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"Inmitten der Krise sehr positive Signale."

Massive Investitionen in On- und Offshore-Windparks und Solaranlagen sind notwendig und geplant, sagen Sven Utermöhlen und Katja Wünschel.

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© hrui / Shutterstock

Sven Utermöhlen ist CEO der RWE Offshore Wind, Katja Wünschel ist CEO für Onshore-Wind und Solar der RWE Renewables. Im Gespräch mit EY und dem BDEW schlagen sie die Abschaffung der pauschalen Abstandsregeln für Onshore-Windkraft vor, mehr Personal für die Genehmigungsbehörden und die Erzeugung von Offshore-Wasserstoff.

Bis 2030 sollen 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Bis 2035 soll die Erzeugung dann fast ausschließlich grün sein. Wie würden Sie den jetzigen Ausbaustand bei den Erneuerbaren beschreiben?Katja Wünschel: Wir sehen, dass auf der ganzen Welt in die Erneuerbaren investiert wird. In den USA ist ein über 300 Milliarden US-Dollar schweres Klimaschutzpaket geschnürt worden. Die EU hat ihre Ziele erhöht und auch Deutschland hat seine Ausbauziele für Windkraft an Land, auf See und für Photovoltaik massiv angehoben. Das sind – inmitten der schwierigen Krise – sehr positive Signale.

Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten zehn Jahren schon einmal so viel Wandel gab. Und wir bei RWE sind Teil davon. Bis 2030 wollen wir weltweit mehr als 50 Milliarden Euro in unser grünes Portfolio investieren. Für Deutschland sind 15 Milliarden Euro vorgesehen. Hier wollen wir jedes Erneuerbaren-Projekt machen, das möglich ist.

Sven Utermöhlen: Beim Ausbau von Windkraft auf See passiert gerade viel – sowohl weltweit als auch in Deutschland. Vor Helgoland haben wir Ende letzten Jahres mit Kaskasi unseren sechsten Offshore-Windpark ans Netz angeschlossen. Ebenfalls in der deutschen Nordsee treiben wir gemeinsam mit unserem kanadischen Partner Northland Power die Entwicklung eines großen Offshore-Windclusters von mehr als 1,5 Gigawatt voran. Wenn wir den Blick über die Grenzen von Deutschland richten, dann geht schon heute ein großer Teil der mehr als 50 Milliarden Euro, die Katja gerade angesprochen hat, in den Ausbau unserer weltweiten Offshore-Windkapazität. Mit 18 Offshore-Windparks in fünf Ländern in Betrieb, sind wir weltweit die Nummer 2 für Windkraftanlagen auf hoher See.

Wie schätzen Sie die derzeitigen politischen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Energiewende ein? Glauben Sie, dass wir mit dem derzeitigen Kurs unsere Ziele für erneuerbare Energien erreichen werden?
Sven Utermöhlen: Was Offshore betrifft, sollen bis 2030 mindestens 30 Gigawatt und bis 2045 mindestens 70 Gigawatt an Kapazitäten hinzugebaut werden. Stand heute steht Deutschland bei rund 8 Gigawatt. Die Ausbauziele sind also ambitioniert und richtig! Mehr Erneuerbare helfen dem Klima und vergrößern das Angebot an Strom; sie tragen dazu bei, die zuletzt hohen Energiepreise langfristig und dauerhaft zu senken. Also: ambitioniert, aber machbar. Mit den Zielen allein ist es natürlich nicht getan.


Sven Utermöhlen, CEO der RWE Offshore Wind ©RWE


Es ist ja nicht so, dass man neue Gigawattzahlen festsetzt und der Rest passiert von allein. Das geht nur über massive Investitionen. Wie das gehen könnte, zeigen gerade die USA mit dem „Inflation Reduction Act“, den Katja eben erwähnt hat. Einfache, gut umsetzbare und vom Ergebnis her gedachte Lösungen – das würde uns auch in Europa und in Deutschland helfen. Denn nur durch mehr Erneuerbare werden wir langfristig wieder Energiepreise auf einem vernünftigen Niveau haben, die Klimaziele erreichen und unsere Energieunabhängigkeit absichern.

