Fazit Fortschrittsmonitor 2024: Die Energiewende hat in den letzten Jahren erheblich an Fahrt gewonnen. Im Jahr 2023 ist der EE-Anteil am Bruttostromverbrauch erstmals auf über 50 % angestiegen, der EE-Anteil am Endenergieverbrauch bei Wärme ist auf über 18 % und der EE-Anteil in der Mobilität auf über 7 % angestiegen. Der Handlungsdruck vor allem bei Wärme und Verkehr bleibt damit unverändert hoch. In allen drei Sektoren sind weitere Fortschritte notwendig, um die Ziele bis 2030 zu erreichen.
Thomas Peter Müller, die Versorgungsaufgabe der Stromnetzbetreiber wird durch die Energiewende zukünftig noch weiter wachsen. Netzbetreiber stehen dabei vor großen Herausforderungen. Welche Entwicklung erwarten Sie bei der Anzahl der Netzanschlüsse für Ladeinfrastruktur, PV-Anlagen und Wärmepumpen in Ihrem Netzgebiet? Mit welchen Maßnahmen können Sie die Integration dieser zusätzlichen Netzanschlüsse sicherstellen bzw. gewährleisten?
Bezogen auf die Einspeise- und Absatzmengen wurden bereits 2022 im Netzgebiet des Albwerks mehr als 75 % der Netzabgabe durch Einspeisung von EEG-Strom gedeckt. Bis 2030 rechnen wir mindestens mit einer Verdopplung der Einspeisemenge, so dass dann bilanziell mehr als 150 % der Netzabgabe durch Erneuerbare Energien gedeckt werden. Die installierte Leistung wird sich von derzeit rund 230 MW auf über 500 MW ebenfalls mehr als verdoppeln.
Der Hochlauf der Anschlüsse für Wärmepumpen und Ladeinfrastruktur wird sich aufgrund der ländlichen Struktur gegenüber dem Ausbau der Erneuerbaren Energien etwas langsamer vollziehen. Um der Versorgungsaufgabe gerecht zu werden, haben wir eine Zielnetzplanung erstellt, die die Integration der zusätzlichen Verbraucher und Einspeiser berücksichtigt und permanent fortgeschrieben wird.
Die zusätzlichen Verbraucher werden den Bruttostromverbrauch erhöhen. Haben Sie bereits eine Einschätzung, wie sich der Bruttostromverbrauch in Ihrem Versorgungsgebiet verändern wird?
Abhängig vom Transformationspfad wird der Bruttostromverbrauch in unserer ländlich geprägten Region mit geringerer Industrieansiedelung nur um 30 % bis 50 % zunehmen.
Welchen Investitionsbedarf sehen Sie für die Ertüchtigung des Stromnetzes im Versorgungsgebiet des Albwerks?
Wir schätzen derzeit den Investitionsbedarf auf 20 bis 25 Millionen Euro pro Jahr. Gegenüber dem Investitionsbedarf bis 2019 würde dies einer Erhöhung auf das Fünffache entsprechen.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Genehmigungs- und Planungsprozessen für den Netzausbau?
Wir haben überwiegend gute Erfahrungen mit den Genehmigungsprozessen, wobei wir nur das Stromnetz auf Nieder- und Mittelspannung verantworten. Aus Gesprächen mit anderen Netzbetreibern wissen wir allerdings, dass die genehmigungsseitigen Herausforderungen auf Hoch- und Höchstspannungsebene deutlich größer sind.
Hohe Investitionen in den Netzausbau sowie steigende EZB-Leitzinssätze haben die Finanzierung der Energiewende in den Blickpunkt gerückt. Welchen regulatorischen Rahmen braucht es, damit der Netzausbau finanziert werden kann?
Hilfreich wären Bürgschaften für aufgenommene Darlehen durch den Bund oder Darlehensgewährungen durch die landeseigene Bank. Dies würde die Problematik der dinglichen Sicherung bei Stromnetzen lösen und Planungssicherheit für Kreditinstitute und Netzbetreiber gewährleisten. Darüber hinaus müssen sich die EK- und FK-Zinssätze stärker an den Marktbedingungen orientieren und der Regulierungsrahmen für Investoren planbar bleiben.
Wie schreitet bei Ihnen die Entwicklung bzw. Planung der Digitalisierung und Modernisierung der Stromnetze (u. a. Smart-Meter-Rollout) voran? Was für Feedback erhalten sie dabei von Kundenseite? Wie wirkt sich die Digitalisierung in Ihrem Unternehmen auf Prozesse, Netzführung und Investitionen aus?
