplinäre Forschungsgruppe aus Chemikern, Physikern und Ingenieuren untersucht neue Wege, um Lithium effizienter zu speichern und entwickelt neue, alternative Lösungsansätze für lithiumfreie Batterien.


Zurück zur Magazin-Übersicht

Suche