Katja Wünschel: Genau! Was es jetzt an Land konkret braucht, sind Flächen für Windparks und Solaranlagen. Deutschland brachte 2022 2,4 Gigawatt an neuen Onshore-Windkraftanlagen ans Netz – nötig sind jedes Jahr 7 Gigawatt. Das sind vier Windturbinen pro Tag und mehr als 1.000 Turbinen pro Jahr. Bei Solar müssen jedes Jahr 17 Gigawatt zugebaut werden. Auch hierfür braucht es Platz. Das nun gesetzlich verankerte 2-Prozent-Ziel für Windflächen ist ein sehr wichtiger Schritt, muss jetzt aber konsequent umgesetzt werden. Die genehmigungsfähigen Flächen, die dringend gebraucht werden, können nicht erst 2027 verfügbar sein. Hier sind nun vor allem die Bundesländer gefragt. Wir sehen schon richtige Ansätze.

Ich war gerade in Bayern, bislang ein schwieriges Pflaster für Windenergie – vor allem wegen der „10 H“-Regel. Die besagt: Der Abstand eines Windrads zur nächsten Wohnbebauung muss das Zehnfache von dessen Höhe betragen. Diese Regel wurde nun zumindest gelockert. Das ist die richtige Richtung, auch wenn wir uns in allen Bundesländern für eine vollständige Abschaffung pauschaler Abstandsregeln einsetzen. Einen weiteren Vorstoß gibt es im Bereich Denkmalschutz, ein wesentliches Konfliktfeld für den Windkraftausbau. Bayern will eine Liste von 100 Denkmälern anfertigen. Nur für diese soll zukünftig eine Erlaubnis nach dem Denkmalschutzgesetz erforderlich sein. Eine interessante Idee, wenn sie sich in der Genehmigungspraxis schlank und rechtssicher umsetzen lässt. Ziel muss es sein, alle Denkmalschutzbelange schon bei der Ausweisung der Windenergiegebiete auf der Basis des überragenden öffentlichen Interesses für die Erneuerbaren abschließend zu klären.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland? Und damit einhergehend: Was braucht es jetzt, damit die Ziele auch erreicht werden?
Katja Wünschel:Die Ziele sind gesetzt, die Mittel sind da – der Wille auch. Das Tempo der letzten Monate ist beeindruckend. Das haben wir in Deutschland in den letzten zehn Jahren nicht gesehen. Allerdings sind die Strukturen nicht auf Highspeed ausgelegt. Die deutschen Amtsstuben leisten gute Arbeit, sind aber selbst auch am Limit. Es bräuchte mehr Personal, Digitalisierung und Spezialisierung. Aber auch hier bewegt sich was. Zwei Beispiele: NRW will die Genehmigungsverfahren für Windprojekte auf der Ebene der Bezirksregierungen bündeln. Bayern hat beschlossen, das Personal für die Netzausbauverfahren zu verstärken – das ist ein guter Schritt, davon braucht es mehr.

Sven Utermöhlen: Bei Offshore ist noch eine andere Frage entscheidend: die Ausschreibungsdesigns. Gemeint sind die Kriterien, nach denen Flächen für Offshore-Wind vergeben werden. Als Entwickler reicht es in Deutschland künftig nicht mehr, Windparks ohne Förderung umzusetzen und zu betreiben, sondern es gibt im neuen Ausschreibungsdesign eine finanzielle Gebotskomponente. Künftig wird also derjenige den Zuschlag für eine Fläche erhalten, der das meiste Geld mitbringt. Dieses Geld muss zurückverdient werden – das verteuert am Ende den Strom. Grüner Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen ist jedoch das Faustpfand einer modernen und zukunftsfähigen Industrienation. Dafür braucht es einerseits sogenannte Differenzverträge um den Ausbau nachhaltig und kosteneffizient abzusichern. Als zweite Säule sollte der Abschluss langfristiger Stromlieferverträge gestärkt werden um der Industrie direkt Grünstrom in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen und Preise dafür langfristig zu stabilisieren. 

Wie können Sie als Stromproduzent helfen, die Industrie wettbewerbsfähig zu halten?
Sven Utermöhlen: Zum einen, indem wir durch massiven Zubau das Angebot vergrößern und so die Preise stabilisieren. Zum anderen sind wir Partner bei der Dekarbonisierung. Ein Beispiel: Zusammen mit der Commerzbank wollen wir mittelständischen Unternehmen Zugang zu Offshore-Windkraftanlagen ermöglichen. Der sogenannte grüne Mittelstandsfonds soll Firmen helfen, sich Ökostrom über langfristige Stromlieferverträge zu sichern.

Bislang war das eher den großen Industrieplayern vorbehalten; wir wollen so dazu beitragen, dass die Energiewende auch bei kleineren und mittelständischen Unternehmen ankommt. Der dafür geplante Windpark wird eine installierte Leistung von rund einem Gigawatt haben.