Seit rund zwei Jahren verzeichnen wir eine Beschleunigung der Digitalisierung. Hierbei steht zunächst die digitale Erfassung der Zustandsdaten des Stromnetzes im Fokus, wofür die entsprechende Messtechnik zur Ermittlung des Lastflusses in das Stromnetz integriert wird. Dazu werden Ortnetzstationen mit intelligenter Technik zum Messen und Steuern ausgestattet. Der Smart-Meter-Rollout dient netztechnisch dazu, in der Niederspannung auf Last- und Einspeiseschwankungen zu reagieren.
Dies gelingt durch Umsetzung des § 14 a EnWG, durch den per Fernsteuerung eine Begrenzung der Abnahmelast der betroffenen Anlagen möglich wird. Kundenseitig nehmen wir teilweise Vorbehalte gegenüber der Smart-Meter-Technik wahr; wir müssen den Bürgern den Nutzen transparenter machen. So sollte in der Diskussion um den neuen §14a EnWG die wirtschaftlichen Anreize im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen und nicht die Reduzierung der Leistung zur Absicherung der Netze.
Wir erhoffen uns grundsätzlich durch die Digitalisierung effizientere Prozesse und einen gezielteren Einsatz unserer Mitarbeiter. Auf die Netzführung hat die Digitalisierung einen großen Einfluss, da die zur Steuerung der Niederspannungsnetze zukünftig eingesetzte Prozessleittechnik die betrieblichen Abläufe verändern wird und wir für die neue Netztechnik sowohl unsere bestehenden Mitarbeiter qualifizieren müssen als auch zusätzliche Mitarbeiter mit neuen Profilen gewinnen müssen.
Bezogen auf die notwendigen Netzinvestitionen wird die Digitalisierung vor allem zu einer höheren Qualität unserer Entscheidungsfindungsprozesse und einem Zeitgewinn bei der Umsetzung von Netzausbaumaßnahmen führen. In Zeiten knapper Ausbaukapazitäten (derzeit insbesondere Tiefbau und Umspanner) werden uns KI-gestützte Systeme dabei unterstützen, die gleichzeitigen Herausforderungen von regenerativem Ausbau, Wärmewende und Verkehrswende besser zu bewältigen.
Zusätzliche Ein- und Ausspeisepunkte führen zu einer höheren Netzlast und komplexeren Anforderungen an die Steuerung von Stromnetzen. Machen Sie sich Sorgen über die zukünftige Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Stromnetz?
Nein, die Versorgungssicherheit sehe ich nicht gefährdet. Der Netzausbau und der Anschluss neuer Einspeiser und Verbraucher werden sich immer an der Aufrechterhaltung der Netzsicherheit orientieren. Es kann allerdings sein, dass neue Netzanschlüsse ab einem gewissen Zeitpunkt aus Gründen der Netzsicherheit erst mit Zeitverzug umgesetzt werden können.
Welche technischen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit die Energiewende im Stromnetz gelingt?
Eine wichtige Voraussetzung in der praktischen technischen Umsetzung ist die Zuordnung der Einspeiseanschlüsse zu den richtigen Spannungsebenen. Sowohl Nieder- als auch Mittelspannungsnetze kommen durch die stark gestiegenen Leistungsanforderungen an Ihre Grenzen. Eine besondere Bedeutung kommt dem §8 Abs. 1 EEG zu. Dieser legt für Einspeiseanschlüsse fest, dass für die Anbindung die geeignete Spannungsebene zu wählen ist.
Leider wird diese nicht genauer definiert, so dass Einspeiser für große Einspeiseanlagen aus wirtschaftlichen Gründen häufig einen Anschluss im Mittelspannungsnetz wünschen, obwohl aus technischer Sicht ein Anschluss auf der Hochspannungsebene sinnvoller wäre. Die heutige Regelung führt häufig dazu, dass bereits einzelne Großprojekte die gesamte Anschlusskapazität einer Spannungsebene ausschöpfen und damit den Anschluss kleiner und mittlerer Anlagen ohne vorherige Netzertüchtigungsmaßnahmen unmöglich macht – Anlagen, die nicht auf einer höheren Hochspannung einspeisen können.
Eine Ergänzung des §8 Abs. 1 EEG um eine Regelung, die den einzelnen Spannungsebenen verbindliche Korridore für geeignete Anlagengrößen von EE-Anlagen zuordnet, würde hier helfen.
