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Thomas Kunde:

„Wir lösen rund 80 Prozent der Schlichtungsverfahren einvernehmlich.“

Wenn zwei sich streiten – dann kann vielleicht die Schlichtungsstelle Energie helfen. Interview mit Geschäftsführer Thomas Kunde.

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© Robert Albrecht/BDEW

Herr Kunde, Sie sind Geschäftsführer der Schlichtungsstelle Energie. Worum geht es da?
Die Schlichtungsstelle ist zuständig für die Streitbeilegung zwischen privaten Verbrauchern und Energieversorgungsunternehmen. Dafür gibt es gesetzliche Grundlagen wie das Energiewirtschaftsgesetz und das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz. Wichtig ist: Wir sind keine Interessenvertreter, sondern unabhängig und neutral. Und: Verbraucher müssen mit ihrer Beschwerde immer zuerst an ihr Energieversorgungsunternehmen herantreten. Erst wenn das zu keiner Einigung führt, können sie sich an die Schlichtungsstelle wenden. 

Was sind häufige Beschwerden?
Es gibt drei große Standardthemen, die immer wieder zu Beschwerden führen. Erstens: Probleme rund um den Vertrag, vom Vertragsschluss bis hin zur Beendigung oder Kündigung. Zweitens geht es häufig um die Abrechnung: dass Rechnungen fehlen, aus Verbrauchersicht fehlerhaft sind oder in Aussicht gestellte Guthaben nicht ausgezahlt werden. Der dritte Komplex ist der Lieferantenwechsel und damit verbundene Probleme.

Dazu kommen jährlich neue Besonderheiten, die oft durch das Verhalten einzelner Unternehmen bedingt sind. In manchen Jahren gab es Unternehmen, die drei- oder viertausend Schlichtungsanträge bei uns hatten.

Wie läuft das ab: Nachdem sich VerbraucherInnen erfolglos an ihren Energieversorger gewendet haben, kommen sie zu Ihnen? 
Das Unternehmen hat laut Gesetz vier Wochen Zeit, sich mit der Beschwerde zu beschäftigen. Wird innerhalb dieses Zeitraums keine Einigung erzielt, kann der Verbraucher bei uns die Schlichtung beantragen. Dazu stellen wir online ein Formular bereit. Wir prüfen dann die Zulässigkeit des Antrags und eröffnen das Schlichtungsverfahren. In der ersten Stufe versuchen wir, einfache Fälle durch Kommunikation zu lösen.

Wenn Verbraucher etwa sagen, „Ich habe keine Rechnung bekommen“, findet sich recht schnell ein Weg. Gelingt eine Einigung, ist das Verfahren bereits beendet. Ansonsten kommt der Fall zu unseren Volljuristinnen und -juristen und die Schlichtungsstelle unterbreitet einen Einigungsvorschlag. Wird er von den Beteiligten angenommen, ist das Verfahren ebenfalls beendet. 

Und wenn nicht?
Dann steht am Schluss die Schlichtungsempfehlung durch unseren Ombudsmann. Dieses dreistufige Verfahren hat sich in den letzten Jahren sehr bewährt. Wir lösen rund 80 Prozent aller Schlichtungsverfahren einvernehmlich. Die Schlichtungsempfehlung kann außerdem als rechtliche Einordnung einer neutralen Stelle für spätere gerichtliche Auseinandersetzungen von Nutzen sein.

Wie kommen VerbraucherInnen auf die Schlichtungsstelle?
Die Unternehmen sind verpflichtet, auf uns hinzuweisen, beispielsweise in den AGB. Wenn Verbraucher ihre Energielieferverträge studieren, stoßen sie also auf uns; ansonsten über Suchmaschinen, die Verbraucherzentralen oder die Medien. Aus dem Austausch mit anderen Schlichtungsstellen, etwa im Banken- oder Versicherungsbereich, wissen wir aber auch: Viele Verbraucher kennen die Möglichkeiten des Schlichtungswesens nicht. 

Worauf kommt es bei Ihrem Agieren an? 
Das Wichtigste ist Neutralität. Nur sie führt zur Akzeptanz. Alle Beteiligten können sich sicher sein: Die Schlichtungsstelle schwenkt nicht zur einen oder anderen Seite. Wichtig ist auch der Ton im Miteinander, dass wir immer freundlich und sachlich bleiben. Häufig sind die Streitigkeiten emotional aufgeladen, da muss man zwischendurch schon mal durchatmen. Und natürlich kommt es auch auf sehr gute fachliche Kenntnisse an. Wir haben es häufig mit den Rechtsabteilungen aus den Unternehmen zu tun und haben den Anspruch, mit diesen auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Wie hat sich die Arbeitslast in Ihrer Geschäftsstelle rund um Energiekrise und Ukrainekrieg geändert?
Die Auswirkungen sind immens. Eigentlich stellen wir schon seit November 2021 und den ersten Preisanstiegen eine Erhöhung des Beschwerdeaufkommens fest. Mit rund 18.000 Schlichtungsanträgen war 2022 das bisher antragsstärkste Jahr. Das setzt sich fort. Von Januar bis Ende Mai 2023 gingen bei uns rund 11.500 Schlichtungsanträge ein. Das setzt uns durchaus unter Druck: Wir finden im Moment gar nicht so viele neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie wir eigentlich bräuchten. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Über die Schlichtungsstelle
Die „Schlichtungsstelle Energie e. V.“ wurde 2011 vom Verbraucherzentrale Bundesverband und den drei energiewirtschaftlichen Verbänden BDEW, VKU und BNE gegründet; seither kamen einzelne Energieversorger sowie Verbraucherschutzorganisationen als Mitglieder dazu. Die fachliche Verantwortung liegt beim Ombudsmann Jürgen Kipp, ehemaliger Richter und zuletzt Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. In der Geschäftsstelle arbeiten derzeit zehn Volljuristinnen und -juristen, drei weitere kommen im Spätsommer ins Team. Ebenso viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um die Sachbearbeitung. Thomas Kunde ist seit Anbeginn Geschäftsführer des Vereins.

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