Was waren die größten Erfolge der Energiewende in den letzten Jahren?
Katja Wünschel:Oh, da fallen mir gleich mehrere ein. Einmal wäre da der technologische Fortschritt: Höhere Windkraftanlagen machen es möglich, auch in Gegenden zu bauen, in denen sich das noch vor wenigen Jahren nicht gelohnt hätte. Und dank neuer, leistungsstärkerer Turbinen können wir auch in sogenannten Schwachwindgebieten den Wind einfangen. Für uns als RWE ist auch wichtig, wie wir die Energiewende in Nordrhein-Westfalen umsetzen und mit dem Strukturwandel im Rheinischen Revier verknüpfen können.


Katja Wünschel, CEO für Onshore-Wind und Solar der RWE Renewables © RWE


Ein toller Erfolg ist da unser Windpark Bedburg, ein Gemeinschaftsprojekt mit der Kommune. Hier hat die gesamte Entwicklungszeit nur rund zwei Jahre gedauert. Im Schnitt braucht es dafür in Deutschland sieben Jahre. Bei RWE haben wir gute Erfahrungen mit kommunalen Beteiligungsmodellen. Denn es ist uns wichtig, durch eine gute Zusammenarbeit mit den Kommunen, mit den Bürgerinnern und Bürgern, Akzeptanz vor Ort zu schaffen. Ein europaweit einzigartiges Projekt ist der „RWE indeland Solarpark“ im nordrhein-westfälischen Tagebau Inden: eine Freiflächen-Photovoltaikanlage mit integriertem Speicher, europaweit die erste von RWE.

Sven Utermöhlen: Ich denke da zum Beispiel an unseren Windpark Kaskasi vor Helgoland. Dort speisen seit Mitte Dezember alle 38 Anlagen Strom ins deutsche Netz ein. Kaskasi kann rechnerisch mehr als 400.000 Haushalte pro Jahr mit grünem Strom versorgen. Das ist vergleichbar mit einer Großstadt wie Frankfurt am Main. Kaskasi ist ein Zeichen dafür, wie wir bei RWE den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben – und es zeigt auch, wie uns Innovationen voranbringen können.

Sie sprachen die Energieunabhängigkeit an: Der Krieg in der Ukraine stellt die Energiemärkte sichtlich auf den Kopf. Wie wirkt sich das auf Ihr Unternehmen aus?
Katja Wünschel: RWE hat 2021 mit „Growing Green“ eine Strategie verabschiedet, die sich auch in der Krise als absolut richtig erweist. Wir setzen neben flexiblen Backup-Kapazitäten und Speichern voll auf die Erneuerbaren: Im vergangenen Jahr investierte RWE 4,4  Milliarden Euro netto in die grüne Energiewelt. Im Oktober haben wir mit Con Edison einen der führenden Betreiber und Entwickler im Bereich erneuerbarer Energien in den USA gekauft – das ist ein enormer Schub für unsere grüne Expansion.

Welche Ideen sollten bei der Energiewende noch stärker mitgedacht werden?
Sven Utermöhlen: Offshore-Wasserstoff – also auf hoher See erzeugter, grüner Wasserstoff. Die Windenergie ist günstig und in großen Mengen zu haben. Daher ist diese Energie optimal für die Versorgung von Elektrolyseuren. Diese Elektrolyseure könnten entweder auf einer Plattform im Meer installiert werden oder direkt an der Turbine. Der Transport vom Meer aufs Festland würde dann per Pipeline erfolgen und nicht per Kabel. Das wäre besonders für weit vom Festland entfernte Windparks geeignet. Insgesamt wäre das nicht nur wirtschaftlich günstiger, sondern könnte auch die Ausbaugeschwindigkeit steigern. Außerdem wäre man hier – was den Energietransport betrifft – breiter aufgestellt und besser vor Engpässen etwa bei Offshore-Kabeln geschützt.

Katja Wünschel: Mir ist wichtig, dass Floating PV, also schwimmende Solarflächen auf Gewässern, mitgedacht wird. Denn das Potenzial hierfür ist groß. Auch Agri-PV kann das Problem der knappen Flächen lösen. Solaranlagen auf landwirtschaftlichen Flächen erlauben es, den raren Ackerboden doppelt zu nutzen: einmal um Obst, Gemüse und Getreide anzubauen und einmal um Sonne zu ernten. Auch daran forscht RWE derzeit.

Frau Wünschel, Herr Utermöhlen – vielen Dank für das Gespräch.


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