Eine weitere Voraussetzung wird die technisch optimierte Integration von EE-Projekten sein. Als ein Hemmnis erweisen sich hierbei Vorgaben aus dem Unbundling, die dazu führen, dass Projektierer und Netzbetreiber zu spät den Dialog miteinander aufnehmen, um zu einer gemeinsamen Planung kommen, insbesondere wenn mehrere Projektierer in der gleichen Region EE-Anlagen planen. Durch eine Optimierung der Zusammenarbeit von Projektierern und Netzbetreibern zu technischen Fragestellungen könnte frühzeitig die richtige technische Lösung zum Anschluss der Anlagen – auf geeigneter Spannungsebene – erfolgen.
FNB Gas hat bei der Planung des Wasserstoff-Kernnetzes in der Nähe Ihres Versorgungsgebiets den Bau neuer Wasserstoffleitungen geplant. Wird das Thema Wasserstoffnetz bei Ihnen diskutiert? Sehen Sie in Ihrem Versorgungsgebiet weitere Anschlussmöglichkeiten bzw. Kapazitäten für einen Ausbau des Wasserstoffnetzes? Welchen Bedarf sehen Sie in Ihrem Versorgungsgebiet?
Obwohl das Albwerk kein Gasnetzbetreiber ist und derzeit auch nicht den Bau eines Wasserstoffnetzes plant, hat das Thema Wasserstoff eine große Relevanz, da die Entscheidung einer Transformation des Gasnetz in ein Wasserstoffnetz Auswirkungen auf den zukünftigen Strombedarf hat. Heute ist noch unklar, ob Industrieunternehmen ihre thermischen Prozesse, die heute auf Gas angewiesen sind, zukünftig strom- oder wasserstoffbasiert führen. Eine Abschätzung für den Bedarf in unserem Versorgungsgebiet haben wir noch nicht getroffen, wir werden das Thema jedoch weiterhin beobachten.
Welche drei zentralen Forderungen haben Sie an die Politik für die erfolgreiche Transformation zur Klimaneutralität 2045 in Bezug auf die Energienetze?
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Die Finanzierbarkeit muss sichergestellt werden – einschließlich eines Ausgleichsmechanismus zwischen ländlichen und städtischen Netzbetreibern, um regionale Verwerfungen bei Netzentgelten zu vermeiden.
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Der Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Bezahlbarkeit müssen in Einklang gebracht werden, um die Bürger bei der Transformation zur Klimaneutralität 2045 mitzunehmen. Wesentlicher Baustein für das Verteilnetz muss eine Klarstellung der Regelungen des §8 EEG sein.
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Es muss mehr Vertrauen in die Netzbetreiber gesetzt werden, die keine dienende, sondern eine gestalterische Rolle spielen sollten. Das Finden von gesamtwirtschaftlich optimalen Lösungen sollte dabei Verpflichtung der Netzbetreiber sein und bleiben.
In welchen Themenfeldern tun sich Netzbetreiber derzeit schwer und können sich verbessern und damit auch positiv auf die Transformation wirken?
Netzbetreiber tun sich noch mit dem Selbstverständnis schwer, dass sie eine gestaltende Aufgabe und eine aktive Verantwortung haben, die Infrastruktur der Zukunft zu entwickeln.
Thomas Peter Müller
ist seit Oktober 2020 technischer Geschäftsführer der Albwerk GmbH & Co. KG und seit Januar 2021 in gleicher Funktion bei der Stauferwerk GmbH & Co. KG tätig.
"Energiewende zunehmend als ökonomischer Wachstumstreiber anerkannt." - Andreas Löschel zur volkswirtschaftlichen Betrachtung der Energiewende.
"Kommunale Wärmeplanung kein Allheilmittel zur Lösung aller Probleme." - Jens Balcerek über die Herausforderungen der kommunalen Wärmeplanung.
"Müssen bekennen, dass Deutschland Energieimportregion bleiben wird." - Christian Kullmann zur Integration von erneuerbaren Energien in die Geschäftsstrategie.
"Können das benötigte Wachstum zur Zeit noch nicht erreichen." - Günther Schuh über den aktuellen Stand der Verkehrswende in Deutschland.
"Alles, was elektrifizierbar ist, sollte elektrifiziert werden." - Gunnar Groebler über Wasserstoff und klimaneutrale Gase.